Der Fundamentalismus der Organisatoren mag zur Empörung taugen, ist aber letztlich unerheblich, so der frühere Nationalrat und Buchautor Niko Alm im Gastkommentar.

Beten im Parlament? Ein Treffen, unter anderem mit Nationalratspräsident Sobotka und der früheren Landeshauptfrau Klasnic, sorgt für Unmut.
Foto: Parlamentsdirektion / Johannes Zinner

Gerade die vermeintliche Harmlosigkeit der überkonfessionellen Gebetsfeier im Parlament verschleiert die Instrumentalisierung der Politik durch Religion. Die inszenierte Harmonie immunisiert gegen die Kritik jener, die das Problem auf einer grundsätzlichen Ebene verorten. Demgegenüber stehen jene, die sich in den Fundamentalismus der Organisatoren und Vorbeter verbeißen. Aber es ist völlig unerheblich, wie konservativ Gudrun Kugler, Waltraud Klasnic und die Loretto-Gemeinschaft sind. Klar, zur Unterhaltung und Empörung auf Twitter leistet es gute Dienste. Wer sich daran aufhängt, hat das grundsätzliche Prinzip derNicht-Identifikation von Republik und Religion in einem weltanschaulich-religiösen Staat nicht verstanden und lenkt unnötig davon ab.

Freilich gäbe es auch gute inhaltliche Gründe, warum eine noch nähere Bindung von Republik und der diskriminierenden Ausgestaltung eines elitären Klubs der Staatsreligionen keine gute Idee ist: Der politische Einfluss organisierter Religion begünstigt überholte Ansichten zu Geschlechtergerechtigkeit, sexueller Orientierung, Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit. Religion ist ein Einfallstor für dogmatische Unwissenschaftlichkeit und im Extremfall antidemokratisch bis hin zur Gewaltbereitschaft.

Vorbild USA

Eine fortgesetzte Verstaatlichung von Religion soll aber gar nicht auf dieser nutzen- beziehungsweise schadenorientierten Ebene diskutiert werden. Das in Österreich praktizierte kooperative Belohnungs- und Bestrafungsmodell zwischen Staat und Religion verstößt an sich gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das Prinzip der Religionsfreiheit, das nichtreligiöse Weltanschauungen zwar sprachlich diskriminiert, aber mitmeint. Die Republik unterscheidet zwischen anerkannten religiösen und nicht anerkannten (nicht-)religiösen Weltanschauungen und steht damit einer freien Orientierung nach der persönlichen Überzeugung im Weg, indem sie Strukturen der Ungleichbehandlung pflegt und ausbaut.

Der Präsident des Nationalrats Wolfgang Sobotka, die Präsidentin des Bundesrats Andrea Eder-Gitschthaler und ein Komitee aus aktiven und ehemaligen Parlamentariern haben also auf dem digitalen Briefpapier des Parlaments zum "Nationalen Parlamentarischen Gebetsfrühstück" eingeladen. Als Vorbild dieses identitätspolitischen Vernetzungstreffens dient das 1953 etablierte US-amerikanische "National Prayer Breakfast", an dem bisher auch jeder US-Präsident seit Dwight D. Eisenhower teilgenommen hat. Solche Veranstaltungen nehmen in den USA naturgemäß ein anderes Ausmaß an. Einen Gastredner wie U2-Frontman Bono (2006 in den USA) wird Sobotka kaum gewinnen können. Dass das "interkonfessionelle und überfraktionelle" adventliche Gebet diesmal nur im Livestream verabreicht wurde, ist aber dem Ausnahmezustand geschuldet. Beten stand zwar auf dem Programm, aber strategisch dient das Format dazu, den bestehenden Einfluss der organisierten Religion in der Politik zu erhalten und gegebenenfalls auch auszubauen.

"Republik und Religion sind in Österreich nicht sauber getrennt."

Entgegen landläufiger Meinung sind Republik und Religion in Österreich nicht sauber getrennt. Es gibt zahlreiche sachliche und institutionelle Vermischungen: in Schulen und Universitäten, beim österreichischen Bundesheer, bei dem Bischöfe und Imame als Militärseelsorger (ohne psychologische oder therapeutische Ausbildung) eingesetzt werden, in Klassenzimmern und Gerichtssälen, wo Kreuze anzeigen, wer die letzte Instanz ist, und vieles mehr.

Ein weltanschaulich neutraler Staat würde damit mehrfach sein Identifikationsverbot mit Religion verletzen – alleine die Republik Österreich ist in dieser Frage gar nicht unparteiisch. Sie fördert 25 Staatsreligionen in Form 16 gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften und neun religiöser Bekenntnisgemeinschaften mit umfangreichen Sonderrechten und Ausnahmen aus sonst allgemeingültigen Gesetzen. Die Aufnahme weiterer Religionen oder gar nichtreligiöser Weltanschauungen in diesen exklusiven Klub ist durch den Abwehrcharakter des Bekenntnisgemeinschaftsgesetzes realpolitisch ausgeschlossen.

Eine Grenzüberschreitung

Bei der "adventlichen Gebetsfeier" im Parlament standen auch Lesungen von "Vertretern der verschiedenen Konfessionen" am Programm. Eine sehr bestimmte Formulierung, die nahelegt, dass alle – jedenfalls aber die 25 Staatsreligionen – eingeladen seien und teilnehmen. Das ist nicht der Fall, handelt es sich doch de facto um eine katholische Veranstaltung und nicht um einen interreligiösen Dialog, auch wenn Protestanten, Juden und Muslime als Quote im Organisationskomitee sitzen oder mitbeten. Dafür gäbe es übrigens auch noch immer das von der Republik Österreich unterstützte König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog. Das Parlament ist kein Mediator zwischen untereinander verfeindeten Ideologien, die vor allem dann immer zusammenhalten, wenn Privilegien abgesichert werden müssen. Viel mehr kann mit dem Titel "Hoffnung in der Krise" auch nicht gemeint sein. Dass Gebete und Lesungen nichts gegen die Corona-Pandemie ausrichten werden, versteht sich von selbst, aber richten sie auch keinen Schaden an?

Doch. Diese Gebetsfeier ist nicht weniger als eine missbräuchliche Verwendung der parlamentarischen Infrastruktur und Identität, eine bewusste Provokation des Nationalratspräsidenten Sobotka, der gemeinsam mit den Claqueuren seines Komitees zum Nationalen Gebetsfrühstück ausreizen will, wie viel Katholismus (politischer Katholizismus) in politischen Institutionen in Zukunft akzeptiert werden wird. (Niko Alm, 9.12.2020)