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Polens Premier Mateusz Morawiecki (links) und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orbán zogen im Streit um die Rechtsstaatlichkeit am selben Strang.

Foto: AP / Amando Franca

Das Signal aus Warschau ließ europaweit aufhorchen. Immerhin gilt der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs, der ab Donnerstag in Brüssel über die Bühne geht, gleich auf mehreren Politikfeldern als einer der schwierigeren Sorte. Eine Lösungsperspektive für den Konflikt rund um die bessere Durchsetzbarkeit rechtsstaatlicher Kriterien und die damit verbundene Absegnung des EU-Budgets konnte da in der nervösen Anspannung durchaus als Lichtblick wirken – und genau eine solche Perspektive hat Polens Vizepremier Jarosław Gowin am Mittwoch als erster öffentlich in Aussicht gestellt.

Mittlerweile wurde auch in Ratskreisen bestätigt, dass der deutsche EU-Vorsitz den anderen Mitgliedstaaten einen mit Polen und Ungarn ausgearbeiteten Kompromissvorschlag unterbreitet hat. Hintergrund: Beide Länder wollen verhindern, dass die Auszahlung von EU-Geldern künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft wird. Da aber eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsländer genau diesen Mechanismus unterstützt, haben sich Warschau und Budapest darauf verlegt, bei der Verabschiedung des Budgets mit einem Veto zu drohen. Dort nämlich ist Einstimmigkeit nötig.

Angeblicher Plan B

An Polen und Ungarn, denen unter anderem Politisierung von Justiz und Medien vorgeworfen wird, führt bei der Verabschiedung des Haushalts also kein Weg vorbei. Auch beim Beschluss der EU-Corona-Hilfen wollten sie sich notfalls querlegen. Gemeinsam mit dem Budget für die Jahre 2021 bis 2027 handelt es sich immerhin um ein Finanzpaket im Umfang von etwa 1,8 Billionen Euro.

Schon war in Brüssel und anderen EU-Hauptstädten von einem Plan B die Rede – zunächst eher hinter vorgehaltener Hand, mit Näherrücken des Gipfeltermins aber immer lauter. Beim Budget könne man zunächst ein Provisorium fortschreiben, hieß es, bei den Corona-Hilfen wäre es möglich, Polen und Ungarn im Rahmen einer vertieften Zusammenarbeit der übrigen Mitgliedsländer draußen zu lassen.

Mögliche Verzögerung

Beides zusammen würde jedoch beträchtliche finanzielle Einschränkungen in vielen Bereichen bedeuten und den Konflikt mit Polen und Ungarn zudem auf die Spitze treiben – mit kaum kalkulierbaren Folgen für das weitere Miteinander in der EU. Entsprechend heftig wurde daher am Vorabend des Gipfels darüber spekuliert, was die angebliche Absprache beinhalten könnte.

Laut Informationen, die inzwischen durchsickerten, dürfte es keine eigene Erklärung und auch keine Änderung des Rechtsstaatsmechanismus nach dem Geschmack Warschaus und Budapests geben. Den Gordischen Knoten soll demnach aber eine Passage in der allgemeinen Schlusserklärung des Gipfels zerschlagen: Diese soll betonen, dass die neuen Regeln nur die Verbindung von Rechtsstaatlichkeit und EU-Finanzen betreffen, nicht aber heimische Politikfelder wie etwa Migration. Polen und Ungarn hatten ja immer wieder behauptet, die EU-Partner würden sie wegen ihrer restriktiven Flüchtlingspolitik bestrafen wollen.

Auch von einer möglichen Befassung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mit dem Rechtsstaatsmechanismus war die Rede. Eine solche könnte die Anwendung der neuen Regeln verzögern.

Zurückhaltung in Budapest

Ungarn hat sich zunächst nicht zu der angeblichen Einigung geäußert, auch die deutsche Ratspräsidentschaft in Berlin hielt sich vorerst bedeckt. Pessimisten erinnerten sich nach der Ankündigung Jarosław Gowins zudem an eine weitere Wortmeldung des polnischen Vizepremiers. Bereits vergangene Woche nämlich hatte Gowin laut ausgesprochen, was ohnehin alle wissen – und was viele auf ein rechtzeitiges Einlenken hoffen ließ: Ein Veto gegen das EU-Finanzpaket würde auch Polen selbst schaden.

Der Haken an der Sache: Gowin ist in der rechtsnationalen polnischen Regierung, in der es zuletzt heftige Spannungen gab, nur ein Player von vielen. Premier Mateusz Morawiecki pfiff ihn bereits am nächsten Tag zurück: Sein Land werde an der Seite Ungarns bleiben und auch weiterhin keine Verknüpfung von Geldflüssen aus EU-Fonds mit der Rechtsstaatlichkeit akzeptieren. Nach den jüngsten Informationen über eine Absprache stieg am Mittwochabend aber in der EU doch wieder die Hoffnung, dass das Thema am Gipfel schneller abgehandelt werden kann als ursprünglich erwartet. (Gerald Schubert, 9.12.2020)