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Ein Weitermachen wie vorher dürfe es nicht geben, sind sich Claudia Kemfert und Clemens Fuest einig. Für beide Spitzenökonomen ist klar: Themen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes werden künftig eine größere Rolle spielen. Die Zukunft unseres Wirtschaftens stellen sich die beiden Experten dennoch unterschiedlich vor.

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Bis wir die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verdaut haben, wird noch einige Zeit vergehen. In vielen betroffenen Ländern sind große Teile der wirtschaftlichen Aktivität zum Erliegen gekommen, zahlreiche Konkurse drohen, und die Arbeitslosigkeit ist hoch wie nie. Die Erholung wird schwieriger als gedacht – und der Kampf gegen die Krise kostet sehr viel Geld. Aber er birgt auch Chancen. Wollen wir überhaupt zurück zum Status quo vor der Krise? Nein, sagen führende Ökonomen wie Claudia Kemfert und Clemens Fuest. Sie beschreiben, welche Neuausrichtung die Wirtschaft nach der Krise braucht.

Claudia Kemfert: Die ökologische Wende steht an

Sozial. Ökologisch. Ethisch. Für Claudia Kemfert ist klar: Die Corona-Krise ist auch eine Chance, die europäische Wirtschaft mit Milliardeninvestitionen und neuen Regularien in eine bessere Richtung zu lenken. Die letzte solche Chance, die Finanzkrise, habe man gehörig vergeigt, klagt die deutsche Ökonomin. Statt auf Nachhaltigkeit zu setzen, habe man mit Maßnahmen wie der deutschen Abwrackprämie umweltschädlichen Technologien wie dem Verbrennungsmotor ein weiteres profitables Jahrzehnt verschafft. Diesmal soll alles anders werden.

Umweltökonomin Claudia Kemfert sieht den Kipppunkt gekommen – nicht nur, was irreversible Auswirkungen unseres Wirtschaftens auf die Umwelt betrifft, sondern auch in der öffentlichen Meinung.
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Kemfert, die am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin die Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt leitet, fordert vor allem eines: Die Emissionen müssen runter. Das gilt für die Energiegewinnung und die Industrie. Ganz besonders gilt es aber für den Verkehr.

Weniger Verkehr

Die Mobilitätswende werde den Verkehr grundsätzlich verändern, prophezeit Kemfert. Die Städte sollen "menschenfreundlich statt autogerecht" werden. Damit würde man nicht nur Emissionen reduzieren, sondern den Menschen auch mehr Lebensqualität schaffen. Überhaupt sieht die Umweltökonomin im privaten Pkw ein Auslaufmodell: "In Zukunft werden Mobilitätsdienstleistungen eine viel größere Rolle spielen."

Und auf dem Land? Da werden Elektroautos eine größere Rolle spielen, sagt Kemfert, die hinzufügt: Auch auf dem Land könne ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrssystem den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen genügen. Ob Bürgerbusse oder autonome Fahrzeuge: "Man kann so auch die letzte Meile abdecken."

Die ökologische Wende werde bereits vor unseren Augen vollzogen, sagt die Umweltökonomin. Unternehmen hätten etwa erkannt, wie viel sie sparen, wenn sie ihre Mitarbeiter nicht auf unnötige Dienstreisen schicken, sondern stattdessen online konferieren. Und auch sonst zahle sich Klimaschutz wirtschaftlich aus – zum Beispiel wenn man Energie spart oder als Verkaufsargument bei den immer umweltbewusster werdenden Kunden.

Kipppunkt erreicht

"Wir sind in Sachen Klimawandel und Umweltschutz an einem Kipppunkt angelangt", sagt Kemfert. Das spiegle der Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA wider, wo sich der Demokrat Joe Biden mit einer Klimastrategie durchgesetzt hat, die ambitionierter als die europäische ist.

Das sei aber nicht der einzige Hinweis auf eine ökologische Wende. China will klimaneutral werden. Kanada will klimaneutral werden. Die Europäische Union forciert mit dem Green New Deal ein Klimaprogramm, das laut Kemfert allerdings durchaus ehrgeiziger ausfallen könnte. Auch dass die Europäische Zentralbank erwägt, Klimaschutz als Bestandteil in ihr Mandat aufzunehmen, zeuge von einem politischen Richtungswechsel.

Besonders zeige sich der Wandel aber in der "For Future"-Bewegung, die längst von Schülern auf Wissenschafter und andere Bevölkerungsgruppen übergeschwappt ist. Diese Gruppen bekommen immer größeres politisches Gewicht, freut sich Kemfert. Das helfe, den künftigen Generationen eine gesunde Welt zu hinterlassen.

Kemfert hat dem STANDARD im Rahmen der Serie "Alles Gut?" auch vergangenen Mai ein Interview gegeben, Sie können es hier nachlesen.

Clemens Fuest: Das neue Datengold

Europas Wirtschaft liegt darnieder. Die zweite Pandemie-Welle rollt über den Kontinent, die Wirtschaftsleistung wird in vielen Ländern heuer so stark einbrechen wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Für eine zügige Erholung müsse Europa künftig mehr dafür tun, seine Wachstumspotenziale zu heben, sagt Clemens Fuest. Eine Weitermachen wie vor der Krise wäre fatal, warnt der Leiter des Münchner Ifo-Instituts.

Clemens Fuest fordert mehr Binnenmarkt. Europa müsse seine Wachstumspotenziale heben. Ein Weitermachen wie vor der Pandemie sei keine Option.
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Dabei hat der Ökonom durchaus Ideen, welche Leitplanken der europäischen Konjunktur den Weg in eine bessere Zukunft weisen könnten. So brauche es erstens etwa einen neuen Regulierungsrahmen für die Digitalisierung, der den Datenschutz sichert, aber gleichzeitig die Erhebung, das Teilen und Nutzen von Daten fördert. "Heute verhindert oder erschwert der Datenschutz in Europa vielfach die Datennutzung", klagt Fuest. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen werde Europa in der Digitalisierung weiter abgehängt.

Zudem müsse man den Binnenmarkt weiter vertiefen. Der sei Europas Wachstumsmaschine Nummer eins. "Es gibt immer noch erhebliche Hindernisse für grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten, die wir abbauen sollten", diagnostiziert Fuest, der Hindernisse für Unternehmensfusionen, einen fehlenden gesamteuropäischen Kapitalmarkt und nationale Alleingänge in der Energiepolitik als Beispiele nennt. "Die Vertiefung des Binnenmarktes würde Wettbewerbsintensität und Innovationen steigern, Kapital würde in die bestmöglichen Verwendungen fließen, und Europa wäre widerstandsfähiger gegen Krisen, weil Risiken besser grenzüberschreitend diversifiziert wären", sagt Fuest.

Kernthemen forcieren

Drittens wünscht sich der Wirtschaftswissenschafter, dass die europäischen Staaten die EU künftig stärker dafür nutzen, bei Kernthemen gemeinsame Sache zu machen. Infrastrukturprojekte und Klimapolitik nennt er etwa als Beispiele.

Die Corona-Krise habe gezeigt, dass ein kluges Zusammenwirken zwischen staatlichen Eingriffen und marktwirtschaftlichen Prozessen die besten Ergebnisse zeitige. Sosehr der Staat in Krisen stabilisierend eingreifen soll, so sehr seien übermäßige Staatseingriffe in normalen Zeiten aber schädlich.

Als Beispiel für ein erfolgreiches Zusammenwirken von Staat und Markt nennt Fuest die Impfstoffentwicklung. Staatlich finanzierte Forschung und unternehmerische Risikobereitschaft trafen zusammen: "Ohne eines von beiden gäbe es noch keinen Impfstoff." Der Sozialstaat müsse absichern. Gleichzeitig müssen aber weiterhin Leistungsanreize für unternehmerische Kreativität gewahrt werden.

Erfolgreicher Kapitalismus

Kapitalismus sei vor allem dann erfolgreich, wenn Marktmacht eingedämmt wird und alle Menschen, die etwas beitragen wollen, die Chance bekommen, das zu tun. Zudem brauche es eine gewisse soziale Absicherung. Es brauche vor allem einen breiten Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, erklärt Fuest, wie ein erfolgreicher Kapitalismus funktionieren kann: "Wir brauchen keine Gleichmacherei, aber gleicher verteilte Chancen als wir sie heute in vielen Ländern haben." (Aloysius Widmann, 7.12.2020)