Die Loretto-Bewegung bezeichnet sich als marianisch.

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Am 8. Dezember soll im Parlament gebetet werden. Auf Einladung von Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka und Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler findet um 18 Uhr eine "adventliche Gebetsfeier" statt, moderiert von Nationalratsabgeordneter Gudrun Kugler (ÖVP) – DER STANDARD wird live berichten. Zentrale Elemente sind zwei "Impulsreferate", die gehalten werden. Eines wird die ehemalige steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic (ÖVP) bestreiten, das andere Georg Mayr-Melnhof. Er ist Jugendleiter der Erzdiözese Salzburg und Gründer der Loretto-Gemeinschaft. Andere Vereine oder Teilorganisationen der katholischen Kirche sind bei den "Impulsreferaten" nicht vertreten.

Zur Verwunderung der katholischen Jungschar, die zuerst nicht eingeladen wurde – und am Freitagabend dann eine Einladung zum Livestream erhielt. "Wir empfinden es als sehr schade, dass nicht wesentlich breiter konfessions- und religionsübergreifend eingeladen wurde", sagt der Vorsitzende Martin Hohl. "Wir hätten uns insbesondere eine stärkere Beteiligung von Kinder- und Jugendorganisationen, auch über den christlichen und religiösen Bereich hinaus, gewünscht." Auch die Katholische Jugend schließt sich diesem Statement an.

Missionieren und 24/7 beten

Was ist das für eine Gemeinschaft, die bei dieser Veranstaltung dafür einen so prominenten Platz erhält?

Die Loretto-Gemeinschaft ist ein Verein und in der katholischen Kirche verankert. Doch auf den ersten – und auch auf den zweiten – Blick ist die katholische Loretto-Gemeinschaft schwer von einer evangelikalen Gruppe zu unterscheiden. Ihre Gottesdienste leben von popmusikalischer Umrahmung, es gibt einen starken Bezug zur Pfingst- und Erweckungsbewegung.

So heißt es etwa in der "Vision" der Gemeinschaft, dem Buch "Pläne des Heils": "Wir sehnen uns nach einem neuen Feuer des Heiligen Geistes in unserem Land, nach einem neuen Pfingsten. Im Herzen der Kirche wollen wir für eine Erneuerung der Kirche beten, wirken und leben. Im Vertrauen auf die Gnade und Charismen Gottes schaffen wir Räume, in denen Gott erfahrbar wird."

Die Gemeinschaft gilt als gut vernetzt und finanziell sehr gut aufgestellt. So war etwa auch Raphael Bonelli schon einmal zu Gast bei einer Loretto-Diskussionsrunde zum Thema "Sex, Kirche, Gott und so ...". Die Bonelli-Familie ist in konservativen Kirchenkreisen äußerst einflussreich; die Cousine von Raphael Bonelli ist mit dem Kabinettschef von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verheiratet.

Szenekenner sprechen von "Evangelikalen innerhalb der katholischen Kirche", sie gelten als äußerst konservativ, bibeltreu und elitär. Auf der Website der Gemeinschaft selbst ist jedoch fast gar nichts zu ihren Positionen zu finden. Dort heißt es: "Informationen sind wichtig, aber Beziehungen sind wichtiger." Deshalb sei es besser, sich persönlich kennenzulernen.

Kein Sex vor der Ehe als Ideal

Manche Zugänge lassen sich jedoch in Vorträgen und Predigten finden. Als große Gefahr wird etwa Pornografie angesehen. Loretto-Vertreter kommen immer wieder darauf zu sprechen. Wenn man Intimität nicht "gesund" lebe, lebe man sie "ungesund", erläutert etwa ein Loretto-"Preacher" in einem Sonntagsvortrag in diesem Zusammenhang.

Sex vor der Ehe gilt als Tabu. So sagt etwa der Regionalleiter für Oberösterreich in einem Interview mit der "Kirchenzeitung": "Wir glauben, dass es eine gute Idee ist, dass man nicht vor der Ehe miteinander schlafen soll." Der Leiter der Gemeinschaft, Maximilian Oettingen, spricht in einer Audioaufzeichnung eines Gebetskreises zum Thema "Holy Sex" darüber, dass das "Wesen von Mann und Frau" unterschiedlich sei. Die Herausforderung für Frauen sei, sobald sie sich in die Männerwelt hineintrauen würden, sich dort hineinzubegeben und sich "nicht zu prostituieren." Die Herausforderung für den Mann sei hingegen, Frauen "anzuschauen ohne Kopfkino".

Das Angebot der Loretto-Gemeinschaft ist sehr umfangreich – sowohl auf medialer als auch auf organisatorischer Ebene. An mehreren Tagen die Woche gibt es ein Gebet oder eine andere Veranstaltung, die live gestreamt wird – vor allem jetzt, in Corona-Zeiten. Etwa mit dem Format "Home Church TV", bei dem über Youtube regelmäßig Lobpreisungen, Gebete und Gottesdienste übertragen werden.

Pandemischer Segen

Auch die aktuelle Pandemie ist immer wieder Thema. Der Leiter der "Home Mission Base" in Salzburg möchte diesbezüglich Hoffnung verbreiten: "Before every blessing there is a testing", sagt er dazu. Und: Gott prüfe Menschen. Aber nicht etwa so, wie man bei einer Matura geprüft werde. Sondern so, wie ein Baumeister geprüft werde, wenn man mit einem großen Gewicht über eine Brücke fahre. Gott prüfe zudem, ob man "vorbereitet" sei, und er habe "immer ein gutes Ziel". Vielleicht komme "aus dieser pandemischen Krise ein pandemischer Segen auf uns alle zu".

Ein starker Fokus der Gemeinschaft liegt auf dem Kontakt zu Jugendlichen. Dafür werden nicht nur Events ausgerichtet, sondern auch eigene Programme geschaffen. So gibt es etwa die "Home-Akademie", bei der Jugendliche und junge Erwachsene zu "Jüngern" ausgebildet werden sollen. Geworben wird dafür unter anderem so: "Als Jünger lernst du praxisnah einen kraftvollen Reich-Gottes-Lebensstil."

Es werden verschiedene "Jüngerschaftsprogramme" angeboten, manche gehen mehrere Monate lang, diese werden als "Vollzeit-Jüngerschaft" bezeichnet. Kosten: 700 Euro pro Monat "all inclusive" mit Unterkunft. Es wird beschrieben als ein "Prozess, der nicht an Deinem Verhalten, sondern (...) an Deinem Charakter arbeitet". Man bekommt einen "eigenen Buddy", der sich um einen kümmern soll.

Gemeinsame Quarantäne

Die Bereitschaft, Opfer für die Gemeinschaft zu bringen, dürfte überhaupt hoch sein: So haben sich etwa laut Eigenangaben in der "Home Mission Base" in Salzburg, einem Zentrum der Loretto-Gemeinschaft inklusive Übernachtungsmöglichkeiten, im Frühling 50 junge Menschen dutzende Tage lang freiwillig gemeinsam in Quarantäne begeben.

Verbindungen gibt es zudem zur umstrittenen Organisation ("Ministry") "Marked Men for Christ" (MMFC), die international tätig ist. Mehrere Loretto-Vertreter, darunter der Gründer Mayr-Melnhof, machten Werbung für MMFC-Veranstaltungen, etwa für Wochenenden, wo Männer – Frauen sind nicht zugelassen – sich auf eine "Lebensveränderung" einlassen sollen, wie es MMFC selbst beschreibt. Es gehe darum, "stärkere Männer für Jesus" zu erschaffen, indem sich diese "maßgeblich erneuern". Dabei sollen die Teilnehmer im Rahmen eines 44-stündigen Prozesses "die Wahrheit frei machen", wobei die Sicherheit der Teilnehmer "wichtig" sei.

Missionieren

Das Adventgebet im Parlament wird, beispielsweise von Kugler oder der dort lesenden Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP), als überkonfessionell beworben. Die Loretto-Gemeinschaft ist hingegen explizit missionarisch tätig. "Wir wollen Menschen zu Christus führen beziehungsweise Christus den Menschen bringen. Eine Kirche, die nicht missionarisch ist, ist keine Kirche", sagt Mayr-Melnhof in seinem mit Oettingen verfassten Buch "Pläne des Heils". Auf eine Anfrage des STANDARD reagierte Mayr-Melnhof am Montag nicht.

Aus der Parlamentsdirektion heißt es, dass es sich "um eine Veranstaltung des Nationalratspräsidenten gemeinsam mit der Bundesratspräsidentin" handelt. Sämtliche Kosten würden durch die Parlamentsdirektion getragen, der Livestream mache 6.000 Euro aus. Dieser wird aus lizenzrechtlichen Gründen tatsächlich nur "live" sein, also nicht in die Mediathek des Parlaments wandern.

Die Veranstaltung ist nun nicht mehr, wie einst angekündigt, überfraktionell. Tatsächlich sollen laut neuestem Aviso nur mehr türkis-blaue Politiker vorbeten, nämlich Martin Engelberg, Rebecca Kirchbaumer (beide ÖVP) sowie Christian Ragger und Philipp Schrangl (beide FPÖ). Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) wird eine Videobotschaft schicken. Ursprünglich hätten auch Abgeordnete von SPÖ, Neos und Grünen mitbeten sollen. (Vanessa Gaigg, Fabian Schmid, 8.12.2020)