Im August 2013 fand in Wien ein "Marsch gegen Massaker und Militärputsch in Ägypten" statt, der einst den Muslimbruder Mohammed Morsi stürzte.

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Bei dutzenden Personen und Vereinen stand Anfang November in den frühen Morgenstunden die Cobra in der Wohnung. Die Polizisten hatten den Auftrag, bei den Beschuldigten im Rahmen der "Operation Luxor" eine Razzia durchzuführen. Nun wird gegen etwa 70 Personen und Vereine ermittelt. Wen haben die Sicherheitsbehörden hier im Visier?

Vor drei Jahren attestierte eine Studie der George Washington Universität der Muslimbruderschaft nach einer Analyse von mittlerweile schon einigen Jahren alten Material "beträchtliche Verbindungen und Einfluss" in Österreich, Der Vereinigung nahestehende Personen und Organisationen würden Schlüsselpositionen für das Leben von muslimischen Zuwandern in Österreich einnehmen.

Islamismus als Programm

Diese Analyse lässt sich nicht von der Hand weisen: So war etwa der Verein Liga Kultur, deren Gründer vor einigen Jahren im ägyptischen Fernsehen selbst zugab, Muslimbruder zu sein, in der Flüchtlingshilfe aktiv. Die Muslimische Jugend (MJÖ) war zumindest zwei Jahre lang außerordentliches Mitglied des "Forum of European Muslim Youth and Student Organisations" (Femyso), eine mit der "FIOE" assoziierte Organisation, die der Muslimbruderschaft zugerechnet wird. Drehpunkt der Szene soll jedenfalls schon lange Graz sein. Es ist auch die Grazer Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen führt.

Darüber, ob die islamistische Muslimbruderschaft als Terrororganisation anzusehen ist, scheiden sich jedoch die Geister. Ihre Ideale probierten sie international und historisch sowohl auf legalistischem Weg als auch mittels Gewalt durchzusetzen. Dass sie in vielen arabischen Ländern in Parlamenten sitzt, widerspricht jedenfalls nicht der Tatsache, dass sie eine reaktionäre Ideologie propagieren, die sich im Kern gegen die liberale, moderne Gesellschaft richtet. Hierzulande sind ihre Symbole und deren Verbreitung verboten.

Finanzierungsfrage

Dass ihre Sympathisanten aber tatsächlich eine sicherheitspolizeilich relevante Bedrohung in und für Österreich darstellen, wird von den meisten Experten bezweifelt. Vielmehr geht es vor allem darum, ob die Szenegrößen hierzulande an der Finanzierung von terroristischen Gruppierungen beteiligt waren – etwa der Hamas, die als palästinensischer Ableger der Muslimbruderschaft gegründet wurde. Viele Ermittlungen verliefen in der Vergangenheit im Sand. Und es geht wohl auch darum, ob die Szene ideologisches Unterfutter für diejenigen liefert, die dann tatsächlich Gewalt anwenden würden. Keiner der Protagonisten werde hier, mitten in Europa, zu den Waffen greifen, meint etwa ein Szenekenner. "Der militärische Arm der Hamas ist verboten in Österreich, deshalb war es uns möglich, diese Ermittlungen so intensiv zu führen", erklärte Nehammer damals.

Dem Großteil der Personen, gegen die ermittelt wird, wird auch Terrorfinanzierung vorgeworfen. Um diese Vorwürfe tatsächlich bestätigen zu können, haben die Behörden wohl auf die Sicherstellungen im Rahmen der Hausdurchsuchungen gesetzt. In der Tat kamen Beschuldigte in abgehörten Telefongesprächen immer wieder auf Geldtransfers zu sprechen. Mehrere Beschuldigte besitzen zudem Verbindungen zu zum Teil weit verzweigten Firmennetzwerken. Doch die Beweise, die den Beschuldigten in der Anordnung zur Hausdurchsuchung zur Last gelegt werden, sind bislang dünn.

Die Kader der Muslimbrüder empfinden sich als "elitäre Speerspitze", wie Autorin Petra Ramsauer in ihrem Buch Muslimbrüder geschrieben hat. Fest steht auch: Viele Beschuldigte werden von Anwälten aus der Topliga vertreten.

Man kennt sich

Diejenigen, die im Rahmen der Operation Luxor zu den Beschuldigten zählen, haben zu einem großen Teil arabische Herkunftsländer oder entsprechenden Migrationsbezug. Die Szene des politischen Islam sei aber diverser, betonen Experten, dazu gehöre auch die türkische Seite. Das und die Tatsache, dass sich die Ermittlungen wesentlich auf Informationen eines anonymen Hinweisgebers stützen, befeuert das Gerücht, dass in der Szene gestreut wird: Dass auch ausländische Dienste in die Angelegenheit involviert waren. Ein Gerücht, dass Kritiker als Spin der Muslimbruderschaft bezeichnen, um von ihnen selbst abzulenken.

Wie eng sind die Beschuldigten untereinander vernetzt? "Man kennt sich", formuliert es etwa ein Beschuldigter, was wohl in den meisten Fällen eine Untertreibung sein dürfte. Ganz friktionsfrei ist das Verhältnis aber nicht immer. Eindeutig bekennt sich öffentlich aber kaum jemand zur geheimen Bruderschaft. So mancher zeigt sich aber im Gespräch mit ausländischen Medien offenherziger. Und was das Zeigen des "Rabia"-Zeichens betrifft, gibt es bei manchem Beschuldigten auch hierzulande keine Berührungsängste. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 11.12.2020)