60 Millionen Dosen des Valneva-Impfstoffs hat sich bereits die britische Regierung gesichert. Mit der EU-Kommission ist das Biotechnologieunternehmen mit Forschungszentrale in Wien und Hauptsitz in Lyon laut Eigenangaben im Gespräch.

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An der Adresse Campus Vienna Biocenter 3 in Wien-St.Marx herrscht dieser Tage trotz Corona – oder gerade wegen der Pandemie – Hochbetrieb. Einen Steinwurf von dem futuristisch anmutenden Riesengebäude entfernt, in dem Magenta einquartiert ist, hat im dritten Wiener Bezirk die Firma Valneva ihren Sitz. Dieses Biotechnologieunternehmen, das 2013 aus der Fusion der Intercell AG mit der französischen Vivalis SA hervorgegangen ist, forscht an diesem Standort seit vielen Jahren an Impfstoffen.

Seit Ende Februar, Anfang März ist auch bei Valneva Covid-19 beziehungsweise die Bekämpfung dieser bisher unbekannten Infektionskrankheit das alles bestimmende Thema. "Wir haben überlegt, was unser Beitrag sein könnte, wo wir uns vom Mitbewerb abheben, einen anderen Ansatz wählen könnten", erzählt Valneva-Österreich-Chef Thomas Lingelbach dem STANDARD.

Impfstoff für besonders anfällige Personen

Unternehmen wie Biontech und Pfizer, die bereits um Zulassung für ihren gemeinsam entwickelten Impfstoff angesucht haben, seien mit der neuartigen mRNA-Technologie im Frühjahr bereits uneinholbar vorn gewesen. "Deshalb haben wir uns für einen konventionellen Ansatz entschieden – einen klassischen, inaktivierten Impfstoff, wie es sie seit den 1950er-Jahren gibt. Aufgrund dieser großen Erfahrungswerte gehen wir davon aus, dass sich unser Covid-19-Impfstoff speziell auch für besonders anfällige Personen eignet", sagt Lingelbach.

Auch wenn man in der Entwicklung rund sechs Monate hinter den Frontrunnern zurückliege, sehe man gerade in so einem Wirkstoff, der vielfach erprobt ist, gute Marktchancen. Tatsächlich hat Valneva bereits einen Vertrag über die Lieferung von 60 Millionen Impfstoffdosen bis Ende 2021 mit der britischen Regierung abgeschlossen, zum Stückpreis von acht Euro, in Summe sind es also 480 Millionen Euro.

Auftrag von britischer Regierung

Die Briten zahlen laut Lingelbach "einen wesentlichen Beitrag zu den klinischen Studien" und unterstützen auch den Ausbau der Produktionskapazitäten mit finanziellen Mitten. "Wir müssen zu keinem Zeitpunkt unser Geld hineinstecken, weil die britische Regierung uns den laufenden Projektfortschritt finanziert. Am Ende wird das, was sie vorfinanziert haben, vom Kaufpreis abgezogen." Der Vorteil für ein mittelständisches Unternehmen wie Valneva liege auf der Hand. Lingelbach: "Sollte etwas schiefgehen, haben wir keine Rückzahlungsverpflichtung. Das ist essenziell für uns. Solche großen Sachen könnten wir nicht stemmen, wenn wir das komplette finanzielle Risiko tragen müssten."

Mit einer kombinierten Phase-I- und Phase-II-Studie und 150 Probanden wird dieser Tage in Großbritannien begonnen. Ergebnisse daraus soll es Anfang April geben. Parallel wird bereits die Phase-III-Studie vorbereitet. Die Zulassung des Impfstoffs wird für den Spätsommer 2021 angepeilt. Produziert werden soll er ab Jahresbeginn 2021, auch wenn sich das Produkt dann noch in der klinischen Phase befindet. Ohne diesen frühen Produktionsbeginn könne man die Lieferverpflichtung nicht einhalten.

Qualitätsprüfung erfolgt in Wien-St. Marx

Produziert wird der Wirkstoff in Livingston nahe Edinburgh, in Schweden wird formuliert, abgefüllt und abgepackt. Die Entwicklungsarbeiten hingegen finden zur Gänze in Wien statt. Wien ist auch der zentrale Qualitätsstandort. Alle Produkte, die Valneva in Schottland oder Schweden produziert, werden in St. Marx getestet, bevor sie für den Markt freigegeben werden. Die Zahl der Mitarbeiter in Wien soll bis Sommer von derzeit gut 200 auf 230 bis 240 steigen. Insgesamt beschäftigt Valneva in sechs Ländern rund 600 Mitarbeiter; die Zahl soll bis Ende 2021 auf rund 700 steigen.

Die Produktionskapazität in Schottland wird auf 200 Millionen Dosen pro Jahr ausgebaut. Auch mit der EU-Kommission sei man über die Lieferung von Impfstoffen der klassischen Sorte im Gespräch. Diese macht den Einkauf zentral für alle 27 Mitgliedsländer und somit auch für Österreich.

Technologiebörse Nasdaq im Visier

Beim Merger vor sieben Jahren haben die Franzosen Startkapital eingebracht. "Im Gegenzug haben wir Intercell in Frankreich inkorporiert", sagt Lingelbach, der bei Intercell schon mit dabei war. Unternehmenssitz war zu Beginn Lyon und ist jetzt Nantes.

Das französisch-österreichische Unternehmen ist an der Euronext-Börse in Paris gelistet und war bis vor einem Jahr auch an der Wiener Börse notiert. "Wir haben vor eineinhalb Jahren die Absicht bekundet, in den USA an die Börse zu gehen. "Weil wir nicht drei Listings haben können, haben wir das mit der geringsten Liquidität aufgegeben – Wien", sagt Lingelbach. Der Börsengang in den USA ist für die erste Jahreshälfte 2021 geplant, und zwar an der Technologiebörse Nasdaq. (Günther Strobl, 8.12.2020)