Kerosin, Metall, Kunststoff und Teppich, ein technischer Geruch, diagnostiziert Natascha Scheynost angestrengt schnuppernd. Man ahnt es nur. Die Nase der hochgewachsenen Chefstewardess der AUA ist von der Maske verhüllt. Die meisten Maschinen durchwabern Geruchsmischungen aus Parfum, Kaugummi, Kleidern, Rasierwasser.

Im Rumpf der Boeing 777, durch den ein leises Zittern geht, fehlen nicht nur die Passagiere, auch Sitzreihen und Bildschirme sind ausgebaut. An der Decke des Großraumflugzeugs kleben dicke, gelbe Streifen kleine graue Gevierte ab. Im Ernstfall würden hier die Sauerstoffmasken herausbaumeln. All das braucht man derzeit nicht.

Die AUA kämpft seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie mit einem herben Geschäftseinbruch und schreibt tiefrote Zahlen. Trotzdem steht das Leben bei der Airline nicht ganz still.
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Die Boeing 777 OE-LPA, Papa Alpha, wurde im Frühling zu einem so genannten Prachter umgebaut, ein Passagierflugzeug, dass jetzt mangels Passagieren Fracht transportiert. Ende März bis Juli hat die AUA rund 2000 Tonnen Masken, Mäntel und Handschuhe von Asien nach Österreich transportiert. Es war die Zeit, als Schutzausrüstung absolut Mangelware war. Gesundheitseinrichtungen wie Spitäler oder Unternehmen erwarteten die Fracht sehnsüchtig. Die Boeing wird nun wieder für solche Transporte bereit gemacht. Scheynost, die seit fast drei Jahrzehnten im Dienst ist, ist wie die Kollegin Behnaz Garmehi in Kurzarbeit, wie fast alle 6600 AUA-Mitarbeiter.

Vorstandsumbau

Bei der Airline selbst wird kräftig umgerührt. Um Bürofläche einzusparen, werden die Mitarbeiter auf umfassendes Homeoffice nach Corona eingestellt, der Vorstand wird wieder umgebaut. Finanzchef Andreas Otto, der auch die kommerzielle Führung innehat wird die Fluglinie nach 20 Jahren im Lufthansa-Konzern verlassen. Sein Nachfolger als Chief Commerical Officer soll Swiss-Manager Michael Trestl werden – zuletzt Netzwerkchef bei der Schweizer Schwester. Der für das operative Geschäft zuständige Manager Jens Ritter wird die AUA per Ende März 2021 Richtung Eurowings verlassen. German-Wings-Manager Francesco Sciortino soll ihm nachfolgen. Die Finanzen wandern zu AUA-Chef Alexis von Hoensbroech. Das Ausscheiden Ottos könnte teuer werden, sein Vertrag wäre noch bis 2022 gelaufen und wird wohl ausbezahlt werden müssen. Auch der Bonus fürs Jahr 2019 von in Summe 500.000 Euro dürfte ihm zustehen.

Kapitän und First Officer im Cockpit. Auch beim finalen Check werden lange Listen abgearbeitet.
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Die Rochaden an der Spitze ändern an der täglichen Arbeit an der Basis wohl zunächst nichts. "Am Boden zu sein ist für uns ungewöhnlich", sagt Garmehi. Gebe es Flüge, stünden alle in der ersten Reihe. An diesem Tag inspizieren sie mit Natascha Scheynost den Riesenvogel, der auf dem Vorplatz des Hangars steht, bis in die kleinste Ritze, während im Cockpit die Pilotencrew samt Flugzeugtechniker unter Kapitän Reinhard Lernbeiss die Technik penibel unter die Lupe nimmt.

Der sogenannte Aircraft-Check folgt einem strengen Protokoll. Bei dieser finalen Prüfung nach einer Woche technischer Checks mit zehn bis 15 Mann wird ein Flug am Boden durchgeführt – mit allem, was von Klappen-Ein-und-Ausfahren über Notrutschen-"Scharfmachen" bis zum Triebwerkstart dazugehört. Im Cockpit werden Knöpfe und Schrauben gedreht und gedrückt, Fenster via Kurbeln geöffnet, Funk, Druck, Temperatur, Wetterradar und was sonst zur Flugtüchtigkeit gehört, überprüft – begleitet von seufzenden, ächzenden, knarrenden, piepsenden Geräuschen und Tönen.

140 Tonnen Leergewicht bringt der Vogel auf die Waage. Fliegt er etwa nach Schanghai, werden 80 Tonnen Treibstoff getankt. Dank eines Abfluggewichts von 298 Tonnen könnten noch fast 80 Tonnen geladen werden. Sind es Masken, geht sich das nicht aus. Sie sind zu voluminös.
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"Habt ihr einen Smell hinten oder alles klar?", fragt Lernbeiss die Flugbegleiterinnen. "Gerüche sind im Flugzeug besonders wichtig, riecht es nach Kabel, ist das nicht gut", sagt Scheynost, während sie Türen aufklappt, Feuerlöscher, Handschuhe, Atemschutzmasken, Küche und Toiletten überprüft und über weiße und graue Netze steigt. Auch ein Prachter darf nicht ohne Flugbegleiter abheben. Für sie sind die verbliebenen Sitze in dem knapp 63 Meter langem Vogel gut verteilt. "Damit wir alles im Blick haben. Eine Runde schlafen geht da nicht", sagt Scheynost. Durch die Bullaugen sind andere Maschinen zu sehen, die Triebwerke verhüllt, die Türen verklebt. Active

Auch sie warten auf ihren Einsatz. Derzeit ist die Fluglinie nur mit rund 30 der 80 Maschinen unterwegs. Alle anderen liegen im Winterschlaf. "Cabin crew, arm slides", tönt es via Funk. Für die Stewardessen bedeutet das die Hebel zum Einhängen der Notrutschen umlegen. Im Cockpit herrscht Betriebsamkeit. Das Hochfahren der Triebwerke steht bevor. Auch wenn die Maschine nicht bewegt wird, muss die Flugverkehrsbehörde eingeschaltet werden. "Die Triebwerke entwickeln so viel Schub, dass ein Auto umgeblasen werden könnte", sagt Flugzeugtechniker Christoph Gruber und sinniert mit Blick auf viele leere Busse am Parkplatz im Sichtfeld und frech zwischen Ritzen hervorlugenden Pflanzen, "wie schnell sich die Natur zurückholt, was ihr gehört".

Blick aus der Boeing 777 OE-LPA, die Maschine hat gut 23 Jahre auf dem Buckel. So schnell wird es für die AUA, die mit einem 450-Millionen-Euro schweren Rettungspaket am Leben erhalten wird, kein neues Fluggerät geben.
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"Clear to start", sagt Reinhard Lernbeiss, während das Brummen heftiger wird. Startklar sind viele Gesellschaften auch für den herausfordernden Transport von Impfstoffen. Angesichts der weggebrochenen Erlöse im Passagiergeschäft ist der Cargo-Bereich deutlich wichtiger geworden. Der Frachtanteil am Umsatz wird sich laut IATA heuer auf 36 Prozent verdreifachen, die Preise dürften steigen.

Verteilung von Impfstoff

Nach IATA-Schätzungen braucht es theoretisch 8000 Flugzeuge von der Größe einer Boeing 747, um zu jedem Menschen weltweit eine Impfstoffeinheit zu bringen. Um die Kühlung, zum Teil bis zu minus 70 bis 80 Grad, zu gewährleisten, müssen in Transportfliegern Kühlvorrichtungen eingebaut werden. Im Prachter ist das unmöglich. Auch Trockeneis darf da nicht in den Passagierraum. Der Impfstoff muss in den Bauch der Passagiermaschine. Springt das Passagiergeschäft bis zum Sommer kommenden Jahres nicht einigermaßen wieder an, wird es für die AUA eng. (Regina Bruckner, 10.12.2020)