In der Welt der Hochfinanz, in der eitle Männer mit knackigen Sprüchen dominieren, fiel Ewald Nowotny mit seiner bescheidenen und abwägenden Art immer aus der Reihe. Man konnte ihn beim Sprechen geradezu nachdenken hören, er zog bei jedem Argument auch die Gegenseite in Betracht, und seine Interviews gaben daher nur selten gute Schlagzeilen ab. In einer von Zahlenmenschen beherrschten Branche stand für Nowotny immer das Menschliche im Mittelpunkt.

Ewald Nowotny, "Geld und Leben". € 22,– / 336 Seiten. Braumüller, Wien 2020

Diese Eigenschaften prägen auch sein jüngst erschienenes Buch Geld und Leben, das zum Teil Autobiografie, zum Teil ökonomisches Lehrbuch ist und die zahlreichen Finanzkrisen seit der Jahrtausendwende aus der Sicht eines Entscheidungsträgers erzählt, der meist ganz nah dran war und doch stets etwas Distanz hält.

Nowotnys Werdegang ist beeindruckend. Als Spross einer bildungsbürgerlichen Wiener Familie kam er als Student unter den Einfluss des großen Keynesianers Kurt Rothschild in Linz und wurde so in den 1960er-Jahren Teil der sozialistischen Intelligenzija in ÖGB, Arbeiterkammer und SPÖ. Unter Bruno Kreisky wurde der junge Volkswirtschaftsprofessor 1978 Nationalratsabgeordneter. Er verband ab dann stets Wissenschaft mit Politik. Seine Distanz zu Franz Vranitzky verhinderte allerdings eine Berufung zum Finanzminister.

Von Politik in Finanz

1999 legte Nowotny alle politischen Ämter zurück und ging für vier Jahre als Vizepräsident in die Europäische Investitionsbank nach Luxemburg, bevor er 2006 in einem Himmelfahrtskommando die Führung der von Refco- und Karibikaffäre gebeutelte Bawag PSK übernahm. Im September 2008 wurde er wenige Tage vor dem Lehman-Kollaps Gouverneur der Nationalbank, was ihm auch einen Sitz im Zentralbankrat der Europäischen Zentralbank (EZB) einbrachte. In den darauf folgenden Jahren musste er sich mit der Weltfinanzkrise, der Eurokrise und der Milliardenpleite der Hypo Alpe Adria herumschlagen.

Seine Erinnerungen sind daher auch gleich ein Spiegelbild der österreichischen Wirtschaftsgeschichte mit ihren vielen Höhen und einigen Tiefpunkten. Nowotny erweist sich in seinen Beobachtungen als Pragmatiker, der jedes ökonomische Dogma, egal ob von links oder rechts, ablehnt. Nüchtern beschreibt er das Sittenbild der Bawag unter ihrem Generaldirektor Helmut Elsner, der die Gewerkschaftsbank in den Abgrund führte, oder die Auseinandersetzungen mit den fanatischen deutschen Notenbankern in der EZB. Aber selbst da verliert er nur selten ein böses Wort über die Menschen, mit denen er arbeitete, verhandelte oder stritt.

Glühender Europäer

Nowotny war stets ein glühender Europäer und blieb selbst in den schwierigsten Zeiten ein großer Anhänger des Euro. Aber er ist sich auch der Probleme der Gemeinschaftswährung bewusst und macht die in kleinen Beobachtungen deutlich, etwa wenn er berichtet, dass die Notenbankchefs aus dem Norden immer Economy nach Frankfurt zur EZB-Sitzung flogen, die aus dem Süden aber in der Businessclass. Die Beschreibung des Zigarrenrauchs, der nach den Abenden im eleganten Frankfurter Hof an seinem Anzug klebte, lässt den Leser auch die einstige Atmosphäre in dieser Banker- und Ökonomenclique spüren.

Auch heute, in der Corona-Krise, sieht Nowotny keinen Grund, das Wirtschaftssystem auf den Kopf zu stellen. Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, so seine Überzeugung, können Europa weiterhin Wohlstand und Lebensqualität sichern – oder wie der Titel sagt: Geld und Leben. (Eric Frey, 3.12.2020)