Die rekordverdächtige Zahl von 18 in Österreich tätigen Wissenschaftern erhält einen sogenannten Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats ERC. Die mit jeweils bis zu drei Millionen Euro dotierte Förderung soll es Wissenschaftern ermöglichen, ihre Position als eigenständige Forscher zu festigen.

Insgesamt erhalten in der aktuellen Ausschreibungsrunde 327 Forscher eine solche Förderung, dabei werden in Summe 655 Millionen Euro ausgeschüttet. Die Fördernehmer kommen aus 39 Ländern und werden in 23 europäischen Staaten ihre Projekte verwirklichen. Die meisten Preise gingen an Projekte in Deutschland und Großbritannien (jeweils 50), Frankreich (34) und den Niederlanden (29). Unter den 18 hierzulande durchgeführten Projekten, die mit einem Grant bedacht wurden, lassen sich acht den Bereichen Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften zuordnen.

Universität Wien stark vertreten

Die meisten Förderpreise gehen an die Universität Wien, wo gleich sieben Wissenschafter einen Consolidator Grant erhalten: Tara Andrews vom Institut für Geschichte will in ihrem ERC-Projekt mit digitalen Methoden Kontakte und Kommunikation der gesamten christlichen Welt im 11. Jahrhundert unter die Lupe nehmen und damit das Verständnis der kulturellen und gesellschaftlichen Trends zu jener Zeit verbessern, als die Kreuzzüge lanciert wurden. Wie man mit Hilfe elektrischer Felder winzige Teilchen dirigiert und damit einen Ausgangspunkt für hochfunktionelle Materialien schafft, etwa zur Effizienzsteigerung von Brennstoff-Zellen, wird die Chemikerin Jia Min Chin vom Institut für Physikalische Chemie untersuchen.

Julia Lajta-Novak vom Institut für Anglistik und Amerikanistik der Uni Wien will in ihrem Projekt ein wichtiges Kapitel der britischen und irischen Lyrikgeschichte (1965-2020) neu schreiben, indem sie den Fokus vom geschriebenen auf das gesprochene Wort verlegt und damit eine Methode der Lyrikgeschichtsschreibung entwickeln, die speziell auf den mündlichen Vortrag abzielt. In noch nie da gewesener molekularer Detailgenauigkeit will Joao Matos vom Department für Chromosomenbiologie zeigen, wie der Austausch von mütterlicher und väterlicher genetischen Informationen entlang von Chromosomen vor sich geht. Sogenannte Catalan-Zahlen stehen im Mittelpunkt des ERC-Projekts von Anton Mellit vom Institut für Mathematik, in dem er algebraische und geometrische Methoden zusammenführen will, um offene Probleme in der Mathematik zu adressieren.

Indem sie Mikroben auf Marsmeteoritengestein züchtet, will Tetyana Milojevic vom Institut für Biophysikalische Chemie der Uni Wien besser verstehen, wie voraussichtlich schon bald zur Verfügung stehende Proben vom Mars auf Spuren von Leben und auf potenzielle biologische Signaturen hin untersucht werden können. Heinz Christoph Steinhardt vom Institut für Ostasienwissenschaften untersucht in seinem Projekt das soziale Kreditsystem, mit dem China vertrauenswürdigeres Verhalten in Wirtschaft und Gesellschaft anstrebt.

Für Grants für ÖAW-Forscher

Seit Anfang November an der Uni Wien tätig ist eigentlich auch Eva Beaujouan vom Institut für Demographie. Vom ERC wird sie aber noch der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ihrer bisherigen Arbeitsstätte, zugerechnet, die mit ihr auf fünf "Consolidator"-Preise kommt. Beaujouan wird in ihrem Projekt Faktoren untersuchen, die das Kinderkriegen von Eltern über 30 Jahren in Ländern mit niedrigen Geburtenraten beeinflussen. Andrea Cuomo vom Institut für Mittelalterforschung will mit digitalen Methoden zu einem tieferen Verständnis von spätbyzantinischem Griechisch beitragen. Pascale Hugon vom Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens, widmet sich der frühen Entwicklung der tibetischen Scholastik und will damit tibetischen Denkern mehr Aufmerksamkeit verschaffen.

Wie menschliche Immunzellen gezielt für die Bekämpfung von Tumoren eingesetzt werden können, ist das Ziel des ERC-Projekts von Christoph Bock vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der ÖAW. Nicolas Rivron vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) geht mit seinem Projekt der Frage nach, wie sich Zellen während der Entwicklung selbst organisieren, um einen gesunden Organismus zu formen.

Weitere Institutionen

Robert Wille vom Institut für Integrierte Schaltungen der Universität Linz arbeitet in seinem ERC-Projekt an Methoden für die Simulation und den Nachweis der Korrektheit von Programmen für Quantencomputer und entwickelt Compiler, die Quantenprogramme so übersetzen, dass sie auch ausgeführt werden können. Raya Muttarak vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien will in ihrem ERC-Projekt die Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die Bevölkerungsentwicklung abschätzen und prognostizieren.

Zwei ERC-Grants gehen an die Universität Innsbruck: Ivana Stiperski vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften will die Theorie für Turbulenzen in der Atmosphäre und damit Wettervorhersagen und Klimaprojektionen über Berggebieten verbessern. Als "molekularer Architekt" wird Thomas Magauer vom Institut für Organische Chemie sogenannte Polyencyclisierungen untersuchen, um derzeit unzugängliche Naturstoffe mit beispielsweise krebs-, antiviraler oder entzündungshemmender Wirkung zu konstruieren.

Ein Simulationssystem für Transporte zu Wasser und zu Land zwischen der Adria und der Donau im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung will Leif Scheuermann vom Zentrum für Informationsmodellierung der Universität Graz in seinem Projekt aufbauen und dabei unter anderem mit Experimenten zur Ermittlung des Fahrverhaltens römischer Karren und Kähne möglichst realitätsnahe Transportzeiten errechnen. Laura Kovacs vom Institute of Logic and Computation der Technischen Universität (TU) Wien schließlich will auf Basis der mathematischen Logik Methoden entwickeln, die automatisch analysieren, ob Computercodes fehlerhaft sind oder nicht. Mit dem aktuellen Consolidator Grant erhält sie bereits ihren dritten Förderpreis vom ERC. (APA, red, 9. 12. 2020)