Auf den ersten Blick möchte man in Münchendorf im Bezirk Mödling nicht mal als das sprichwörtliche Bild an der Wand hängen. Auf den zweiten schon. Und zwar im Haus des Künstler- und Ehepaares Anna Heindl und Manfred Wakolbinger. Wenn da nur Platz wäre, denn ihre Wände sind gespickt voll mit verschiedensten Fotos und Bildern von Kollegen aus aller Welt, ein Setzkasten, befüllt mit moderner Kunst.
Manche würden die Gegend, in der dieses Haus steht, "Pampa" nennen. Die zeigt sich an diesem Tag im November von ihrer prächtigsten Seite. Die Sonne des Spätherbstes hat sich zum Fototermin brav ins Zeug gehaut und kramt so ziemlich jede Farbe raus, die sie und die Blätter um diese Jahreszeit draufhaben. Und mitten drin, auf dieser Pampa-Bühne, steht das Haus von Heindl und Wakolbinger.
Steg zum See
Kennen Sie das Lied Haus am See von Peter Fox? Bestimmt. Genauso könnt es aussehen, dieses Haus. Rosengarten mit viel Lavendel gefällig? Passt! Ein Zugang zu einem kleinen See mit zwei von Schilf überwucherten Inseln? Vorhanden! "Ich gehe jeden Morgen zum See, steige auf mein Stand-up-Paddle-Board und drehe meine Runden. Zur Sommers- genauso wie zur Winterszeit", erzählt Wakolbinger.
"Und ich rudere im Sommer manchmal die Gäste in einem kleinen Boot über den Baggersee", setzt Anna Heindl nach.
Ihr Blick richtet sich über den 4.000 Quadratmeter großen Garten hinweg auf den Steg, der in Sichtweite des Hauses liegt und wie eine futuristische Haifischflosse aussieht.
Riesenschmuckkästchen
Ein neidischer Mensch sollte man nicht sein, denn dieses Zuhause ist in der Tat beeindruckend. Beschrieben werden kann es mannigfaltig: eine Megaschuhschachtel, die 350 Quadratmeter auf zwei Etagen misst. Ein modernes Riesenschmuckkästchen, dessen Betonwände in Kombination mit Holz, Glas und Kupfer eine erstaunlich warme Stimmung erfahren lassen, wozu das Licht das Seine beiträgt. Fast scheint es, als würde es durch die Räume hindurchscheinen.
Ganz nüchtern betrachtet, könnte man diesen Ort auch als eine Loft-Interpretation auf dem Lande bezeichnen. Und atmosphärisch gesehen? Ein Ort, an dem einem der Lockdown nur recht sein kann. Apropos Lockdown: Die beiden bestehen bei unserem Hausbesuch auf einem vorbereiteten Schnelltest, den man auf ihrem Häusl absolviert, bevor man den Notizblock zückt. Einigermaßen sicher ist einigermaßen sicher.
Maritimes und schönes Detail am Rande: Das kleine WC ist von oben bis unten mit Fotos tapeziert, die Wakolbinger in der tiefen See so mancher Weltmeere geschossen hat. Auch nicht ohne an dieser Stelle: Das WC betritt der Gast durch eine Lifttüre. Den Lift hat sich das Paar vorsorglich einbauen lassen.
Klingende Namen
Seit 18 Jahren wohnen die beiden hier. Kennengelernt hat sich das Paar 1974 in einer Disco im oberösterreichischen Perg. Zu den Klängen von Boney M.? "Nein, ich glaub, es war Roxy Music", erinnert sich Wakolbinger, der unter anderem für seine vielen, zum Teil riesigen Skulpturen bekannt wurde, die auch im und ums Haus zu finden sind.
Jemand nannte ihn einmal einen "dreidimensionalen Abenteurer". Seine Frau machte sich vor allem mit ihren künstlerischen Schmuckentwürfen einen klingenden Namen. Ihre Arbeiten sind in öffentlichen Sammlungen auf der ganzen Welt vertreten.
Geplant wurde das Haus am See vom österreichischen Architekten und Designer Gregor Eichinger, den man in erster Linie für seine vielen innenarchitektonischen Entwürfe kennt. Ein paar Beispiele aus Wien: Wirtshaus Lugeck, Wein & Co am Naschmarkt, das Modegeschäft Song, der prächtige Blumenladen namens Blumenkraft oder das Restaurant Wrenkh.
Vertrauensvorschuss
Eichinger hatte bereits die ehemalige Wohnung des Paars in Wien-Hietzing und das Atelier Anna Heindls im ersten Bezirk gestaltet. Ein guter Vorschuss an Vertrauen war also vorhanden.
Die Zusammenarbeit beschreibt Wakolbinger als perfektes Pingpongspiel und weist ebenfalls auf die vielen Interieur-Erfahrungen Eichingers hin. "Wir sind bis heute sehr gute Freunde. Das ist zwischen Bauherren und Architekten nicht immer so", sagt der Künstler und lacht herzlich.
Anna Heindl bezeichnet ihn als sehr "einfühlsamen" Architekten. Ihr ist vor allem die Weite wichtig, drinnen wie draußen. "Wir hatten schon Besuch, der fragte, ob wir uns hier nicht manchmal verloren fühlen?" Und? "Mitnichten, wie kommt man nur auf die Idee zu dieser Frage?"
Wohnen bedeutet für die beiden "bei sich zu sein, mit Kunst zu sein, die wir mögen". Ein paar Mal die Woche fährt das Paar übrigens nach Wien, um in ihren Ateliers und Werkstätten zu arbeiten. Das ist auch gut so, meinen die beiden, die auch die Stadt sehr schätzen.
Stilvoll-gemütliche Halle
Zum Eingemachten: Das obere Geschoß des skulpturartigen Gebäudes besteht im Prinzip aus einem einzigen Raum. Ein Platz zum Leben, Arbeiten, Sein. Hier sind eingedenk des Loft-Prinzips ein Büro untergebracht sowie eine Bibliothek, die aus ein paar Würfeln besteht, die einzeln begehbar und nach einer Seite hin offen sind. Weiters ein Sofa, Tisch und Stuhl.
Abgetrennt von dieser stilvoll-gemütlichen Halle liegen lediglich das erwähnte "Meeres"-WC und eine schmale Küche aus Edelstahl, in der es sich an gepolsterten Flächen aus roten Lkw-Planen anlehnen lässt. Von hier gelangt man durch eine Glasfront auf eine großzügige Terrasse.
Im Inneren ist die Latifundie mit afrikanischen Skulpturen ebenso bestückt wie mit feinsten Designstücken, darunter auch ein Gästebett des Stardesigners Jasper Morrison, mit dem das Duo befreundet ist.
Verglastes Schlafzimmer
Auf Erkundungsreise im Erdgeschoß, vorbei an kupfernen Skulpturen Wakolbingers, die als eine Art Geländer dienen, entdeckt man gleich neben dem Entrée die Garage, einen Hauswirtschaftsraum, der an einen US-Spielfilm aus den 50er-Jahren erinnert, sowie allerlei Schranksysteme in dunklen Holztönen – elegant und gefinkelt zugleich.
Das verglaste Schlafzimmer bildet eine Einheit mit dem Badezimmer und lässt sich mit einem Textilentwurf des Künstlers Peter Kogler blickdicht machen. Schließlich stehen sowohl Wanne als auch Himmelbett so gut wie im Garten. Wäre da nicht eine große Scheibe dazwischen. Und ein Dach.
Im Bad, wo der Reiz, sich eine Wanne einzulassen, kein kleiner ist, lassen sich faszinierende Mitbringsel von Reisen auf viele Inseln in weiter Ferne studieren, darunter der Zahn eines Wales.
Auch Heindl legt selbst Hand an die Dinge, mit denen sie leben. Nicht ohne stolz zeigt sie ihre fahrbaren und überdachten Sofas auf der Holzterrasse zwischen Haupt- und Gästehaus, die ein bisschen wie reduzierte Strandkörbe daherkommen.
Der Pferde wegen
Alles gut und recht und vor allem sehr fesch. Aber wie verschlägt es zwei Städter nach Münchendorf? Eigentlich der Pferde wegen. Sowohl Anna Heindl als auch Manfred Wakolbinger waren früher als Springreiter sehr aktiv. In Münchendorf hatten sie in einem Reitstall deponiert, dass sie auf der Suche nach einem Grundstück an einem See wären. Zwei Monate später kam der Anruf.
Einen Tag später wurde unterschrieben, erzählt Wakolbinger, als er vorbei am Gästehaus, einem rot gestrichenen Turm aus Holz, durch den Garten zum See führt, der sieben Hektar misst und Tauchen bis immerhin vier Meter Tiefe zulässt. Entstanden ist der See im Zusammenhang mit dem Bau der Südautobahn. Insgesamt gibt es sieben solcher Seen in einer Landschaft, die flacher kaum sein könnte.
Auf dem Steg stehend, kann man sich durchaus vorstellen, nach einem Sundowner im Sommer sowie mit einer Prise Fantasie, diese Location mit einer superflachen Miniaturvariante eines Ozarks-Sees, drüben in Missouri, zu vergleichen. Okay, sagen wir nach zwei Sundownern.
Nichts zu hören
Über ein Rübenfeld blickt man in die eine Richtung bis zum Schneeberg, und in eine andere bis zum Kahlenberg. Nichts ist zu hören von den Lkws, die nicht weit von hier über die Bundesstraße donnern. Nichts, bis auf die Flügelschläge zweier Enten und einem Nachbarn, der das wunderbare Wetter zum Laubrechen nützt.
Nach zwei, drei Stunden geleitet uns Manfred Wakolbinger, vorbei an einer seiner mehr als mannshohen Skulpturen, zum Gartentor, just als der Briefträger die Post abgibt. "Viel mehr Leut’ als der kommen hier nicht vorbei", sagt der Künstler und entschwindet lächelnd wieder in seinem Pampa-Palace.
Und man selbst auf die Bundesstraße, wo die Lkws Richtung Großstadt fahren und man sich im Auto schnurstracks Peter Fox’ Haus am See reinzieht. Was auch sonst? (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 12.1.2021)