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Großbritanniens Unterhändler David Frost ist mit seinem Team nun auch wieder in Brüssel eingetroffen.

Foto: AP / Francisco Seco

Nach der längst erwarteten Intervention der politisch Verantwortlichen werden die Verhandlungen über das künftige Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Union einstweilen fortgesetzt.

Für Montagabend haben Premierminister Boris Johnson und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein erneutes Telefonat vereinbart. In Brüssel besteht die Erwartung, dass die erhoffte Vereinbarung diese Woche zustande kommt, damit sie vom Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag verabschiedet werden kann.

Drei Problemfelder

Von der Leyen und Johnson telefonierten am Samstagnachmittag mehr als eine Stunde lang. Das gemeinsame Statement sprach anschließend von "Fortschritt in vielen Bereichen", benannte aber auch die "erheblichen Meinungsverschiedenheiten" bei drei bekannten Problemfeldern: faire Konkurrenzbedingungen, das sogenannte "level playing field", die Schlichtungsinstanzen bei zukünftigen Konflikten der Vertragsparteien sowie die Fischerei in der Nordsee und im Ärmelkanal.

Sollten die drei Brocken nicht aus dem Weg geräumt werden, sei keine Vereinbarung möglich. Dann würde Großbritannien die Übergangsphase zu Silvester im Chaos – dem sogenannten No Deal – beenden. In dieser Phase gelten ja seit dem EU-Austritt Ende Jänner die bisherigen Bestimmungen für beide Seiten weiter.

Die Chancen auf einen Deal sah EU-Chefverhandler Michel Barnier zuletzt pessimistisch, wie ein ranghoher Diplomat der Nachrichtenagentur Reuters mitteilte. Die EU-Experten unter Leitung von Barnier waren nach gut einwöchigem London-Aufenthalt am Samstag wieder in die EU-Hauptstadt Brüssel zurückgekehrt. Dort fand sich am Sonntag auch der britische Brexit-Verhandler David Frost mit seiner Delegation ein.

Unsichtbar mit am Tisch saß ein Bösewicht, jedenfalls nach Meinung der aus der Downing Street unterrichteten britischen Medien: Emmanuel Macron habe vergangene Woche durch neue Forderungen den eigentlich erzielten Fortschritt infrage gestellt.

Beteiligte berichteten der Sunday Times, Delegationsmitglieder beider Seiten hätten sich deshalb nachts "auf dem Gang angeschrien" – normalerweise herrscht über den Fortgang der Gespräche beiderseits eisernes Schweigen.

Streit um Fischerei

Dass der französische Präsident sehr öffentlich auf Härte drängen würde, galt unter Brexit-Beobachtern seit Wochen als ausgemacht. Schließlich haben die Fischer in den Häfen entlang des Ärmelkanals die schwersten Einbußen zu erwarten, wenn sich der Status quo demnächst ändert.

Paris kann deshalb auf Unterstützung der Niederlande, Belgiens sowie Dänemarks zählen. Hingegen gründen die Bedenken Italiens und Spaniens offenbar eher auf Sorgen, ob sich die Briten an die Regeln fairen Wettbewerbs halten. Die deutsche Ratspräsidentschaft drängt derweil auf Kompromisse und einen zügigen Vertragsabschluss.

Londons Vertragstreue war zuletzt in Zweifel geraten, weil ein neues Binnenmarktgesetz Klauseln enthält, die den erst im Jänner ratifizierten Austrittsvertrag teilweise aushebeln.

Dabei geht es um das sogenannte Nordirland-Protokoll, das die Durchlässigkeit der Grenze zwischen dem britischen Teil der Grünen Insel und der Republik im Süden gewährleisten soll.

Der Widerstand der May

Vom Oberhaus mehrfach vehement abgelehnt, kehrt die Regierungsvorlage diese Woche ins Unterhaus zurück. Dort kann sich der konservative Premier auf eine beinahe geschlossene Gefolgschaft seiner Fraktion verlassen, wenn es darum geht, die Einwände der Lords auszuräumen.

Pikanterweise hat ausgerechnet Johnsons Amtsvorgängerin Theresa May energischen Widerstand angemeldet: Der Vertragsbruch und die damit einhergehende Missachtung des Völkerrechts seien "waghalsig und verantwortungslos".

Davon unbeirrt plant die Regierung nun noch ein neues Finanzgesetz, das wiederum Paragrafen des Austrittsvertrags zuwiderläuft. Die Kontroverse darüber dürfte das Verhandlungsklima nicht gerade begünstigen. (Sebastian Borger aus London, 6.12.2020)