60 Schläge pro Minute wirken positiv aufs Gemüt, fand Leonardo da Vinci heraus.

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Sollte Mann bei einem Date eine Uhr tragen? Kann nicht schaden, meint die Wissenschaft, vor allem wenn er auf der Suche nach einer Partnerin ist, die es "ernst" meint – mit Heiraten und Kinderkriegen und so. Dabei muss der Zeitmesser gar nicht überdimensional groß sein, um möglicherweise einen körperlichen Mangel zu kompensieren, oder teuer, um den sozialen Status zu unterstreichen. Nein, er sollte nur richtig funktionieren.

Denn schenkt man einer Studie der Florida State University aus dem Jahr 2014 Glauben, wirkt sich allein das Geräusch einer tickenden Uhr direkt auf das Fortpflanzungs- und Partnerwahlverhalten von Frauen aus. Die Begründung: Sie spürten dadurch quasi ihre biologische Uhr ticken.

Na ja.

Sollte aber der eine oder andere doch gedenken, diesen fragwürdigen Erkenntnissen zu folgen, müsste das Rendezvous wohl in einer sehr ruhigen Umgebung stattfinden. Schließlich liegt der Schallpegel einer tickenden Armbanduhr gerade einmal bei zwanzig Dezibel. Flüstern kommt auf dreißig, leise Musik auf vierzig Dezibel. Oder man wählt einen Raum mit einer deutlich lauter tickenden Pendeluhr. Das kann ja auch romantisch, nachgerade hypnotisierend sein. Und im schlimmsten Fall – geschlechtsunabhängig – sogar einschläfernd.

Im Einklang mit dem Herzrhythmus

Immerhin gibt es zum Beispiel auf Youtube zahlreiche Videos, in denen es nichts zu sehen gibt, nur zu hören, genau, das – ähnlich einem Metronom – rhythmisch-beruhigende Ticktack einer Uhr.

Schon als die ersten mechanischen Uhren an Schlössern und Türmen angebracht wurden, überlegte man, wie oft sie ticken sollten. Man einigte sich auf 60 Schläge pro Minute. Diese Anzahl geht auf die Untersuchungen von Leonardo da Vinci zurück. Der hatte die Frequenz als besonders beruhigend identifiziert: Sie entspreche dem normalen Ruhepuls. Diese Wirkung wurde später durch die Hirnforschung bestätigt: Ein Rhythmus von 60 Schlägen pro Minute löst den entspannten Alpha-Zustand aus.

Mit dem Aufkommen der Armbanduhr musste diese Schlagzahl allerdings vergrößert werden. Dennoch versuchte man, im Einklang mit dem natürlichen Herzrhythmus zu bleiben und wählte ein Vielfaches von 60.

Die langsamsten mechanischen Uhren ticken daher 18.000-mal pro Stunde. Der Sekundenzeiger bewegt sich dabei mit fünf kleinen Schritten pro Sekunde. Auch die heute als Standard geltende Frequenz von 28.800 Halbschwingungen lässt sich durch 60 dividieren.

Herzschlag der Kultur

Was uns zu der Frage führt, was eine mechanische Uhr überhaupt zu einem Ticker mit dem wohlbekannten Sound macht. Jenem liebenswürdig altmodischen Ticken, das der US-amerikanische Gebrauchsphilosoph und Trendinterpret Robert Levine als den "Herzschlag der Kultur" bezeichnete. Die Antwort führt uns zum Grundprinzip jedes mechanischen Zeitmessers, egal ob mit Automatik- oder Handaufzug, und hat mit Festhalten, Loslassen und mit optimaler Energieeinteilung zu tun.

Diese Aufgaben übernimmt die Hemmung. Besonders häufig anzutreffen als Schweizer Ankerhemmung, bestehend im Wesentlichen aus drei Bauteilen, dem Ankerrad, dem Anker und der Unruh. Ihr Name ist Programm. Sie portioniert die Kraft, die in einer gespannten Zugfeder im Federhaus, der Energiequelle der Uhr, gespeichert ist und diese auf das "Getriebe" überträgt. Gäbe es sie nicht, würden sowohl Räderwerk als auch Zeiger unkontrolliert durchdrehen.

Qualität erlauschen

Damit das nicht passiert, greift der wie eine Zange geformte Anker mithilfe eines Arms in einen Zahn des Ankerrads und bremst die Bewegung. Angetrieben wird der Anker bei der Hinbewegung durch die Feder und bei der Zurückbewegung durch die Unruh. Das gleichmäßige Stoppen und Weitergeben der Bewegung sorgt dafür, dass sich das Ankerrad immer nur ein kleines Stückchen fortbewegen kann.

So entsteht schließlich auch das berühmte Ticken: Es ist das Geräusch der Hin- und Herbewegung des Ankers und des Einhakens in das Ankerrad. Als Ergebnis kann man sehen, wie sich die Stunden- und Minutenzeiger langsam bewegen und der Sekundenzeiger Sekunde für Sekunde voranschreitet.

Ein erfahrener Uhrmacher ist in der Lage, anhand dieses Geräuschs zu erkennen, ob ein Zeitmesser auch richtig läuft oder ob es irgendwo knirscht im Werk. Bei dessen Herstellung übernimmt die Zeitwaage, ausgestattet mit einem speziellen Mikrofon, diese Aufgabe – Lauschen als wichtiger Teil der Qualitätskontrolle.

Misophonie

So sehr hat sich die Menschheit an das Ticken des "Zeitenkünders" (Autopionier Carl Friedrich Benz) gewöhnt, dass selbst Smartwatch-Hersteller wie Samsung ihren Gadgets ein Tickgeräusch verpasst haben. Dabei muss dieses – wie wohl jeder schon erfahren hat – nicht unbedingt angenehm sein.

Sigmund Freud beispielsweise berichtet in seiner 17. Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse ("Der Sinn der Symptome") über eine junge Frau, die davor Angst hat, durch das Ticken der Uhr im Schlaf gestört zu werden.

Er hält fest: "Das Ticken der Uhr ist dem Klopfen der Klitoris bei sexueller Erregung gleichzusetzen." Diese "Errektionsangst" ließ sie alle Uhren zur Nachtzeit aus ihrer Nähe entfernen. Und wer etwa an Misophonie (wörtlich "Hass auf Geräusche") leidet, kann darauf geradezu aggressiv reagieren.

Sex und Tod

Abseits dieser Extremfälle erinnert das Geräusch einer tickenden Uhr die meisten aber wohl daran, dass die Zeit unaufhaltsam fortschreitet. Das Ticktack zerhackt die Stille des Raumes und macht diesen Umstand damit umso deutlicher. "Es war so ruhig, dass ich das Ticken meiner Uhr hören konnte", ist sinngemäß in so manchem literarischen Werk zu lesen.

Man merkt, es steht metaphorisch für Existenzielles. Ein Klopfen, ein an das Ticken einer Taschenuhr erinnerndes Geräusch, sorgte in früheren Zeiten für Angst und Panik. "Hörte man es abends und nachts in einem stillen Krankenzimmer – einem Orte, der sich vor allen andern zu dergleichen Wahrnehmungen eignet – so musste es dem alten Aberglauben zufolge die letzten Lebensstunden des schwer Darniederliegenden verkünden ...", heißt es in "Brehms Tierleben". Folgerichtig nannte der Volksmund es "Totenuhr" oder etwas wohlklingender "Horloge de la Mort".

Dabei handelt es sich nur um das Werk eines Nagekäfers, vulgo Holzwurm, deren männliche Vertreter während der Paarungszeit regelmäßig mit dem Kopf auf das Holz schlagen, daher das tickende Geräusch, um Weibchen anzulocken. Ticken, Sex und Tod, da haben wir’s wieder. Regional wurde das Geräusch allerdings auch positiv umgedeutet: Mancherorts, wie im Inntal, meinte man, dass durch das Klopfen im Holz eine baldige Heirat angekündigt werde.

Druck aufbauen

Um Spannung und Druck aufzubauen, wird das (immer schneller werdende) Uhrenticken gerne als Stilmittel herangezogen. So geschehen etwa in "Dunkirk", jenem von der Kritik eher zwiespältig aufgenommenen Antikriegsfilm von Christopher Nolan aus dem Jahr 2017.

Darin sorgt der auf seine Art minimalistische Soundtrack des mehrfachen Oscarpreisträgers Hans Zimmer für eine druckvolle, beängstigende Atmosphäre. Herbeigeführt wird diese nicht zuletzt dadurch, dass Zimmer – erraten – das Ticken einer Uhr in den akustischen Vordergrund stellt.

Er charakterisiert damit das Überthema des Films, die Zeit, die den von der deutschen Armee eingekesselten britischen Soldaten am Strand von Dünkirchen davonläuft. Das Ticktack, das da zu hören ist, stammt übrigens von Nolans eigener Taschenuhr. (Markus Böhm, RONDO exklusiv, 4.1.2021)