Mit Virus-neutralisierenden Antikörpern möchte man die Virusinfektion beschränken oder eliminieren, damit es gar nicht erst zu Organschäden kommt. Experten zufolge ist es wichtig, die Therapieoption so frühzeitig wie möglich anzuwenden, denn dort ist die Erfolgswahrscheinlichkeit am höchsten.

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Im Kampf gegen Covid-19 wird fieberhaft an neuen Therapien geforscht. Aber auch althergebrachte, etablierte Behandlungsmethoden kommen gezielt zum Einsatz. So beispielsweise die passive Immunisierung durch die Übertragung von Antikörpern. Sie wurde von Emil von Behring in den 1890er-Jahren zur Behandlung von Diphtherie entwickelt und wird seither erfolgreich gegen eine Reihe von Infektionskrankheiten eingesetzt.

Diese sogenannte Rekonvaleszenten-Plasma-Therapie ist bei Sars-CoV-2 noch ein experimenteller Behandlungsansatz und eignet sich Experten zufolge nur für spezielle Patientengruppen. In Österreich wurde erstmals im April bekannt, dass am LKH Graz mehrere an Covid-19 erkrankte Patientinnen und Patienten erfolgreich mit Blutplasma behandelt wurden. Mittlerweile sind es österreichweit rund zweihundert.

Stütze für Immunabwehr

Patienten, bei denen die Therapie bisher eingesetzt wurde, leiden an einer Erkrankung des Immunsystems – bedingt durch eine geschwächte Immunabwehr, eine Immununterdrückung nach einer Organtransplantation oder nach einer Krebserkrankung. In Wien, Niederösterreich und dem Burgenland haben bisher mehr als 500 Genesene eine Rekonvaleszenten-Spende abgegeben.

Bei den Spendern ist es wichtig, dass die Covid-19-Erkrankung durch einen PCR-Test oder einen Antikörpertest bestätigt wurde. Besonders gefragt sind Personen, die während der Erkrankung hohes Fieber hatten, da sie dann meistens hohe Antikörperkonzentrationen aufweisen. Bevorzugt werden genesene Männer, da Frauen bei einer Schwangerschaft zusätzliche Antikörper bilden können, die in manchen Fällen für Empfänger von Plasma unverträglich sind. Nur 15 bis 20 Prozent der Freiwilligen kommen für eine Spende überhaupt infrage.

Plasmaspenden werden in einer EU-weiten Datenbank genau dokumentiert. Damit werden sowohl Spenden als auch Transfusionen und Outcome europaweit ausgewertet. "Wir sind all unseren Spendern sehr dankbar für ihre Hilfsbereitschaft", betont Gerda Leitner, Leiterin der Universitätsklinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin an der Med-Uni Wien. "Eine Wunderheilung ist es aber nicht", so Leitner.

Das LKH Graz setzt bereits seit April auf diesen Therapieansatz. Das Rote Kreuz und die Ärztekammer rufen konstant zum Plasmaspenden auf. Erst kürzlich appellierte Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres (ÖAK) wiederholt an Genesene: "Jetzt, wo sich die Spitäler wieder füllen, helfen Plasmaspenden, den Krankheitsverlauf zu erleichtern oder zu verkürzen," sagt er.

Mangel an Evidenz

Die Behandlungserfolge seien unterschiedlich gewesen, heißt es aus dem LKH Graz. Um die Wirksamkeit eindeutig beurteilen zu können, brauche es aber weitere randomisierte Studien. Man hofft, dass die Rekonvaleszenten-Plasma-Therapie bei schweren Fällen weiterhin Erfolge zeigt – und führt sie deshalb auch weiterhin durch. Denn eines hat sich in den letzten Monaten herauskristallisiert: Die Behandlungsmethode ist gut verträglich und schadet den Corona-Patienten nicht. Experten zufolge sei es aber wichtig, die Therapieoption so frühzeitig wie möglich anzuwenden.

Eine im Juli aktualisierte Cochrane Review hat 20 Studien mit 5.211 Teilnehmenden untersucht. Die vorliegenden Arbeiten sind aus Sicht der Autorinnen und Autoren aber von schlechter Qualität. Die Ergebnisse könnten ebenso gut mit dem natürlichen Voranschreiten der Krankheit oder mit anderen Behandlungen zusammenhängen, heißt es.

Eine im November veröffentlichte Studie im "New England Journal of Medicine" (NEJM) will nun herausgefunden haben, dass die Gabe von Rekonvaleszentenplasma bei schwerer Covid-19-Lungenentzündung im Vergleich zu Placebo zu keiner signifikanten Verbesserung des Gesundheitsstatus oder der Gesamtmortalität geführt hat. Die Ergebnisse der Untersuchung stimmen mit einer weiteren Studie aus Oktober überein, die im "The BMJ" veröffentlicht wurde. Sie zeigt, dass Rekonvaleszentenplasma gegenüber dem Behandlungsstandard bei Krankenhauspatienten mit mittelschwerem Covid-19-Verlauf nur eine begrenzte Wirksamkeit beim Stoppen der Krankheit oder bei der Verringerung der Mortalität aufweist.

Die jüngste Studie umfasste 333 hospitalisierte Patienten mit schwerer Covid-19-Lungenentzündung, von denen 228 Rekonvaleszentenplasma und 105 ein Placebo erhielten. Die Ergebnisse belegen, dass am Tag 30 kein signifikanter Unterschied zwischen der Rekonvaleszenz- und der Placebo-Gruppe bestand. Auch am Tag sieben und vierzehn konnten keine signifikanten Unterschiede beobachtet werden. Die 30-Tage-Sterblichkeitsrate betrug für beide Gruppen 10,96 beziehungsweise 11,43 Prozent.

Rechtzeitig einsetzen

Der Studienleiter am Hospital Italiano de Buenos Aires in Argentinien, Ventura Simonovich, gab trotz der Ergebnisse zu bedenken, dass anders als bei schwer Erkrankten die Gabe von Rekonvaleszentenplasma bei leichten bis mittelschweren Verläufen aber immer noch helfen könnte, da man sich im Zuge seiner Untersuchung auf schwer Erkrankte konzentriert habe. Weitere Studien müssten das noch untersuchen. Außerdem regt der Autor an, bei Patienten mit schwerer Erkrankung andere auf Antikörpern basierende Therapien auszuprobieren.

Auch für Gerda Leitner von der Med-Uni Wien steht der Einsatzzeitpunkt der Plasmagabe in kausalem Zusammenhang mit dem Erfolg der Therapie. "Aus der Literatur und den Erfahrungswerten mit Sars-CoV-2 oder Ebola heraus wissen wir, dass manche Patienten auf eine Plasmatransfusion sehr gut ansprechen", betont Leitner. Die Ergebnisse der im Oktober und November veröffentlichten Studien würden erfolgreich dazu beitragen, den richtigen Zeitpunkt für die Plasmatransfusion besser bestimmen zu können. "Das ist ja auch der Sinn solcher Studien. Sie helfen uns herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt Erkrankte am meisten von der Behandlung profitieren können", so die Expertin.

Bestätigt sieht sie das durch eine Untersuchung der amerikanischen Mayo-Klinik mit 42.000 Probandinnen und Probanden. Sie konnte zeigen, dass Patienten, die drei Tage nach einer Covid-Diagnose eine Transfusion bekamen, eine etwas geringere Sterblichkeitsrate hatten als jene, die später behandelt wurden. Allerdings gab es bei der Studie keine Kontrollgruppe, die Ergebnisse sind also nur sehr begrenzt aussagekräftig.

Rasches Handeln

Spät oder zu spät sei im Falle von Sars-CoV-2 das Auftreten von organischen Schäden oder schweren Pneumonien. "Leider macht da eine Plasmagabe gar keinen Sinn mehr", sagt Leitner. Sehr gut angeschlagen hatte der Therapieansatz aber bei einer frühzeitigen Verabreichung. Gesehen habe man das sehr schön bei einem Patienten im LKH Graz. "Der Patient konnte wegen eines primären Immundefekts selbst nicht ausreichend Antikörper bilden", schildert Leitner. Nach der Verabreichung des Rekonvaleszentenplasmas habe er sich aber "rasch wieder erholt", erzählt die Medizinerin.

Für Leitner ist es gerade deshalb auch so wichtig, dranzubleiben und weiterzuforschen: "Das ist noch nicht ausdiskutiert", betont sie. "Wir wissen, dass es etwas bringt, jetzt müssen wir herausfinden, wann genau es am meisten bringt." Neben dem Zeitpunkt der Verabreichung sei aber auch der Antikörper-Titer, ein Maß für die Menge der gebildeten Antikörper, ein wichtiger Parameter, den es noch gezielter zu untersuchen gelte.

Die US-Regierung erteilte bereits im Sommer eine Notfallgenehmigung für die Behandlung von Covid-19 mit Blutplasma. Der Chef der zuständigen Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde (FDA), Stephen Hahn, sprach von begrenzten, aber bisher "vielversprechenden" Daten zur Wirksamkeit.

Zahlreiche Unternehmen arbeiten im Kampf gegen das Virus an der Entwicklung von Arzneimitteln. Eine Gruppe internationaler Konzerne hat sich sogar als Allianz zusammengeschlossen und vereinbart, ein markenloses Anti-Sars-CoV-2-Arzneimittel zu entwickeln und zur Therapie zur Verfügung zu stellen. Dazu zählt auch das japanische Pharmaunternehmen Takeda mit Standort in Wien. Seit über 65 Jahren wird hier an der Entwicklung von Plasmaprodukten gearbeitet. Dabei werden die im Plasma enthaltenen Antikörper in einem komplexen Verfahren konzentriert und haltbar gemacht.

Run auf neue Therapien

Takeda konzentriert sich unter den verschiedenen Antikörper-Gruppen auf Immunglobuline der Klasse G. "Weil sie funktionell die potentesten sind, in genesenen Spendern am längsten anhalten und wir bewiesene und zugelassene Prozesse zur Aufreinigung haben, sie also in unseren Anlagen sofort herstellen können", erklärt Thomas Kreil, Leiter der globalen Pathogensicherheit bei Takeda. Immunglobulin G repräsentiert mehr als 70 Prozent der Immunglobuline in menschlichem Blutplasma. "Daher reichert unsere bewährte Produktionsplattform spezifisch diesen Typ an", erklärt er.

Ein sogenanntes polyklonales Hyperimmun-Immunglobulin soll bei der Behandlung von Personen mit schwerwiegenden Komplikationen von Covid-19 helfen. "Die vom amerikanischen NIAID gesponserte Phase III der klinischen Erprobung hat im Rahmen der 'CoVIg-19 Plasma Alliance' schon begonnen", erklärt Kreil. Anfang Oktober wurde der erste Patient behandelt. In wenigen Monaten soll das Medikament auf den Markt kommen.

Trotz der Studien, die die positive Wirkung von Rekonvaleszentenplasma relativieren, spricht Kreil von einer "immer größer werdenden Evidenz". Denn die "eingeschränkte Aussagekraft vieler Studien liegt an den wenig rigorosen Designs, beispielsweise dem Fehlen von Kontrollgruppen", meint er. Außerdem müsse man zwischen unterschiedlichen Behandlungsansätzen differenzieren. Kreil: "Eine rezente Studie hat keine Wirksamkeit der Behandlung berichtet, allerdings wurde dort spät im Infektionsgeschehen behandelt, zu einem Zeitpunkt, wo schon Endorganschäden aufgetreten waren", betont er.

Takedas Behandlungsansatz zielt auf eine frühe Anwendung ab. Mit Virus-neutralisierenden Antikörpern möchte man die Virusinfektion beschränken oder eliminieren, damit es gar nicht erst zu Organschäden kommt, erklärt Kreil. "Unserer Einschätzung nach sind dort die Erfolgswahrscheinlichkeiten deutlich höher", ist er überzeugt. (Julia Palmai, 10.12.2020)