Ein ständiger Begleiter des Buwog-Verfahrens ist unser brillanter Karikaturist Oliver Schopf. So beobachtete er die Aufnahme des Urteilspruchs durch Richterin Hohenecker bei den Hauptangeklagten.

Foto: Oliver Schopf

Elf Jahre hat es bis zum Urteil zur Causa Buwog gedauert, 169 Tage lang wurde verhandelt, 156.000 Gigabyte (GB) an elektronischen Daten untersucht. DER STANDARD berichtete drei Jahre lang über den Prozess. Unsere User verbrachten 326.635 Stunden in den Tickern. Ein Rückblick.

Der Anwalt trägt Prada

Einer sorgte immer für Aufsehen im Großen Schwurgerichtssaal im Grauen Haus: Anwalt Michael Dohr in seinem doch ein wenig auffälligen Outfit. Der Strafverteidiger eines Porr-Managers (Sub-Causa Linzer Terminal Tower) trat stets in seinen bunten Anzügen auf, grellrosa war da noch das Dezenteste.

Am ersten Verhandlungstag im Dezember 2017 trug er Modell "Money Print" aus Vivienne Westwoods Herbstkollektion 2015. Wenige Tage später war es Pink (Moschino; Kollektion Herbst 2016), wieder später Pink mit buntem Würfelmuster (siehe Foto) oder, ein anderes Mal, schwindelerregendes Schwarzweiß-Kariert (Enrico Coveri).

Anwalt Dohr hat mit seinen bunten Anzügen für Aufsehen gesorgt.
Foto: APA/HANS PUNZ

Eigentlich scheint es in Dohrs Kleiderkästen für seine rund 50 Anzüge und in seinen Schuhregalen nichts zu geben, was es nicht gibt – passendes Schuhwerk trägt er selbstredend auch. Man könnte sagen, der Mann sei der bunte Hund seiner Branche – dort erregen seine Laufstegauftritte aber Stirnrunzeln.

Nicht von ungefähr trug es sich im März 2018 zu, dass der Präsidentenrat der Anwaltskammern allen Kollegen empfahl, vor Höchst-, Geschworenen- und Schöffengerichten wie Richter und Staatsanwälte ihre Talare zu tragen. Die von Manfred Ainedter geführte Vereinigung der Strafverteidiger schloss sich der Lex Dohr umgehend an.

Trotzdem blieb alles beim Alten. Dohr ("Ich lasse mir meine Individualität nicht nehmen") blieb bunt, seine Kollegen blieben grau. Talare zogen sie aber nicht an. (gra)

Auf Kriegsfuß mit den Medien

Mit den Medien standen die Hauptangeklagten auf schlechtem Fuß. Karl-Heinz Grasser, Walter Meischberger und Ernst Plech fühlten sich vorverurteilt, ein von ihnen beauftragter deutscher Gutachter hat das untermauert. Liveticker wie den des STANDARD wollten sie vom Gericht verbieten lassen (vergeblich), eine Journalistin zeigten sie wegen einer Interviewpassage an, die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein.

Meischberger setzte für den Prozess eine eigene Homepage auf.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Angesichts dieser Vorbehalte offenbar entschloss sich Meischberger zur Befüllung einer eigenen Website: derbuwogprozess.at. Man wolle damit eine faire Informationsgrundlage für Interessierte gewährleisten, heißt es im Impressum. Für die redaktionelle Umsetzung sorgte ein PR-Berater. Grassers Anwalt Manfred Ainedter beteiligte sich oft am Geschehen im STANDARD-Forum. Nicht müde wurde er, die Tickerinnen auf "Hasspostings" hinzuweisen, "muss man sich das gefallen lassen?", fragte er. (Nein, sie wurden gelöscht.) (gra)

Fatale Tweets des Mannes der Richterin

Tweets von Strafrichter Manfred Hohenecker haben die Arbeit seiner Ehefrau Marion nicht gerade erleichtert. Immer wieder kämpften die Anwälte Grassers und Meischbergers darum, die Ablehnung der Richterin wegen Befangenheit durchzusetzen – weil ihr Mann Grasser gegenüber negativ eingestellt sei. Sie begründeten das mit Tweets wie dem zu einem Tatort von 2015‚ in dem es um Selbstjustiz ging: "Gäb’s den #tatort wirklich, wäre #grasser in Lebensgefahr." Für den Präsidenten des Straflandesgerichts Wien kein Grund, die Richterin als befangen zu sehen; sie sagte, sie habe die Tweets gar nicht gekannt. Den Ablehnungsantrag am 107. Verhandlungstag (der OGH hatte dem Richter ein Dienstvergehen attestiert) wies dann der Richtersenat zurück. (gra)

Der Richterin Hohenecker wurde von Grasser Befangenheit vorgeworfen.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Zahlen und Daten zur Causa Buwog

Schon das Ermittlungsverfahren zur Causa Buwog war rekordverdächtig, es dauerte sieben Jahre. Zunächst war gegen 55 Personen ermittelt worden, 206 Aktenbände mit je mehreren hundert Seiten wurden bearbeitet, 156.000 Gigabyte (GB) an elektronischen Daten untersucht. Befragt wurden rund 700 Zeugen, Beschuldigte, Auskunftspersonen, 660 Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen oder Kontoöffnungen wurden angeordnet, 40 Rechtshilfeersuchen gestellt.

Auch die Hauptverhandlung im Großen Schwurgerichtssaal ließ sich sehen. Mit Angeklagten und Privatbeteiligten, die sich dem Verfahren mit Schadenersatzansprüchen angeschlossen hatten, gab es um die 40 Leute mit Parteienstellung. (gra)

Die User und ihr Buwog-Lexikon

Mehr als 6500 Zeilen lang ist das Lexikon der STANDARD-Community. Nach jedem Tickertag wurde die Onlinesammlung aktualisiert und mit "Schmankerln" des Prozesstages befüllt: Postings, Zitate aus dem Gerichtssaal und sogar Gedichte sind in dem Dokument zu finden. Nicht alle goutierten der Humor der User, die die Sammlung "anarchisch-kooperatives Satireprojekt" nannten. Auf der Website von Meischberger ist von einer "medialen Vorverurteilung" zu lesen. Das Interesse der User blieb aufrecht: 326.635 Stunden verbrachten diese in den Tickern und verfassten 216.000 Postings. (lauf)

Gerichtsinventar mit Blitzfingern

Mit Brille auf der Nase, Laptop auf den Knien und Wasserflasche zu Füßen entwickelte sich STANDARD-Redakteurin Renate Graber in den vergangenen drei Jahren beinahe zum Inventar des Großen Schwurgerichtssaals. Sie tickerte mitunter von frühmorgens bis Prozessende – eine "Granate", wie User es formulierten. Dabei entstand eine nahezu militärische Routine: Graber saß stets in der vierten Reihe am vierten Platz – von vorne betrachtet. Die Liveticker wurden konsequent mit einem "Guten Murmeltiermorgen" eröffnet. Große Unterstützung erhielt Graber dabei regelmäßig von Nora Laufer, die sich ebenfalls voll in die Tickerei schmiss, die Lage stets überblickte und die Ruhe bewahrte.

Tickerin Graber ist auch auf diesem Bild zu sehen – wenn auch nur sehr klein.
Foto: EPA/Schlager

Im Forum erhielt "Tickerina" gra Lob, aber auch eine üble Nachrede: So stand Graber wiederholt in der Kritik, das Internet "gelöscht" zu haben. Tatsächlich waren diverse Tickerpausen oft auf die miserable WLAN-Verbindung im Gerichtssaal zurückzuführen. Dessen Ambiente Graber zwar schätzt (die Stuckdecke!), nicht aber die dort vorherrschende Temperatur: Regelmäßig kam die Journalistin nach einem Prozesstag durchfroren in die Redaktion zurück.

Wenig Freude bereitete Grabers Tickerei offenbar dem Angeklagten Walter Meischberger. Ende November 2018 meldete er sich selbst im Forum zu Wort. Eher uncharmant beschrieb er Grabers Beiträge als einen "mit linkem Gedankenmüll verstopften Graber-Filter". Weder diese Zuschreibung noch der Vorwurf "frustiger Ausrotzer", änderte etwas an der für so manchen überraschend positiven Stimmung im Gerichtssaal. Während der Pausen wurde getratscht, an besonders langen Tagen Schokolade herumgereicht.

Die Routine zog sich bis zum Ende der Prozesstage durch: Auf das letzte Wort der Richterin folgte beinahe immer ein Gedicht von Joachim Ringelnatz. Vorausgesetzt, das Internet wurde nicht bereits vorher fremdgelöscht. (red, 5.12.2020)