Im Parlament wurde am Dienstag eine Gebetsfeier abgehalten.

Foto: Parlamentsdirektion/Johannes Zinner

Verfassungsjurist Heinz Mayer hat zur Causa zwei Zugänge: "Wenn man es lustig nimmt, war es albern, wenn man es aber ernst betrachtet, war es deplatziert."

Die Gebetsstunde im Parlament, zu der Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) geladen und auch Kultusministerin Susanne Raab (auch ÖVP) eine Grußbotschaft per Video gesandt hatte, hätte nach Ansicht Mayers nicht stattfinden dürfen, zumal es klar gegen die Trennung von Staat und Religion gerichtet gewesen sei. "Das hat in einer säkularen Demokratie nichts verloren", sagt Mayer im STANDARD-Gespräch. Der Jurist vermutet, "dass das nicht zufällig passiert ist, da wurde ganz bewusst ein Signal ausgesendet".

Ein Signal, das kürzlich auch in Sachen Abtreibung abgesetzt worden sei, als zwei Ministerinnen der ÖVP eine Diskussion über die Abtreibung lanciert hätten. "Da steht im Hintergrund eine Propaganda gegen die Fristenlösung", sagt Mayer. Die "Bedienung der katholischen Klientel", noch dazu im Parlament, sei jedenfalls nicht tolerierbar. "Das geht in der Konsequenz in Richtung politischer Katholizismus", sagt Verfassungsexperte Mayer.

Anfrage an Sobotka

Die Gebetsstunde im Parlament wird jedenfalls auf einer anderen parlamentarischen Ebene Konsequenzen haben. Niki Scherak (Neos) ließ dazu Nationalratspräsident Sobotka (ÖVP) eine parlamentarische Anfrage zukommen. Scherak will unter anderem wissen, ob Mitarbeiter der Parlamentsdirektion ihre Arbeitskraft für die Gebetsfeier aufgewendet haben, wie viele Stunden genau und ob es zu Mehrkosten aufgrund der Abhaltung der Veranstaltung an einem Feiertag gekommen sei. Weiters wird erfragt, ob auch in naher Zukunft weitere derartige Feiern geplant seien.

"Jede und jeder soll beten dürfen, wann und wie sie oder er es möchte. Was aber gar nicht geht, sind Gebetsveranstaltungen im Parlament. Das Parlament ist ja keine Kirche. In einer demokratischen Gesellschaft gibt es eine strikte Trennung von Staat und Religion. Alles andere wäre einfach absurd", argumentiert Niki Scherak. Durch die Abhaltung der Feier entstünden jedenfalls "wesentliche Fragen im Zusammenhang mit der in einer demokratischen Republik wesentlichen institutionellen Trennung von Staat und Religion", formuliert es Scherak in seiner Anfrage.

SPÖ ist empört

Empört über die Gebetsstunde äußert sich der Nationalratsabgeordnete Jörg Leichtfried von der SPÖ: "Ich habe schon letzte Woche in der Präsidialkonferenz den Protest der SPÖ gegen die Form dieser Veranstaltung deponiert. Denn dass auf Betreiben des ÖVP-Nationalratspräsidenten via Livestream aus dem Parlament erzkonservativen katholischen Religionskreisen eine Bühne geboten wird und sich ÖVP-Politiker dabei in Szene setzen, ist nicht akzeptabel und läuft der Trennung von Kirche und Staat eklatant zuwider."

Der langjährige Klubdirektor der ÖVP, Parlamentsexperte und jetzige Präsident des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen der ÖVP, Werner Zögernitz, ist bemüht, die Wogen zu glätten. Zögernitz will sich der Kritik von Mayer zwar nicht anschließen, räumt aber ein, dass man diese Gebetsveranstaltung "kritisieren kann – oder auch nicht".

Es sei halt eine Idee, "die von den USA übernommen worden ist". Problematisch würde er es finden, wenn es vom Parlament organisiert worden sei, aber es sei "nur" der Präsident gewesen. Das tangiere jetzt nicht die Trennung zwischen Staat und Religion, weil es sozusagen der Präsident gewesen sei, der geladen habe. "Ich denke, es war im üblichen Rahmen. Präsidenten machen oft solche Veranstaltungen. Parlament und Präsident: Da muss man differenzieren", sagt Zögernitz.

Verwunderung über Einladung

Irritation gibt es jedoch nicht nur auf politischer Ebene. Verwunderung über die Einladungspolitik herrschte etwa bei der katholischen Jungschar. Diese wurde zuerst nicht eingeladen und erhielt am Freitagabend dann eine Einladung zum Livestream. Man empfinde es als "sehr schade", dass nicht "wesentlich breiter konfessionsübergreifend eingeladen wurde", sagte der Vorsitzende Martin Hohl – DER STANDARD berichtete. Auch die Katholische Jugend schloss sich dem an.

Einen prominenten Platz als Keynote-Speaker erhielt dafür Georg Mayr-Melnhof, Gründer der umstrittenen "Loretto-Gemeinschaft."

Grüne gegen Vermischung

Seitens der grünen Klubs wird vorsichtig Kritik geübt: Es stehe einzelnen Fraktionen und Abgeordneten frei, die Räumlichkeiten des Parlaments auch für Veranstaltungen im Sinne ihrer eigenen politischen Anliegen zu nutzen, heißt es in einer dem STANDARD übermittelten Stellungnahme. Jedoch weiter: "Deshalb handelt es sich noch nicht um eine Veranstaltung des Parlaments. Wir Grüne wollen keine politische Instrumentalisierung von Religion und stehen für eine klare Trennung von Staat und Religion. Jeder Anschein einer Vermischung muss vermieden werden." Deshalb habe auch kein Grüner daran teilgenommen. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) wollte sich auf STANDARD-Anfrage nicht zur Causa äußern.

Kugler musste hingegen am Donnerstag eine Korrektur über die Agenturen schicken. Sie hatte in einem Interview mit der "Kleinen Zeitung" laut deren Berichten gesagt, es seien keine Muslime eingeladen gewesen, weil keine im Parlament vertreten seien. Diese Aussage nahm sie später zurück. Muslime seien selbstverständlich im Parlament vertreten, nicht aber im Komitee des Nationalen Parlamentarischen Gebetsfrühstücks. Sie sei falsch zitiert worden. (Vanessa Gaigg, Walter Müller, 10.12.2020)