Endlich gibt es einmal etwas gratis, dennoch gehen die Leute nicht hin: Der Andrang zu den Massentests bleibt weit unter den von den Erfindern geschürten Erwartungen. In Tirol und Vorarlberg ließ sich weniger als ein Drittel der Adressaten mit dem Staberl in die Nase fahren, in Wien scheinen die angepeilten 1,2 Millionen Probanden schon zur Halbzeit außer Reichweite. Bis dato ließen sich kaum mehr als 1.000 Menschen identifizieren, die das Virus ohne Symptome herumgetragen haben. Ein Befreiungsschlag, der vor Weihnachten im großen Stil Infektionsketten durchtrennt, sieht anders aus.

Corona-Massentest in der Wiener Stadthalle.
Foto: imago /Xinhua/Georges Schneider

Der ernüchternde Zwischenstand lässt sich nicht einfach mit Trägheit und Ignoranz der Bürger erklären. Schlechte Vorbereitung hat das Projekt von Anfang an untergraben. Dass die Anmeldung in Wien nur über das Internet möglich ist, wird (ältere) Anwärter ebenso abgehalten haben wie technische Pannen beim Onlineformular. Statt einer ausgeklügelten Informationskampagne über den Sinn der Übung bekam das Publikum via Medien viel Kritik an Timing und Konzept serviert. Ein solcher Kraftakt ergäbe bei steigenden Infektionszahlen mehr Sinn als kurz nach einem Lockdown, bemängeln Experten und mahnen: Für verlässliche Ergebnisse brauche es eine mehrmalige Wiederholung.

Die Hauptschuld an dem Gemurkse trägt der Bundeskanzler. Sebastian Kurz hat ein Lehrstück geliefert, wie politische Planung nicht ablaufen soll. Statt das Projekt systematisch in Absprache mit politischen Partnern und Fachleuten aufzusetzen, ist der ÖVP-Obmann mit einer einsamen Ankündigung vorgeprescht. Der Fluchtversuch nach vorn hat Mitte November zwar die unliebsame Debatte über den eingeleiteten Lockdown in den Hintergrund gedrängt, lädt nun aber zur Abrechnung ein. Nie war es bequemer, Kurz eins auszuwischen: einfach daheimbleiben und dem Prestigeprojekt des Kanzlers beim Scheitern zusehen!

Revanchegelüste

Doch so sehr der Denkzettel an die Regierung und dessen Chef reizen mag: Klug wäre diese Form des Protests nicht. Denn bei aller Kritik an Form und Ablauf der Massentests ist der grundlegende Nutzen nicht zu leugnen. Selbst in einmaliger Ausführung lassen sich auf diese Weise Covid-Spreader, die nichts von einer Infektion gemerkt haben, aus der Gesellschaft fischen. Damit sich die mit viel Steuergeld erkaufte Aktion aber lohnt, müssen möglichst viele zum Testen gehen – auch auf das Risiko hin, Kurz einen Erfolg zu bescheren.

Was die Motivation erschwert: Es gilt, nicht nur politische Revanchegelüste, sondern auch den inneren Schweinehund zu überwinden. Testwillige setzen einen Akt der Solidarität, ziehen daraus aber erst einmal keinen persönlichen Vorteil – eher im Gegenteil. Ein positives Ergebnis bedeutet zehn Tage Quarantäne. Da wird so mancher, der sich pumperlgesund fühlt, kalkulieren: Bevor ich mir die Adventzeit verhaue, will ich's lieber nicht so genau wissen.

Erst beim Vorausdenken drängt sich ein eigennütziges Motiv für die Teilnahme auf. Ein Blick nach Deutschland, das trotz entspannterer Lage harte Alltagsbeschränkungen über Weihnachten anbahnt, legt nahe: Das gelockerte Leben hat auch hierzulande ein Ablaufdatum. Wer zum Massentest geht, riskiert zwar einen vorgezogenen persönlichen Lockdown, hilft aber mit, die Neuauflage für die gesamte Gesellschaft zu lindern – und davon profitiert jeder Einzelne. (Gerald John, 9.12.2020)