Kurz zwischen Kogler und Anschober: Man merkt der Regierung angesichts der Fehler und Pannen eine starke Verunsicherung an.

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Dieser Tage teilen auch Grüne gern ein Foto, das gerade eifrig durch die Social-Media-Kanäle gereicht wird. Es zeigt Karl-Heinz Grasser, soeben in erster Instanz zu acht Jahren Haft verurteilt, gemeinsam mit Sebastian Kurz. Es ist ein älteres Foto. Man muss gar nichts dazu schreiben, die Häme ist greifbar: Die zwei passen zueinander.

Es ist eine offensichtliche und demonstrative Respektlosigkeit gegenüber dem Kanzler. Die Grünen tun dieser Tage viel, um ihre Distanz zum Koalitionspartner greifbar zu machen. Der Einschätzung des grünen Vizekanzlers Werner Kogler, der seinem Partner mangelnde Sensibilität vorgeworfen hatte, schlossen sich der Reihe nach viele grüne Vertreter an. Kurz hatte gemeint, das Coronavirus sei im Sommer durch bei uns lebende Ausländer "eingeschleppt" worden. Manche empfanden das als Fremdenfeindlichkeit. Kurz habe reflexartig Vorurteile gegen Migranten bedient und Sündenböcke für das eigene Versagen gesucht und gefunden. Die Empörung bei den Grünen war durchaus vielfältig. Man hatte fast den Eindruck, hier wurde ein Ventil geöffnet, um dem längst herrschenden Unmut über den Kanzler ein wenig Luft zu machen. Für Kurz selbst waren die Vorwürfe allesamt "absurd".

Schluss mit lustig

Nahezu im gleichen Atemzug hielten grüne Abgeordnete auch fest, dass sie selbstverständlich nicht an jenem seltsamen Gebetskreis im Parlament teilnehmen würden, den die ÖVP für kommende Woche organisiert hat. Die Grünen machen ja viel mit, sie verweigern auch die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen des ORF, wenn der ÖVP das gefällt, aber bei der "adventlichen Gebetsfeier" ist dann doch Schluss mit lustig.

Dass die Koalition mit der ÖVP unter Kurz nicht einfach werden würde, war den Grünen von Beginn an klar. Zu weit liegen die beiden Parteien inhaltlich und ideologisch auseinander, ist ja kein Geheimnis. Aber es kam ganz anders. Nämlich Corona. Damit war alles, was sich Grüne oder ÖVP für die Legislaturperiode vorgenommen hatten, über den Haufen geworfen.

Kein Potenzial zur Sprengung

Das gefürchtete Migrationsthema spielt in der Realpolitik und in der öffentlichen Wahrnehmung bestenfalls eine untergeordnete Rolle und hat daher nicht das Potenzial, die Koalition zu sprengen.

Sonst läuft nicht viel für die Grünen, sie mussten sich von ihren Themen verabschieden: Vom Klimawandel redet niemand mehr. Alle fürchten sich vor dem Virus. Umweltministerin Leonore Gewessler, die mit ihrer Expertise neben Schwurbel-Großmeister Werner Kogler der grüne Superstar im Team hätte werden sollen, ist de facto unbekannt geblieben. Sie kommt nicht durch. Stattdessen wurde Rudi Anschober, der eigentlich die dritte Geige hätte spielen sollen, der neue grüne Solist. Mittlerweile hat sich dessen professorale Betulichkeit aber auch stark abgenützt.

Unterschiedliche Auffassungen

So gut die Krisenbewältigung begonnen hatte, so schwer hat sie gelitten: Nicht alles ist selbstverschuldet, aber man merkt der Regierung angesichts der Fehler und Pannen eine starke Verunsicherung an. Immer offensichtlicher wird auch, dass die Koalitionspartner in der Bekämpfung der Pandemie unterschiedliche Auffassungen haben und nicht am gleichen Strang ziehen. Die gegenseitige Skepsis und offen zutage tretende Feindseligkeiten drohen den real angewandten Pragmatismus, mit dem man sich die ungewöhnliche Liaison schöngefärbt hatte, nachhaltig zu untergraben. (Michael Völker, 6.12.2020)