Polizisten bewachen eine Trauerfeier nach dem Terroranschlag in Wien. Die Regierung hat als Reaktion auf die Tat ein Antiterrorpaket angekündigt.

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Seine Karriere als Verteidiger begann Richard Soyer in den 1980er-Jahren, als er Asylwerber vertrat, denen man Drogendelikte vorwarf. Mittlerweile ist Soyer seit 15 Jahren Universitätsprofessor, derzeit an der JKU Linz, und meist nicht fern, wenn ein hochkarätiger Fall in der Öffentlichkeit auftaucht. Anlässlich seiner gemeinsam mit der Anwältin Alexia Stuefer herausgegebenen Glossensammlung "Der Kampf um das Strafrecht" hat sich DER STANDARD mit ihm über rechtspolitische Entwicklungen unterhalten.

STANDARD: Wenn Politiker Fehler machen, ist die höchste Konsequenz der Rücktritt. In Ihrem Buch bringen Sie aber das Strafrecht ins Spiel. Was meinen Sie damit?

Soyer: Politiker sind, genauso wie Topmanager, nicht sakrosankt. Sie haben einen breiten Ermessungsspielraum. Aber es gibt nicht nur eine politische Verantwortung, sondern auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit, mit der man Politiker konfrontieren kann. Das betrifft insbesondere grob rechtswidrige Entscheidungen von Politikern in der hoheitlichen Verwaltung und in der Privatwirtschaftsverwaltung.

STANDARD: Um diese Entscheidungen bewerten zu können, fordern Sie eine "political judgement rule", die transparent macht, ob auch krasse Fehlentscheidungen aufgrund des damaligen Wissensstands von Politikern vertretbar waren.

Soyer: Diese täte not angesichts der Orbánisierungs- und Trumpisierungstendenzen auch in Österreich, wo Hundertschaften in den Kabinetten der Ministerien damit beschäftigt sind, die Medien "gleichzuschalten"; wo man mit Inseratenvergaben so umgeht, dass es einem die Haare aufstellt, und wo es eine Presseförderung gibt, die mehr als hinterfragenswert ist.

STANDARD: Sie stoßen sich an der Politisierung der Rechtsentwicklung. Wie beurteilen Sie das Antiterrorpaket der Regierung?

Soyer: Mit einem nahezu atemberaubenden Tempo wird versucht, politisches Kleingeld mit dem Strafrecht zu machen. Ich halte das für eine extrem gefährliche Entwicklung. Die angedachten Strafbestände sind fast nicht greifbar. Es scheint um Symbolik zu gehen.

STANDARD: Österreich hat ja ohnehin schon sehr strenge Antiterrorgesetze.

Soyer: Man muss diese halt auch anwenden. Defizite in der Anwendung der Instrumentarien dafür heranzuziehen, neue Strafgesetze zu beschließen, die gar nicht ausgereift sind und die missbrauchsanfällig sein werden, wie nur irgendwie denkbar – das ist nichts anderes als ein Versagen der Politik, die versucht, das Versagen der Behörden zu kaschieren.

STANDARD: Was wäre eine Alternative?

Soyer: Man sollte endlich aufhören, die Justiz zu Tode zu sparen und den Polizeiapparat mit Geld zu überschwemmen, sondern qualitativ ausbauen und nicht nur quantitativ-personell aufstocken. Ich glaube auch, dass die Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ein hochaktuelles Thema ist.

STANDARD: Sie plädieren dafür, zivilen Ungehorsam auch verfassungsrechtlich zu berücksichtigen. Was meinen Sie damit?

Soyer: Ziviler Ungehorsam adressiert keine kleinen Probleme, sondern Vorgänge, welche die Gesellschaft als Ganzes gefährden. Hier gibt es schon jetzt zum Teil verfassungsrechtlichen Schutz, insbesondere durch Rechtfertigungstatbestände, die direkt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention abzuleiten sind.

STANDARD: Sie vertreten einen Beschuldigten im Ibiza-Video-Verfahren; wäre das ein Beispiel?

Soyer: Beim Ibiza-Video ging es ja um keine Banalitäten, sondern um etwas, das als sehr großer Störfaktor in unserer Gesellschaft erscheint. Zu Details im Verfahren kann ich nichts sagen. Aber grundsätzlich gilt: Man ist damit konfrontiert, dass die dafür gewählten oder bestellten Amtsträger dem Rechtsstaat nicht immer zum Durchbruch verhelfen. Daher bedarf es bisweilen mutiger Maßnahmen der Zivilgesellschaft, damit unser demokratisch-rechtsstaatliches System geschützt wird. Die Whistleblower-Richtlinie ist hier etwa ein Schritt in die richtige Richtung.

STANDARD: Sie kritisieren, dass mediale Vorverurteilungen zum immer größeren Problem werden. Sollten sie ein Milderungsgrund bei einem Urteil werden?

Soyer: Mediale Vorverurteilungen sind eine Art moderner Pranger, sie wirken teils stärker und länger als eine gerichtliche Verurteilung. Ganz abseits davon: Strafverfahren müssen viel rascher durchgeführt werden. Außerdem kann die Pressearbeit bei der Staatsanwaltschaft und bei Gericht verbessert und zentralisiert werden. Es kann nicht sein, dass die Polizei statt der Staatsanwaltschaft über die Ermittlungen informiert, in einer überbordenden Art, die nicht ihr Job ist.

Anwalt Richard Soyer (rechts) gemeinsam mit dem Steuerberater Dietrich Birnbacher vor Beginn einer Verhandlung in der Causa Birnbacher am Obersten Gerichtshof in Wien 2014.
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STANDARD: Wird generell zu streng geurteilt?

Soyer: Jede Gesellschaft wird Grenzübertretungen mit Sanktionen belegen. Die Frage ist: Wie gestaltet man das aus? In Österreich ist hier seit der Jahrtausendwende ein Stillstand eingetreten. Wir haben damals die Diversion ins Leben gerufen; es gibt aber noch viele andere Vorschläge, um die Sanktionierung sozial sinnvoller und die Resozialisierung fördernder zu gestalten. Stattdessen wird aber dauernd etwas hinaustrompetet, um sich politisch zu profilieren.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Lage im Strafvollzug?

Soyer: Unsere Gefängnisse sind überfüllt, das Ziel der Resozialisierung kommt zu kurz. Man begnügt sich mit dem Wegsperren. Es gibt viele Alternativen zur Haft, die ausgebaut werden sollen. Ich sehe einen Lichtblick bei der Tendenz, die Fußfessel breiter anzuwenden.

STANDARD: Jetzt plant die Regierung, verurteilte, "gefährliche Terroristen" im Maßnahmenvollzug unterzubringen.

Soyer: Ich halte den Maßnahmenvollzug grundsätzlich für eine sinnvolle Sache, auch wenn das menschenrechtlich immer ein Drahtseilakt ist. Eine Reform ist hier überfällig. Den Maßnahmenvollzug jetzt für Gesinnungsstraftaten heranzuziehen gleicht dem Öffnen der Büchse der Pandora, denn das kann sich rasch gegen jede beliebige Gesinnung richten. Die existierenden Probleme werden nicht in Angriff genommen, obwohl es sinnvolle Ideen gibt. Dafür benützt man das Attentat, um Showpolitik zu machen. (Fabian Schmid, 7.12.2020)