"Animal Crossing: New Horizons" war eines der erfolgreichsten Spiele 2020 und hat sich mittlerweile über 26 Millionen Mal verkauft.

Foto: Nintendo

Stefan Kratky ist 38, arbeitet in der Notfallmedizin und lebt zusammen mit seiner Frau und seinem vierjährigen Sohn in einer Reihenhaussiedlung in Traiskirchen. Seit dem Lockdown im März hat sich einiges bei der Familie verändert. Sie musste, wie fast jeder in Österreich, weit mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen als sonst. Der Situation entsprechend wurde deshalb das Kinderzimmer zur Spielelandschaft umgebaut, und der Keller, der sonst als Streaming-Raum des passionierten Youtubers und Videospielers genutzt wurde, war bald auch beliebter Aufenthaltsort des Vierjährigen.

Das Mehr an Zeit wurde mit Videospielen gefüllt. Nicht ohne Bedacht oder unbeaufsichtigt, aber in kleinen Dosen, damit Abwechslung in den sonst von Radfahren und Duplo-Spielen geprägten Alltag kam. Der Kleine hatte bereits erste Berührungspunkte mit dem digitalen Spielzeug, aber maximal eine halbe Stunde am Tag und nur über Kinder-Apps von Toggolino etwa oder ein Spiel zu den Pyjamahelden PJ Masks. Zu Covid-19-Zeiten wurde die Zeit vor dem Bildschirm leicht angehoben. Ein paar Runden Mario Kart mit der einfachsten Steuerung oder in Disney Land Adventures gemeinsam durch den virtuellen Park laufen. Videospiele als gute Ergänzung zu realem Spielzeug. Ein Trend, der 2020 nicht nur bei Kratkys in Traiskirchen Einzug hielt.

Die Pyjama-Helden richten sich an jüngere Spieler. Sowohl als Serie, als auch als Spiel.
Foto: Entertainment One

Enormer Zustrom an Nutzern

Wenn Kinos gesperrt sind und man die Freunde im Lieblingslokal nicht treffen kann, muss man sich anderweitig beschäftigen. So konnte die Gaming-Industrie 2020 einen noch nie dagewesenen Zustrom an neuen Nutzern verzeichnen. Mehr Menschen als je zuvor haben in den letzten Monaten intensiv gezockt oder Videogames als Hobby neu entdeckt. So zeigte eine Umfrage von Deloitte Mitte des Jahres, dass während der Pandemie-Monate ein Drittel der Befragten erstmals einen Videospielservice oder einen Cloud-Gaming-Service genutzt haben.

Die positiven Effekte von Videospielen für den Menschen sind wissenschaftlich gut belegt. Bereits 2017 wurde das Thema an der University of Texas näher beleuchtet und festgestellt, dass verschiedene Genres das Gehirn unterschiedlich beeinflussen. Bei Erwachsenen können Strategiespiele schnelles Denken fördern, während Action-Games bei Stimmungsproblemen hilfreich sind, so die Studie.

Konkrete Gedanken zur aktuellen Situation in der Pandemie hat sich in den vergangenen Monaten wiederum eine Studie der Oxford University gemacht. 2537 Teilnehmer spielten hierfür Animal Crossing: New Horizons, ein Aufbauspiel mit Tieren, bei dem der Spieler dazu eingeladen ist, mit anderen Spielern Handel zu betreiben, sie zu besuchen oder anders miteinander zu interagieren. In Zusammenarbeit mit den Entwicklern des Spiels wurde festgehalten, wann Spieler in den Monaten August und September zur Konsole griffen – dazu wurde regelmäßig das Wohlbefinden der Probanden erhoben. Das Ergebnis: Je mehr Zeit die Spieler in dem Game verbracht hatten, desto besser fühlten sie sich. Durch den Handlungsverlauf wurden den Nutzern Werte wie "Freiheit" und "Kompetenz" vermittelt – und lösten so das Wohlbefinden aus. In erster Linie aber war es die Tatsache, dass man, wenn auch nur virtuell, mit anderen Menschen interagieren konnte, die für Glücksgefühle sorgte.

In "World of Warcraft" tummeln sich noch immer Millionen von Spielern.
Foto: Activision Blizzard

Gemeinsam Abenteuer erleben

Das erklärt auch den weltweiten Erfolg von World of Warcraft, dem Vorreiter im Bereich der Multiplayer-Online-Rollenspiele. Schon vor rund 16 Jahren konnte man hier Hochzeiten von Gildenmitgliedern beiwohnen, sich privat verabreden und mit Freunden auf der ganzen Welt im Spiel Silvester feiern.

Es ist die soziale Bedeutung von Multiplayer-Spielen, die sich in diesem völlig verrückten Jahr 2020 verstärkt. Nicht nur das Verabreden für ein lockeres Autorennen zwischendurch oder das gemeinsame Bezwingen eines Boss-Gegners steht im Vordergrund, sondern der Wunsch, mit anderen Leuten zu sprechen, zu interagieren. Ja, man könnte auch telefonieren – aber gemeinsam Abenteuer zu erleben fühlt sich in solch langen Isolationsphasen abwechslungsreicher und spannender an.

Es erinnert an die Zeit, in der man gemeinsam auf der Couch sitzen konnte und sich bei einem Tor in Fifa oder einem knappen Überholmanöver in Mario Kart gegenseitig anschreien und anlachen konnte. Es erinnert an die Zeit, in der man nicht überlegen musste, ob man zu Weihnachten die Familie treffen darf, um gemeinsam die neue Konsole ausprobieren zu können.

Es ist unbestritten nicht dasselbe Gefühl, wie mit Freunden und Familie zusammenzusitzen, zu spielen und zu plaudern. Berufstätige können das nach den unzähligen Videokonferenzen bestätigen. Doch in der Kombination mit dem gemeinsamen Abtauchen in fremde oder auch vertraute Welten entsteht zumindest das befriedigende Gefühl, etwas gemeinsam zu machen.

"Gears of War 2" erfreute sich schon 2008 großer Beliebtheit, weil der Multiplayer-Modus viele Möglichkeiten bot.
Foto: Microsoft

Durchhalten und weitermachen

Stefan Kratky aus Traiskirchen hat letzte Woche das Action-Spiel Gears of War 2 in einem Online-Store zufällig wiedergefunden. 2008, zum Marktstart des Spiels, hatte er das Game auf der Xbox erstmals gespielt und war begeistert, auch weil er sich damals regelmäßig mit Freunden für das Spiel verabredet hatte. "Als ich das Spiel nun online wieder gestartet habe, sind sofort zwei Freunde in meinen Chat eingestiegen und haben gefragt, ob wir nicht wieder gemeinsam spielen wollen. Der alten Zeiten wegen. Es war sofort wie früher, wir haben gelacht und über alle möglichen Dinge gesprochen. Kurz haben wir sogar vergessen, dass wir uns wohl auch die nächsten Monate nur so sehen können. Aber das ist besser, als sich gar nicht zu sehen." (Alexander Amon, 6.12.2020)