Am Samstag jährt sich das Pariser Klimaabkommen zum fünften Mal. Dessen Ziele liegen jedoch weiter entfernt denn je zuvor. Dieses Bild stammt aus Polen.

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Die zwei Pressekonferenzen am Mittwochvormittag hätten unterschiedlicher kaum sein können. Um 11 Uhr referierten Österreichs führende Klimaforscher darüber, dass das Land weit davon entfernt sei, Klimaschutz-Vorreiter zu sein, und weitaus mehr Ambitionen notwendig seien. Eine halbe Stunde später ließen Wirtschaftskammer (WKO) und Industriellenvereinigung (IV) wissen, dass sie die geplante Anhebung des EU-Klimaziels alles andere als befürworten.

Würden nicht unverzüglich wirksame Maßnahmen gesetzt werden, sei es nicht mehr möglich, das globale 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, warnte die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. Sie hat zusammen mit mehr als 550 heimischen Wissenschaftern von beinahe allen Universitäten Österreichs einen gemeinsamen Appell an die Regierung und die Bevölkerung gerichtet: Die Lage sei besorgniserregend, im Klimaschutz ein nationaler Schulterschluss notwendig. Ein solcher sei kein Novum, sagte sie mit Verweis auf die Anti-Atomkraft-Bewegung.

"Österreich ist weit davon entfernt, Vorreiter im Klimaschutz zu sein", sagt Klimaforscherin Kromp-Kolb.
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Mahnende Worte der Expertin gab es auch für die Bundesregierung: "Österreich ist weit davon entfernt, Vorreiter im Klimaschutz zu sein." Ambitionierte Ziele allein würden nicht ausreichen, um Emissionen zu reduzieren. Die Covid-Pandemie könnte aus Sicht der Wissenschafterin einen Wendepunkt im Klimaschutz darstellen. In den bisher präsentierten Corona-Maßnahmen sei das nicht ausreichend zu erkennen. Die Aussage von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), dass es bei der sozioökologischen Steuerreform Corona-bedingt zu Verzögerungen komme, hält Kromp-Kolb für "grundfalsch". Gerade die derzeit geschnürten Rettungspakete könnten im Klimaschutz viel voranbringen. Denn mittlerweile habe sich das Narrativ verändert, warnt die Forscherin: Hieß es früher noch: "Wir können es schaffen, wenn wir rasch handeln", laute die Botschaft mittlerweile: "Wir schaffen es nicht, außer wir handeln sehr rasch."

Viele neue Ziele

International gesehen sei das Ambitionsniveau, das Pariser Klimaziel zu erreichen, heuer durchaus gestiegen, warf Energieökonom Nebojša Nakićenović ein. China hat sich vor wenigen Monaten dazu bekannt, bis 2060 klimaneutral zu werden; Russland will das bis 2050 tun – mit einem hohen Zwischenziel bis 2030. So wie die Muskelkraft in der industriellen Revolution von der Dampfmaschine ersetzt wurde, müsse nun eine klimaneutrale Revolution starten, sagte Nakićenović.

Weniger nach Revolution hörten sich die Aussagen der heimischen Wirtschaftsvertreter an. WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf und IV-Generalsekretär Christoph Neumayer warnten am Mittwoch vor der anstehenden EU-Klimazielerhöhung. Die Union plant, die Emissionen EU-weit bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Kopf hält bereits das 40-Prozent-Reduktionsziel für sehr ambitioniert, das anvisierte 55-Prozent-Ziel will er nicht. Ganz anders klang das bei der Pressekonferenz der Wissenschafter eine halbe Stunde zuvor. "55 Prozent ist ein gutes Ziel, nachschärfen ist noch besser", sagte der Ökonom Nakićenović. "Es ist notwendig, dass die industriellen Länder, besonders Österreich, noch aggressiver vorgehen."

Forderungskatalog

Gemeinsam stellten WKO und IV einen Forderungskatalog auf. Aus ihrer Sicht solle der Green Deal um zehn Punkte erweitert werden. Dabei fordern sie unter anderem eine CO2-Bepreisung, die auf "alle großen Wirtschaftsräume ausgedehnt" wird.

In die richtige Richtung geht für die Kammer hingegen der am Mittwoch vorgestellte EU-Verkehrsplan der Kommission. Dieser sieh vor, dass auf Europas Straßen bis 2030 mindestens 30 Millionen emissionsfreie Fahrzeuge in Betrieb sind – bei einem Gesamtbestand von mehr als 250 Millionen Pkws. Kommissionsvize Frans Timmermans bekräftigte zudem Pläne für striktere CO2- und Schadstoffgrenzwerte im Verkehr.

"Österreich und Österreichs Industrie sind Vorreiter im Klimaschutz", meinte IV-Generalsekretär Neumayer. "Wenn es zu ambitionierteren Zielen kommt, braucht es politische Unterstützung und Begleitung dabei." Klimapolitik sei aus Sicht des Industriellen nicht als sportlicher Wettbewerb zu verstehen, vielmehr müsse die Frage des Wie im Vordergrund stehen.

Kurswechsel laut UN notwendig

Wie sich das alles ausgehen soll, fragte sich das UN-Umweltprogramm UNEP in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht. Die Welt bewegt sich derzeit auf ein Plus von drei Grad Celsius im Vergleich zu vorindustriellen Werten zu, warnt die Organisation. 2020 sei eines der wärmsten Jahre gewesen, schreiben die Autoren. 2019 habe der globale Treibhausgasausstoß mit rund 59 Gigatonnen CO2-Äquivalenten einen neuen Rekord erreicht. Der Corona-bedingte "Knick" im heurigen Jahr sei angesichts der Treibhausgaskonzentration auf Höchstniveau "vernachlässigbar". Zwar dürfte der globale Ausstoß heuer um rund sieben Prozent sinken, bis 2050 komme das aber nur einer Verringerung der globalen Erwärmung um 0,01 Grad gleich.

Wie auch die österreichischen Wissenschafter setzt die UNEP auf Covid-Konjunkturprogramme. Durch diese könnte der derzeit für 2030 prognostizierte Ausstoß um ein Viertel gesenkt werden, heißt es in dem Bericht. Das würde auch das Zwei-Grad-Ziel wieder realistischer werden lassen. Auch das 1,5-Grad-Ziel hat die UNEP noch nicht gänzlich aufgegeben. Würden jene 126 Staaten, die sich Netto-Null-Ziele vorgenommen haben, nun auch entsprechende Maßnahmen umsetzen, sei das Pariser Ziel doch noch erreichbar. (Nora Laufer, 9.12.2020)