Am 5. Juli 1982, "am Tag, an dem der Fußball starb", ging für Brasilien die Welt unter. Im fernen Barcelona verpasste die Seleçāo durch ein 2:3 gegen Italien den Einzug ins WM-Halbfinale. Nicht irgendeine Seleçāo, sondern – selbst die Ära Pelé eingerechnet – vermutlich die beste, die Brasilien jemals stellte. Giganten wie Zico, Falcāo und Sócrates fielen um ihre Krönung um. Schuld daran trug ein eher schmächtiger Stürmer, der das Turnier in Spanien gar nicht hätte schmücken dürfen.

Paolo Rossi (1956–2020).
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Paolo Rossi schoss die Azzurri mit insgesamt sechs Treffern zum dritten Titel. Zum finalen 3:1 über Deutschland in Madrid steuerte der Toskaner das erste Tor bei. Die Nation lag ihm zu Füßen, obwohl Rossi zwei Jahre davor wegen seiner Beteiligung an der Manipulation eines Spiels zwischen Perugia und Avellino zu einer dreijährigen Sperre verdonnert worden war. Als ihm ein Drittel der Stehzeit erlassen wurde, pfiff Teamchef Enzo Bearzot auf Spielpraxis und holte Rossi in den Kader für Spanien. Nach schwacher Vorrunde brachte der seine Kritiker zum Verstummen.

In der Nacht auf Donnerstag ist Paolo Rossi in Siena einem Krebsleiden erlegen. Italien beweint Pablito aus Prato, wie er wegen seines stets jugendlich wirkenden Auftretens genannt wurde. "Es wird niemals jemanden wie dich geben, einzigartig, besonders, nach dir ist das absolute Nichts", schrieb Ehefrau Federica Cappelletti auf Instagram.

Fahnen auf halbmast

Im Trainingszentrum der Azzurri in Coverciano bei Florenz und am Sitz des Verbandes FIGC in Rom wurden die Fahnen auf halbmast gesetzt. Im Parlament würdigten die Deputierten Rossi mit einer Schweigeminute und langem Applaus. "Paolo Rossi hat Italiens Fußball in den Olymp geführt. Sein Mythos ist unsterblich", rief Sportminister Vincenzo Spadafora dem Vater dreier erwachsenen Kinder nach.

Italien schlägt Brasilien bei der WM 1982 mit 3:2. Rossi trifft dreimal.
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Auch die einstigen Mitspieler waren erschüttert. "Ich kann es nicht glauben und nicht akzeptieren. Paolo war intelligent und äußerst sympathisch. Er tat die richtigen Dinge im richtigen Moment. In unserer Nationalelf war er unersetzlich. Wir waren eine großartige Mannschaft aus wahren Freunden", sagte Torhüterlegende Dino Zoff. Mit dem Kapitän der WM-Truppe feierte Rossi bei Juventus Turin noch den Gewinn der Copa Italia 1983, die folgende Meisterschaft mit Juve sowie die Titel im Cup der Cupsieger 1984 und im Meistercup nach der Tragödie von Heysel 1985 rundeten Rossis persönliche Bilanz. Mit 30 Jahren beendete er seine Karriere wegen ständiger Knieprobleme bei Hellas Verona. Für Italien hatte er in 48 Spielen 20 Tore geschossen, eines bei der WM 1978 gegen Österreich in der Zwischenrunde (1:0).

Schule und Agritourismo

Rossi arbeitete noch als Manager beim SSC Napoli, konzentrierte sich aber bald auf seine Immobilienfirma. Zudem betrieb der frühere Weltstar eine Fußballschule in der Nähe von Perugia, kümmert sich um seinen Ferienbauernhof in der Toskana und kommentiert hin und wieder noch Spiele für das italienische Fernsehen.

Die Eindrücke der WM 1982 begleiteten ihn bis zuletzt. "Je mehr Zeit vergeht, umso mehr wird es zum Mythos", sagte Rossi anlässlich seines 60. Geburtstages. "Damals war es ein schönes Gefühl zu wissen, dass ich Millionen Menschen glücklich gemacht hatte." (Sigi Lützow, 10.12.2020)