Männer mit einem Universitätsabschluss gelten am ehesten als die "neuen Väter". Doch auch andere Väter ziehen jetzt nach.

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Michaela Kreyenfeld: "Vor allem die Väter mit einem niedrigen oder mittleren Bildungsabschluss haben bei der Kinderbetreuung aufgeholt."

Foto: Ausserhofer / Hertie School of Governance

Seit der Corona-Krise wird immer wieder die Mehrarbeit von Müttern aufgrund aktuell fehlender Kinderbetreuung diskutiert. Doch wie haben Väter ihre Zeit während des ersten Lockdowns verteilt? Dieser Frage ist Michaela Kreyenfeld von der Hertie School in Berlin nachgegangen und hat gesehen, dass sich bei den Geschlechterrollen etwas bewegt – zumindest in Deutschland. Die Studie hat die Soziologin kürzlich bei der Jahreskonferenz des Instituts für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften präsentiert.

STANDARD: Im Zuge der Krise wurde immer wieder vor einem Rückschritt bei der Gleichberechtigung gewarnt. Wie verlief diese Debatte in Deutschland?

Kreyenfeld: In Deutschland führten wir diese Debatte vor allem unter dem Stichwort Retraditionalisierung. In Großbritannien wurde etwa von einer "patriarchalen Pandemie" gesprochen. Vor dem Hintergrund des ersten Lockdowns, der Schließungen von Schulen und Kindergärten und der Meinung mancher Experten, diese sollten womöglich bis Oktober geschlossen halten, rückte die Gefahr eines Rollbacks in den Vordergrund. Dass wir durch die aktuellen Entwicklungen wieder in den 1950er-Jahren landen, die Geschlechterrollen wieder sehr ungleich verteilt werden und dass das alles sehr langfristige Konsequenzen hätte. Es war wichtig, dass diese Debatte angestoßen wurde und die Frage gestellt wurde, was in den Familien passiert, wenn Kindertagesstätten und Schulen zumachen. Daten hatten wir zu der Zeit allerdings noch nicht.

STANDARD: Bleiben wir noch in der Zeit vor der Corona-Krise. Auf welchem Level bezüglich fairer Teilung der Sorgearbeit waren wir in etwa?

Kreyenfeld: Für Deutschland kann ich sagen, dass es in den vergangenen Jahren einige familienpolitische Reformen gab, die positive Effekte hatten. 2005 wurde das Kinderbetreuungsangebot ausgebaut, seither geht die Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen nach oben. 2007 kam das Elterngeld, das fast eine Eins-zu-eins-Umsetzung des schwedischen Modells ist. Diese Reformen haben dazu geführt, dass sich Väter mehr um die Kinder kümmern und mehr Mütter Vollzeit arbeiten. Aber diese Entwicklungen gehen sehr langsam vor sich. Die Überlegungen in der Debatte um die Retraditionalisierung waren, dass diese Entwicklungen noch zarte Pflänzchen der zunehmenden Gleichheit bei der Kinderbetreuung innerhalb von Partnerschaften sind. So eine Pandemie hat die Kraft, alles, was wir erreicht haben, auch schnell wieder zunichtezumachen.

STANDARD: Wie haben Sie die Zahlen betreffend die Verteilung der Sorgearbeit erhoben?

Kreyenfeld: Wir hatten Glück, dass wir das in unseren Analysen so gut abbilden konnten. Die Zahlen konnten wir im Rahmen der großangelegten Studie, des "Sozioökonomischen Panels", erheben. Dieses findet jährlich statt und ging heuer zwischen März und Mai 2020 und damit direkt während des Lockdowns ins Feld. So konnten wir Informationen von derselben Person kurz vor dem Lockdown und dann noch einmal während des Lockdowns miteinander vergleichen. Wir konnten uns somit ansehen, wie sich das Betreuungsverhalten bei ein und derselben Person direkt vor und während des Lockdowns verändert hat.

STANDARD: Und wie sieht es nun aus? Gab es während dieses ersten Lockdowns eine Retraditionalisierung?

Kreyenfeld: 2019 machten Frauen doppelt so viel Kinderbetreuung, also Sorgearbeit, wie Männer. Absolut gesehen ist die Sorgearbeit von beiden Elternteilen während des Lockdowns angestiegen, relativ gesehen bei den Männern stärker, weil wir ein niedrigeres Niveau vor dem Lockdown hatten. Im Jahr 2019 haben Mütter mit Kindern unter zwölf Jahren 6,7 Stunden pro Tag für die Kinderbetreuung aufgebracht, bei Vätern waren es 2,8. Während des Lockdowns zwischen März und Mai dieses Jahres haben sich die Werte um 2,5 Stunden bei Vätern und 2,9 Stunden bei Müttern erhöht. Das ist der erste Befund. Der zweite Befund hat uns überrascht: Eigentlich haben wir angenommen, dass die hochqualifizierten Männer während des Lockdowns mehr reinhauen. Die Überlegung dahinter war, dass sie modernere Vorstellungen von Geschlechterrollen haben, dass sie quasi eine Avantgarde der neuen Vaterschaft sind. Die Daten zeigten nun aber, dass es gar nicht die hochqualifizierten Männer waren, sondern vor allem die mit einem niedrigen oder mittleren Abschluss, die bei der Kinderbetreuung aufgeholt haben.

STANDARD: Woran liegt das?

Kreyenfeld: Die Gruppe mit einem berufsbildenden Abschluss war häufiger von Kurzarbeit betroffen als Männer mit Hochschulabschluss. Sie hatten also tatsächlich mehr Zeit, sich um ihre Kinder zu kümmern. Aber dass mehr Zeit automatisch dazu führt, das ist nicht selbstverständlich. Es gibt Studien aus den 1980er- und 1990er-Jahren die zeigen, dass Männer, die arbeitslos wurden und auch mehr Zeit gehabt hätten, nicht unbedingt mehr Zeit mit ihren Kindern verbracht haben. In unserer Studie zeigt sich jetzt aber, dass Väter diese zusätzliche Zeit nun auch für ihre Kinder nutzen.

STANDARD: Müssen wir also vielmehr von einer Corona-bedingten Modernisierung als von einer Retraditionalisierung sprechen?

Kreyenfeld: Man muss sehen, dass der Lockdown nur eine kurze Phase ist. Viel wichtiger ist, dass diese Pandemie massive ökonomische und wirtschaftliche Auswirkungen haben wird, und das kann uns noch einmal auf verschiedenste Weise erschüttern. Die Finanzkrise hat etwa dazu geführt, dass Frauen stärker ihre Erwerbstätigkeit ausgeweitet haben, sofern sie Kinder hatten. Zum Teil einfach, weil sie mussten, da die Männer von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Paare nehmen jetzt in der Krise viel stärker wahr, dass das alte Ein-Ernährer-Modell, in dem die Mutter vorwiegend für die Kinder zuständig ist, in modernen Zeiten viel zu fragil ist. Corona ist die eine Krise, aber auch die Finanzmarktkrise ist noch nicht so lange her. Familien müssen heute ganz anders gerüstet sein. Wer sich da sehr einseitig aufstellt, ist auch stärkeren ökonomischen Risiken ausgesetzt. Das ist jetzt bei Paaren viel präsenter als noch vor zehn oder 15 Jahren. (Beate Hausbichler, 10.12.2020)