Seit 20. Jänner 2020 ist Felix Magath Leiter der Sportabteilung von Flyeralarm Global Soccer. Dazu gehört die Admira. Der 67-Jährige sitzt also in der Südstadt, trinkt während des Gesprächs mehrere Tassen Tee. Draußen ist es grau.

STANDARD: Übersteht der Fußball die Corona-Pandemie? Falls ja, wird er daraus Lehren ziehen?

Magath: Von welchem Fußball reden wir? Das Spiel bleibt. Der Sport Fußball hat sich zum Milliardengeschäft entwickelt. Dort, wo viele Milliarden sind, wird Corona nicht so viel anrichten. Wo weniger Gelder sind, wird Corona härter zuschlagen.

Felix Magath lehnt die Inszenierung ab, möchte den "oberflächlichen Wahnsinn" im Fußball und in der Gesellschaft nicht mitmachen.
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STANDARD: Es trifft also die Kleinen. Eine traurige Erkenntnis, oder?

Magath: Ja, sie passt halt nicht in den heutigen Zeitgeist, wo alles schöngeredet wird.

STANDARD: Gab es nicht schon vor Corona Krankheitssymptome, die einfach ignoriert wurden?

Magath: Das Geschäft hat sich vor Jahrzehnten von der Basis entfernt. Es kamen dann die Medien ins Spiel, die erkannt haben, dass in dieser Branche Geld verdient werden kann. Das Ganze hat Fahrt aufgenommen. Die Medien sind nicht schuld an Fehlentwicklungen, aber sie haben die Bedeutung erhöht. In Deutschland war es zunächst überschaubar, es gab ARD und ZDF. Dann kamen die privaten Sender dazu, Fußballshows wurden geschaffen.

STANDARD: Aber Sie sind in die großen Shows gegangen.

Magath: Ja, durch gute Leistungen kommt man da rein, wird eingeladen. Der Verein ist ja daran interessiert, dass über ihn berichtet wird. So bin ich halt hingegangen.

STANDARD: Wurde im Fußball die Moral abgeschafft?

Magath: Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die nicht auf den Fußball beschränkt ist. Man versucht, den Menschen Wohlstand zu geben, zumindest in der westlichen Welt. Das führt zu Auswüchsen, man will immer mehr haben, darin besteht eine große Gefahr.

STANDARD: Kommen wir zur Admira. Der berühmte Herr Magath ist sportlicher Leiter der Flyeralarm Global Soccer, dazu gehören auch die Würzburger Kickers, das Schlusslicht in der zweiten deutschen Liga. Global Soccer klingt nach Übertreibung. Warum tun Sie das? Stillt die Admira die Sehnsucht nach dem kleinen Fußball?

Magath: Wenn man mich gefragt hat, was ich bin, habe ich geantwortet: Fußballer. Ich habe meine Karriere keiner Agentur zu verdanken, es war eine selbstständige Entwicklung. Ich hatte mit 15 ein Angebot von Nürnberg, habe mich nicht getraut, bin in Aschaffenburg geblieben. Ich wollte den normalen Weg gehen, etwas Gescheites lernen. Ich spielte auf der Wiese, der Straße, irgendwann ist die Situation eingetreten, dass ich im Fußball gut war. Ich war ein mittelloser Mensch, meine Mutter war alleinerziehend, wir sind nicht im Geld geschwommen. Meine älteren Kameraden haben mir nach dem Training eine Cola spendiert. Mit 19 Amateur-Oberliga, das war gut, dann Zweite Liga und schließlich der Hamburger SV. Jetzt habe ich aber sehr weit ausgeholt.

"Als ich 2007 bei den Bayern als Trainer entlassen wurde, war ich überhaupt nicht traurig."
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STANDARD: Stimmt. Warum ausgerechnet die Admira?

Magath: Wird man älter, will man Spieler und Mannschaften entwickeln. Als ich 2007 bei den Bayern als Trainer entlassen wurde, war ich überhaupt nicht traurig. Spieler auf diesem Topniveau brauchen den Trainer nicht, ihre Entwicklung ist praktisch abgeschlossen. Sie benötigen eher einen Animateur.

STANDARD: Visionen mit Admira?

Magath: Wie gesagt, ich verspüre den Drang, Spieler zu entwickeln. Ich habe oft Abstiegskandidaten übernommen. Ich habe aus meinem Leben mitgenommen, dass sich die meisten Menschen selbst begrenzen, sich nichts zutrauen. Sie können mehr, als sie glauben. Global Soccer war vor Corona. Meine Aufgabe ist, sportlich etwas entstehen zu lassen. Corona hat das geblockt.

STANDARD: Die Admira hat das Image einer grauen Maus.

Magath: Das steht auf Wikipedia.

STANDARD: Der ehemalige Kanzler Franz Vranitzky hat einmal gesagt, wer Visionen hat, braucht einen Arzt. Ist die Admira ein Patient?

Magath: Natürlich ist sie ein Patient. Vor drei Jahren war sie pleite, das wird vergessen. Ohne Thorsten Fischer und Gerhard Bügler, den Owner von Flyeralarm Österreich, gäbe es heute nichts. Keine Mannschaft, keine Geschäftsstelle, wir säßen nicht hier. Die Admira wäre vielleicht in der zweiten Landesliga Ost. Man schuf wirtschaftliche Grundlagen, sicherte sich durch Spielerverkäufe mit Müh und Not die Lizenz, kam über die Runden. Und da entstand die Idee, dass ich mitmache. Als die Admira Letzter und perspektivlos war. Den Klassenerhalt haben wir trotz winterlicher Fehleinkäufe vor meinem Einstieg, widriger Bedingungen und eines Torjägers Sinan Bakis, der partout nicht mehr spielen wollte, selbst geschafft.

STANDARD: Aber die ersten Monate waren chaotisch, viele Personalwechsel, Niederlagen, keine Kontinuität.

Magath: Es gab keine Zeit zum Einleben, um sich ein fundiertes Bild machen zu können. Es kamen sofort Corona und die Spielunterbrechung. Geschweige denn fanden Partien der Akademie-Mannschaft statt. Es dauert, die Leute urteilen zu schnell, sind oberflächlich. Ich war nie oberflächlich. Aber eines habe ich leider feststellen müssen: Wie der Verein aktuell aufgestellt ist und agiert, da sind wir meilenweit von den Wunschvorstellungen der Owner Fischer und Bügler entfernt.

Hervorragender Schachspieler? "Hervorragend ist eine mediale Übertreibung."
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STANDARD: Passt es mit Sportdirektor Franz Wohlfahrt und Trainer Damir Buric?

Magath: Ich habe den Geschäftsbericht der Austria gelesen. In erinnere mich, dass die Austria zuletzt international mit einem sportlichen Verantwortlichen, der Wohlfahrt hieß, vertreten war. Zweimal. Trotz Budgetkürzungen. Unserem Trainer wurde im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten ein besseres Team zur Verfügung gestellt als in der Vorsaison. Ich bin überzeugt, dass Wohlfahrt und Buric oben bleiben.

STANDARD: Gegen RB Salzburg kann die globale Admira niemals bestehen.

Magath: Das wollen wir auch nicht, das ist nicht unsere Kragenweite, Red Bull macht einen exzellenten Job mit topprofessionellen Mitarbeitern. Wir wollen Spieler formen, die Karriere machen und sich gerne an die Admira erinnern. Wir können uns nicht die Besten kaufen. Schauen Sie nur auf den Transfermarkt. Da wird mit 14-Jährigen gehandelt. Das sind die Auswüchse.

STANDARD: Menschen werden in Schubladen gesteckt, Ihr Spitzname ist Quälix. Mögen Sie ihn? Jan Aage Fjörtoft sagte: "Ob Magath die Titanic gerettet hätte, weiß ich nicht. Aber die Überlebenden wären topfit gewesen."

Magath: Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie man von einem Vorortverein ins WM-Finale kommen kann. Ich bin überzeugt, das gilt auch für andere. Es ist möglich, natürlich fallen die meisten weg. Mein Weg ging über Arbeit, ich kann mit Quälix leben. Bedauerlich ist, dass es nicht mehrere Schubladen sind. Es gibt bei mir, zumindest in Deutschland, nur den Medizinball. Dabei ist der Medizinball ein wunderbares Trainingsgerät. Beim Magath ist er Schikane, Strafe. Man tut dem Medizinball unrecht.

STANDARD: Sie gelten als Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Passen Sie überhaupt zum Fußball 2020?

Magath: In dieser Gesellschaft werden Einzelne an den Pranger gestellt. Ohne Sinn und Verstand. Es wird nicht diskutiert, alles ist plakativ. Ich bin kein Freund der sozialen Medien. Und dann heißt es, man passt nicht in die Zeit. Ich mache den oberflächlichen Wahnsinn halt nicht mit. Die Inszenierung ist wichtiger als der Fußball, das widerstrebt mir. Für mich ist Fußball das schönste Spiel, das es gibt.

STANDARD: Sie gelten als hervorragender Schachspieler.

Magath: Hervorragend ist eine mediale Übertreibung.

STANDARD: Okay, guter Schachspieler. Gibt es Parallelen zum Fußball?

Magath: Ja. Beides findet in einem begrenzten Feld statt, Strategie und Taktik entscheiden. Allerdings spielt beim Schach der Zufall keine Rolle, es ist einfach nur Logik.

STANDARD: Wird der Fußball zu sehr verwissenschaftlicht?

Magath: Selbstverständlich. Überall Daten, Daten, Daten. Die Kreativität geht verloren.

STANDARD: Haben Sie eine Lebensphilosophie, einen Leitsatz?

Magath: Es kommt immer etwas Besseres nach. (Christian Hackl; 4.12.2020)