Als Neue Selbstständige können Sexarbeiter*innen zwar Geld aus dem Härtefallfonds beantragen, doch viele scheiterten an den Zugangskriterien.

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Shiva Prugger hat in den vergangenen Wochen viele Interviews gegeben. Die Wiener Domina und Aktivistin erzählt von Sexarbeiterinnen, die im Lockdown ihre letzten Ersparnisse aufgebraucht haben, und von teuren Zimmern in Laufhäusern. Sie protestiert dagegen, als Sexarbeiterin anders als Friseur*innen oder Masseur*innen behandelt zu werden. Erst seit August existiert die Berufsvertretung Sexarbeit Österreich (BSÖ), eine unabhängige Initiative, die das Wiener Beratungszentrum Sophie als Vereinssitz nutzt.

Der Frust, von politischen Entscheidungsträger*innen nicht gehört zu werden, motivierte Prugger, gemeinsam mit Kolleginnen politisch aktiv zu werden. "Das Erlebnis während des ersten Lockdowns war prägend: Man hat weder mit uns noch über uns gesprochen", sagt Prugger im STANDARD-Interview. Noch immer würden sich Politiker*innen kaum öffentlich zur Sexarbeit äußern, auf den Pressekonferenzen der Regierung spricht man lieber über Wirt*innen und Seilbahnbetreiber. Die neu gegründete BSÖ soll deshalb auch ein Sprachrohr im Kampf gegen die Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen sein.

Am Limit

"Die Lage der Sexarbeiter*innen ist aktuell noch ein Stück härter als für andere Ein-Personen-Unternehmen, die auch sehr zu kämpfen haben", sagt Tanja Wehsely, Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien. Diese betreibt die Einrichtung Sophie, wo Sexarbeiterinnen sich anonym und mehrsprachig beraten lassen können. Unzählige Lebensmittel- und Hygienepakete wurden in den vergangenen Wochen verteilt, angesichts des De-facto-Arbeitsverbots seien viele verzweifelt – denn Bordelle und Laufhäuser blieben aufgrund der Covid-19-Maßnahmen während der Lockdown-Phasen geschlossen.

Zwar konnten Sexarbeiter*innen im Sommer wieder ihre Arbeit aufnehmen, doch die vier Monate hätten nicht gereicht, um sich ein finanzielles Polster für den zweiten Lockdown zu verschaffen. "Viele Frauen haben schon im ersten Lockdown Schulden angehäuft und sind jetzt in einer echten Notlage. Damit steigt auch der Druck, letztendlich illegal zu arbeiten", sagt Shiva Prugger.

Bürokratische Hürden

Rund 8.000 Sexarbeiter*innen sind aktuell in Österreich registriert, die meisten von ihnen kommen aus den neuen EU-Ländern, aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Als Neue Selbstständige können Sexarbeiter*innen zwar Geld aus dem Härtefallfonds beantragen, doch viele scheiterten an den Zugangskriterien. So muss die Antragstellerin etwa über ein österreichisches Konto verfügen, anderen fehlt die Steuernummer, wenn Bordellbetreiber die Dienstleister*innen pauschal besteuerten.

Wie die Gleichbehandlungsanwaltschaft im vergangenen Jahr berichtete, sind Sexarbeiter*innen selbst in österreichischen Bankinstituten mit Diskriminierung konfrontiert. In mehreren Fällen verweigerten sie Sexarbeiter*innen die Eröffnung eines Girokontos. "Geschäftspolitische Überlegungen" oder aber "Gefahr der Geldwäsche", so die offizielle Begründung. "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass vor allem stereotype Vorstellungen zu einer Ablehnung der Geschäftsbeziehung führen", schreibt die Gleichbehandlungsanwaltschaft.

"Helfen ist sexy"

Dass so viele legal in Österreich arbeitende Sexarbeiter*innen durch jegliche Sicherungsnetze fallen, mache einen Fehler im System sichtbar, ist Tanja Wehsely überzeugt. "Gerade in der Krise brauchen wir eine Maßnahme, die zuverlässig vor Armut schützt, das könnte zum Beispiel ein temporäres Grundeinkommen oder eine einheitliche Mindestsicherung sein", sagt Wehsely. Wie auch schon das Beratungszentrum Sophie hat nun die BSÖ einen Spendenaufruf gestartet, die Aktion "Helfen ist sexy" sammelt Geld für Lebensmittelgutscheine, die über Sophie an Betroffene verteilt werden. Sich als Sexarbeiter*innen zu vernetzen, um politische Schlagkraft zu entwickeln, ist indes alles andere als einfach, erzählt Prugger. "Sexarbeit ist so stark stigmatisiert, da braucht es schon viel Mut, um öffentlich zu sprechen – und du musst es dir in deinem sozialen Umfeld auch leisten können", sagt die Aktivistin. "Dabei leisten wir genauso Arbeit, zahlen unsere Steuern und in die Sozialversicherung ein."

Für immer geschlossen

Ein Job wie jeder andere: Gegen diesen Slogan stellen sich Befürworter*innen eines Sexkaufverbots, des sogenannten nordischen Modells – die Corona-Krise scheint ihre Kampagnen zu beflügeln. Während in Österreich die feministische Initiative Stopp Sexkauf für einen "Paradigmenwechsel in der Prostitutionspolitik" mobil macht, hat die Bewegung in Deutschland eine äußerst prominente Fürsprecherin. Geschlossene Bordelle und Laufhäuser – für Alice Schwarzer und ihrer Mitstreiter*innen ein wünschenswerter Dauerzustand.

Im Mai wandten sich 16 deutsche Abgeordnete in einem offenen Brief an die Ministerpräsident*innen, der Appell: Bordelle nach Ende der Corona-Krise nie wieder zu öffnen. Im Herbst legte das Bündnis Nordisches Modell bei einem Vernetzungstreffen nach: Mit einem Sexkaufverbot wie in Schweden würden Frauen nicht länger als "käuflich und beliebig verfügbar" wahrgenommen, sondern in ihrer Würde geachtet.

Feministische Aktivistinnen, die Sexarbeit pauschal als Ausbeutung und Gewalt definieren – ein Ärgernis für Shiva Prugger. "Das sind oft Frauen, die selbst nie in der Sexarbeit gearbeitet haben, und die erklären anderen Frauen, dass ihr Job keine Arbeit ist." Politischen Druck in Richtung Sexkaufverbot hält Prugger hierzulande dennoch für unwahrscheinlich.

Deutlich skeptischer zeigt sich Tanja Wehsely. "Ich nehme durchaus Bestrebungen von rechten und sehr religiösen Zusammenschlüssen wahr, das Thema neu aufzurollen", sagt Wehsely. Kontroverse Themen wie Sexarbeit oder der Schwangerschaftsabbruch würden von Lobbygruppen gezielt genutzt, um eine reaktionäre Agenda zu forcieren. "Und es geht ihnen dabei nicht um die Situation der Sexarbeiterinnen, sondern darum, Selbstbestimmungsrechte von Frauen wieder zu beschneiden. Dafür brauchen wir gar nicht erst nach Polen zu schauen", so Wehsely.

Warten auf Detailinformationen

Als Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch die Bevölkerung auf eine "behutsame Öffnung" einschwor, blieb offen, welche Lockerungen es für Sexarbeiter*innen geben wird. Körpernahe Dienstleistungen dürfen ab 7. Dezember wieder angeboten werden. Demnach gilt für Prostitution, was auch für alle anderen Dienstleistungen gilt: Mund-Nasen-Schutz oder geeignete Schutzvorrichtungen, wenn der Ein-Meter-Abstand unterschritten wird. "Die Kundenbereiche von Betriebsstätten der Prostitution, zum Beispiel Bordelle, sind weiterhin geschlossen", heißt es auf Anfrage aus dem Sozialministerium. Prugger geht davon aus, dass also Hausbesuche bei Kunden möglich sein werden, Prostitutionsstätten aber mindestens bis zum 6. Jänner geschlossen bleiben. Dass die Branche erneut auf Detailinformationen warten muss, ist für sie symptomatisch: "Es zeigt den ignoranten und respektlosen Umgang der Entscheidungsträger mit uns." (Brigitte Theißl, 8.12.2020)