Ein Doppelleben hat seinen Reiz: Florian Teichtmeister, Regina Fritsch, Mavie Hörbiger und Tim Werths (von links) in "Bunbury" – mit noch unbekanntem Premierentermin am Burgtheater.

Susanne Hassler-Smith

Seit 3. November sind Österreichs Theater geschlossen, doch der Probenbetrieb läuft weiter. Auf den Spielplänen bahnt sich ein Stau an. Die Premiere von Oscar Wildes Oberschichtkomödie "Bunbury" am Burgtheater wurde bereits zweimal verschoben. Vorläufig gibt es gar keinen Termin. Die Proben mit dem italienischen Regisseur Antonio Latella sind weitgehend abgeschlossen. Wie gehen die Ensembles mit diesen vagen Zuständen um? Wir haben das "Bunbury"-Team nach Wahrnehmungen und Einschätzungen gefragt.


Mavie Hörbiger, Schauspielerin: "Ich fühle mich wie Herr Lohse bei Loriot"

Foto: Katarina Soskic

"Mich hat bisher eher das Spielen vor halbleerem Parkett schockiert. Am Burgtheater ist man ja verwöhnt. Das Haus ist immer voll, aber jetzt spielte ich vor gefühlt 30 Leuten. Da drängt sich bei mir sofort das Gefühl des Versagens auf, so als hätte es etwas mit mir zu tun. Ich empfinde es als Luxus, dass wir überhaupt arbeiten können. Aber ich sehne mich sehr nach Normalität und will wieder Publikum haben, will normal meine Kollegen begrüßen dürfen. Der ganze Alltag hat etwas Obszönes. Ich fühle mich ja manchmal wie der Herr Lohse von Loriot im Supermarkt: "Guten Tag! Ich bin Frau Hörbiger! Ich will hier einkaufen!"

Es summiert sich halt schon seit Monaten. Es war schön, dass die Salzburger Festspiele stattgefunden haben, aber die Arbeit hatte nichts mehr mit dem zu tun, wie ich den Beruf sehe. Manchmal fühle ich mich wie eine einzige Präventionsmaßnahme.

Ich frage mich auch, wie das weitergeht. Am 4. Jänner beginnen dann schon die Proben mit Castorf zu "Zdenek Adamec". Dann Simon Stone. Ich freue mich sehr darauf – Premierentermine egal, jetzt erst einmal weiterproben!"."


Regina Fritsch, Schauspielerin: "Reizvoll, wenn einmal alles schiefläuft"

Foto: Katarina Soskic

"Ich bin unentschlossen, ob ich das Aufschieben der Premierentermine als Schauspielerin schlecht finden soll. Ich sehe es auch als eine reizvoll Möglichkeit, wenn einmal alles schief läuft. Man kommt auf diese Weise raus aus dem Trott. Natürlich macht man Theater für das Publikum, klar. Aber ich finde den Prozess des Aufschiebens eigentlich auch schön. Für mich hat ein Premierentermin ja ohnehin immer etwas Zynisches: Auf Knopfdruck muss zu einem Termin alles passen. Diesen Druck empfand ich schon immer quälend. Jetzt habe ich die Möglichkeit, die Arbeit länger sacken zu lassen. Ich werde dadurch sicherer. Man wird ja die Figur eh nicht los, das ist ja das Tragische. Ich habe schon Produktionen in einem Zeitraum von 15 Jahren gespielt, mit öfter mal einem Jahr Pause dazwischen. Das stört mich also nicht.

Was mich an diesem Ausnahmezustand aber höchst irritiert, ist die Impulshemmung als Mensch, die der Zweimeter-Abstand, die Maske und die Kontaktbeschränkungen bei mir auslösen."


Antonio Latella, Regisseur: "Das Publikum ist ein Protagonist und vollendet die Arbeit"

Foto: teatro.it

"Wir Theatermacher öffnen während des kreativen Prozesses die Türen und teilen die Arbeit mit dem Publikum – in allen Städten Europas. Dabei sind jene Künstler bevorzugt, deren Länder und Regierungen in Kunst investieren, weil sie sie als fundamental für die mentale Entwicklung des Menschen betrachten. Andere Künstler in anderen Ländern haben allerdings große Mühe. In diesem Fall schätze ich mich glücklich, am Burgtheater inszenieren zu können. Bunbury ist ohne Publikum natürlich nicht abgeschlossen, das Publikum ist ein Protagonist und vollendet die Aufführung jeden Abend.

Oscar Wilde, Autor von Bunbury, liebte es, sich in Szene zu setzen. Nichts von dem, was er tat, durfte unbeobachtet bleiben. Die Tatsache, dass die Inszenierung derzeit nicht aufgeführt werden kann, beraubt uns dieses wichtigen Publikumsblickwinkels. Das Publikum vollendet die Arbeit, indem es beschließt, ob und wie es über diese weiterdenken wird. Ohne Publikum also kein Bunbury.


Tim Werths, Schauspieler: "Der Text geht jetzt schon flöten, merke ich"

Foto: Katarina Soskic

"Mir ist bei den "Bunbury"-Proben klar geworden, wie wichtig für den künstlerischen Prozess die Energie in den Endproben ist, die sich auch durch die Anspannung vor einer Premiere täglich steigert. In dieser Phase mache ich oft künstlerisch noch große Schritte. Mit dem verschobenen Premierendatum haben wir jetzt versucht, die Endproben-Energie künstlich herzustellen, aber das gelang natürlich nur teilweise.

Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn wir in einigen Wochen oder gar Monaten erstmals wieder gemeinsam auf der Bühne stehen. Wird Antonio Latella, unser Regisseur, wieder dabei sein können? Wie wird sich die Arbeit nach der Pause verändert haben? Ich bin gestern den Text durchgegangen und musste feststellen, dass mir jetzt schon erste Zeilen flöten gehen. Aber natürlich ist das hier Meckern auf hohem Niveau. Wir können arbeiten, wir können proben, wir haben ein Einkommen – im Unterschied zu vielen freien Künstlerinnen und Künstlern, das sollte man sich immer wieder vor Augen führen"


Florian Teichtmeister, Schauspieler: "Wie für ein großes Essen: Was kann ich einfrieren?"

Foto: Katarina Soskic

"Ich habe es als eine nicht gekannte Erschöpfung empfunden, als der zeitliche Horizont, also der Premierentermin, plötzlich wegfiel. Der Übergang von jener Phase, in der beim Proben noch alle Ideen gleich gut oder schlecht sind, in die nächste Phase, in der man sich fix auf Entscheidungen einschwört, das hat mir sehr gefehlt. Und es ist ja nicht die erste Verschiebung, das belastet schon.

Es ist in diesem Zustand der aufgeschobenen Premiere die Frage, was kann bzw. muss ich als Schauspieler noch offenhalten? Das ist wie bei einer großen Essenseinladung für Freunde: Was kann ich vorbereiten, einfrieren, was aber muss ganz frisch sein?

Gar keine Aussicht zu haben auf einen Plan, das war/ist für mich das Anstrengendste. Ich frage mich als Schauspieler, wie lange suche ich noch. Wann ist jetzt wirklich der Punkt gekommen, an dem ich nichts mehr über Bord werfen kann. Ist immer noch alles möglich? Aber ich bin dankbar, überhaupt proben zu können. (Margarete Affenzeller, 10.12.2020)