Angela Merkel betonte in der Generaldebatte im Bundestag die bindende Macht wissenschaftlicher Fakten: "Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse, die real sind und an die man sich besser halten sollte."

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Berlin – Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in der Generaldebatte im deutschen Bundestag erneut für einen härteren Lockdown eingetreten. Sie verwies auf Empfehlungen der Wissenschaft, jetzt die Kontakte weiter drastisch zu senken. Sie halte es daher für richtig, die Geschäfte nach Weihnachten bis mindestens 10. Jänner zu schließen und auch den Unterricht an den Schulen zu minimieren und auf Fernlehre umzustellen. Aber auch schon vor den Feiertagen will Merkel Maßnahmen zur Kontaktreduktion umsetzen.

Die Ansteckungszahlen, wie sich sich derzeit darstellten, seien immer noch "viel zu hoch", sagte Merkel, auch wenn die Bürgerinnen und Bürger sich an die Empfehlungen hielten, wofür sie "von Herzen dankbar" sei. Die CDU-Politikerin nahm auch die Empfehlungen der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina vom Dienstag Bezug, die einen harten Lockdown gefordert hatte. Sie schließe sich den Forderungen der Wissenschaft an, so Merkel. Die Erfahrung habe gezeigt, dass die zweite Welle noch deutlich schlagkräftiger sei als die erste: "Wir sind in einer entscheidenden, vielleicht der entscheidenden Phase dieser Pandemie."

Glaube an die Kraft der Aufklärung

Merkel forderte nachdrücklich zu weiteren Kontaktreduktionen auf. Es müsse dringend Wege geben, die Ferien schon früher beginnen zu lassen. Wie genau, das liege nicht in ihrer Kompetenz, so Merkel, die damit die Aufgabe an die Länder weitergab. Sie griff zu drastischen Worten: "Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben, das sollten wir nicht tun." Sie fragte auch: "Was wird man denn im Rückblick auf ein Jahrhundertereignis einmal sagen, wenn wir nicht in der Lage waren, für diese drei Tage noch irgendeine Lösung zu finden?"

Eine kleines Wortgefecht gab es dann auch mit den Abgeordneten der AfD. Diese hatten behauptet, dass das, was Merkel über die Kontaktreduktion gesagt hatte, nicht wissenschaftlich bewiesen sei. Sie "glaube an die Kraft der Aufklärung", entgegnete darauf die Kanzlerin, und dass es "wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die real sind und an die man sich besser halten sollte".

Verbote nicht der Schlüssel

Sie habe sich in der DDR zum Physikstudium entschieden, "weil ich ganz sicher war, dass man vieles außer Kraft setzen kann, aber die Schwerkraft nicht, die Lichtgeschwindigkeit nicht und andere Fakten auch nicht. Und das wird auch weiter gelten", zitiert sie die "Süddeutsche Zeitung".

Merkel betonte aber auch die Bedeutung einer freiheitlichen Demokratie bei der Bekämpfung der Pandemie. Es seien nicht Verbote der Schlüssel zum Erfolg, es sei vielmehr "das verantwortliche Verhalten eines jeden Einzelnen und die Bereitschaft mitzumachen", sagte Merkel. Und die große Mehrheit der Deutschen habe gezeigt, dass sie bereit sei, die Regeln einzuhalten. "Dafür bin ich von Herzen dankbar, und das sollten wir alle miteinander sein."

Globaler Wettbewerb

Schon zuvor hatte Merkel die auch über hohe Neuschulden finanzierten Budgetpläne der Regierung verteidigt. "Wir leben in einer Pandemie. Wir leben damit in einer Ausnahmesituation", sagte sie. "Und wir müssen etwas dafür tun, dass wir in dieser besonderen Situation auch besonders handeln, und das drückt dieser Haushalt aus." Deutschland sei ein wirtschaftlich starkes, demokratisches Land mit gesellschaftlichem Zusammenhalt und starker Zivilgesellschaft. "Diese Stärke, das ist das, was uns leitet in diesem Haushalt, die wollen wir auch in dieser Ausnahmesituation erhalten."

Eine Entscheidung über die Aufnahme von Schulden in dieser Größenordnung sei "alles andere als leicht", räumte Merkel ein. Sie bedeute eine Belastung künftiger Budgets und Einschränkungen für künftige Ausgaben und künftige Generationen. Merkel warnte auch vor einer globalen Kräfteverschiebung angesichts von Prognosen, wonach die chinesische Wirtschaft heuer wachsen wird, während jene in den USA und Deutschland schrumpfe.

Steigende Zahlen

Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Mittwoch mit 590 Corona-Toten binnen 24 Stunden einen neuen Höchststand. Rein rechnerisch stirbt damit etwa alle zweieinhalb Minuten ein Mensch in Deutschland an oder mit dem Virus. Die Zahl der Neuinfektionen erhöhte sich um 20.815 auf über 1,218 Millionen. Das sind rund 3.500 mehr als am Mittwoch vergangener Woche. Das RKI gab die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz für ganz Deutschland mit 148,8 pro 100.000 Einwohner an – ebenfalls der höchste bisher gemessene Wert. Damit entfernt sich der Wert immer mehr von der Zielmarke von Bund und Ländern, die wieder die Schwelle von 50 erreichen wollen. (mesc, APA, Reuters, 9.12.2020)