Zahlreiche Flüchtlinge aus dem Nachbarland Äthiopien suchten Zuflucht im Sudan.

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Was sollen angesichts der weltweiten Klagen über das "Schreckensjahr 2020" die Sudanesen sagen? Auch ihr Staat wurde von den beiden Geißeln des Jahres, Covid und Trump, in Mitleidenschaft gezogen. Doch darüber hinaus haben es die Nordostafrikaner, die sich vor eineinhalb Jahren mit einer glorreichen Revolution ihres Diktators Omar al-Bashir entledigten, auch noch mit den Folgen einer Jahrhundertüberschwemmung, eines Bürgerkriegs im Nachbarland Äthiopien, einer akuten Wirtschaftskrise sowie eines explosiven Machtkampfs zwischen der Zivilregierung und den hartnäckigen Militärs zu tun. "Der Sudan trudelt in eine vielfältige Krise, die im allgemeinen Chaos dieses Jahres viel zu wenig Beachtung findet", urteilt Zachary Donnenfeld vom Institut für Sicherheitsstudien (ISS).

Premierminister Abdalla Hamdok steht das Wasser bis zum Hals. Kürzlich drängte ihn US-Präsident Donald Trump zu einer radikalen Neuausrichtung seiner Außenpolitik: Nur wenn er mit Israel Frieden schließe, würden die USA die einstige Islamische Republik von ihrer Terrorliste streichen. Nicht die einzige Bedingung für den längst fälligen Schritt: Die sudanesische Regierung musste sich außerdem zur Zahlung von 335 Millionen Dollar Entschädigung für die Terroranschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im Jahr 1995 bereit erklären: zehn Millionen Dollar für jeden getöteten US-Beamten, 800.000 für Nichtamerikaner.

Auf Hilfe angewiesen

Hamdok musste dem Druck aus Washington weichen: Nur auf diese Weise konnte er mit einem Hilfspaket in Höhe von 80 Millionen Dollar rechnen. Nach den schlimmsten Überflutungen des Landes seit über 30 Jahren ist Khartum dringend auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen: Mehr als 100 Menschen ertranken, mehr als 500.000 verloren ihr zu Hause, die Ernte von mehr als eine Million Tonnen Weizen und Sorghum wurde zerstört. Ein großer Teil der Sudanesen muss derzeit mit einer Mahlzeit am Tag auskommen: Das humanitäre UN-Hilfswerk OCHA konnte sich von den 1,6 Milliarden Dollar, die es für die Unterstützung des Sudans braucht, bislang nicht einmal die Hälfte sichern.

Unterdessen führen die Überschwemmungen zu Wellen an Darmerkrankungen und Malaria: Mit weit über einer Million Fällen pro Monat hat das Sumpffieber in 15 der 18 Provinzen des Landes epidemische Ausmaße erreicht. Auch die Corona-Pandemie droht außer Kontrolle zu geraten: Die Zahl der gemeldeten Covid-Fälle erhöhte sich in den vergangenen Wochen von zehn auf 50 pro Tag. Das Gesundheitssystem ist so gut wie zusammengebrochen: Entbindungsstationen wurden geschlossen, mehr als 100.000 Kinder können nicht mit den nötigen Impfungen versorgt werden. Im Osten des Landes bahnt sich indessen eine weitere Katastrophe an: Dort sind rund 50.000 ausgehungerte Flüchtlinge aus der äthiopischen Tigray-Provinz dringend auf Hilfe angewiesen.

Nahrungsmittelpreise verdreifacht

Von Katastrophen und politischer Instabilität geschwächt, verlor das sudanesische Pfund in den vergangenen zwei Jahren mehr als Zwei Drittel seines Werts. Der Preis von Nahrungsmitteln verdreifachte sich im vergangenen Jahr, eine Durchschnittsfamilie muss inzwischen 75 Prozent ihres Einkommens für Essen ausgeben. Wenn jemand von der Notlage profitiert, dann ist es das Militär, das sich als Garant der Stabilität präsentiert: Die Verantwortung für die prekäre humanitäre Lage wird der Zivilregierung zugeschoben.

Noch ist nicht ausgemacht, wie der Machtkampf zwischen dem Militär und der Zivilgesellschaft als Mutter der Revolution ausgehen wird. Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti), der steinreiche Befehlshaber der Rapid Support Forces (RSF), gilt als Kandidat für einen erneuten Militärputsch. Hemeti raffte sich seinen Reichtum in den inoffiziellen Goldminen seiner Heimat, den Darfur-Provinzen, zusammen und verleiht seine Kämpfer für gutes Geld an arabische Freunde wie das saudische Königshaus oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Seine Milizionäre kämpfen im Jemen und in Libyen und sollen selbst von der EU für die Kontrolle des Flüchtlingsstroms vom Horn von Afrika ans Mittelmeer Geld bekommen. Ein Mann mit dunkler Vergangenheit und gefährlich glänzender Zukunft. (Johannes Dieterich, 7.12.2020)