Der aus Indien stammende Mönch und Priester Sandesh Manuel erreicht seine "Schäfchen" nicht nur vom Altar aus, sondern vor allem auch auf diversen Social-Media-Plattformen.

Foto: Mafalda Rakoš

Es ist ein kalter Tag im Spätherbst. Das graue Licht scheint nur eine Nuance heller als das Grau der Tauben auf dem Pflaster des Franziskanerplatzes. Das Plätschern des Brunnens vor dem Kloster, ein paar Steinwürfe vom Stephansdom entfernt, wurde abgestellt.

In wärmeren Jahreszeiten speit hier ein alter Löwenkopf einen nicht versiegenden Schwall Wasser aus seinem Maul. Jetzt kann man die verrostete Zunge des Löwen sehen. Über ihm thront seit 222 Jahren eine Statue des Moses. Das Hinterteil des biblischen Helden ist der Kirchenpforte der Franziskaner zugewandt.

Es ist ruhig, nur ein paar Arbeiter sind zu hören, die auf einem Baugerüst herumklettern. Das dazugehörige Haus war einst im Besitz des Filmstars Curd Jürgens, der Mann, den sie "normannischer Kleiderschrank" nannten. Die Stühle und Tische der verwaisten Gastgärten auf dem Platz lehnen sich aneinander an, als wollten sie sich gegenseitig stützen. Seit Wochen hat hier niemand mehr Platz genommen. Ein trauriges Bild, das allerdings ein paar Augenblicke später vom breiten Grinsen des Franziskanermönchs Sandesh Manuel ausgeblendet wird.

Charmanter Akzent

In seiner schokobraunen Franziskanerkutte schreitet er aus der Pforte des Klosters und sagt "Grüß Gott". Was sonst? Der indische Akzent klingt charmant. Bruder Manuel führt laut summend über einen steinernen Gang, vorbei am großen Innenhof des Klosters, ins sogenannte Refektorium.

Das Refektorium steht für einen alten Saal mit Holzbänken und Gemälden von Mönchen, die in der Zeit des Barock entstanden sind. Doch spulen wir in der Zeit ein bisschen vor: Manuel ist einer von zwölf Franziskanermönchen in Wien. Ursprünglich war das Kloster mit der ältesten Orgel Wiens aus dem Jahre 1642 für 200 Mönche gedacht.

Nicht nur Musik zählt zu den Medien Manuels. Er ist auch Maler und spielt fast in Fluxus-Manier mit kleinen Installationen, die in seinem kleinen Atelier zu finden sind.
Foto: Mafalda Rakoš

Sandesh Manuel stellt hier in gewisser Hinsicht ein Novum dar. Im Schaukasten der Kirche klebt unter einem Bild von Franz von Assisi und Hinweisen auf kirchliche Veranstaltungen ein Plakat, auf dem das Konterfei des 1980 im südindischen Bengaluru Geborenen zu sehen ist. Darauf zu lesen: "Franziskaner als Youtuber? Rap, Lustige Videos, Reinschauen!", und ein Hinweis auf Youtube, Facebook und Instagram.

Von Jodeln bis Bob Dylan

Tippt man den Namen Sandesh Manuel in das Suchfeld von Youtube, heißt’s Augen und Ohren machen. "Der Herrgott hot glocht", "Friedenswerkzeug Rap", "Wir gewinnen / Corona Rap", "Hallelujah / Leonard Cohen", "Telefonbuch Polka". Über 110 sehr unterschiedliche Videos hat der 40-Jährige auf Youtube hochgeladen.

Seinerzeit in Indien hat er noch CDs aufgenommen. Das Œuvre? Nun, sagen wir, es ist nicht für jeden etwas dabei, aber für viele. Stilistisch reicht der Soundkosmos des Gitarristen und Sängers von religiösen Liedern à la Jungschar mit einem Schuss Christina Stürmer, Rap-Klängen samt typischem Brother-Gehabe über Bach/Gounods Ave Maria bis hin zu Bob-Dylan-Covers und Musikantenstadl-tauglichen Schunkeltönen inklusive Lederhose und ein bisschen Gejodels.

Sandesh Manuel

Auch eine Art indische Prinzessin taucht in einem der Filmchen auf. Das muss man dem Mönch lassen, Abwechslungsreichtum, gute Laune und Engagement sind seine Manege. Der Mann ist ein wandelnder Wurlitzer. "Ich lass mich nicht gern in eine Schublade stecken, auch wenn die Leute Sehnsucht nach Schubladen haben", sagt Manuel, der an einem großen Tisch im Refektorium Platz genommen hat und mit seinen Daumen spielt.

Studium am Konservatorium

Normalerweise trägt der Mönch eine Pokémon-Mütze, die er einst in der Kirche gefunden hat. An diesem Tag setzt er sie nur fürs Foto auf. "Ich habe wie jeder so meine Phasen und sehe meine Arbeit als Experiment." Offensichtlich in der Nicht-Pokémon-Phase erzählt er, dass die Kombination aus Kutte und Baseballmütze ihn schon so bei manchem Passanten in den Verdacht brachte, sich verkleidet zu haben.

Nach Wien kam der Geistliche auf Einladung des österreichischen Provinzials. Manuel folgte dieser, und nach seinen Studien der indischen Musik und der Philosophie begann er hierzulande ein Studium für Gesang und Gitarre am Konservatorium.

Eigentlich wollte er wieder nach Indien zurück, aber es scheint, als sei er gekommen, um zu bleiben, auch als Seelsorger. Wie er sich um die Seele anderer sorgt? In Form der Beichte und in vielen Gesprächen. Manuel erwähnt eine "psychospirituelle Ebene" und meint weiter: "Ich kann niemandem helfen, nur gemeinsam mit jemandem ein Stück des Weges gehen."

Natürlich sind auch Messen Teil seiner Kommunikationskanäle. Apropos: Die Heimatstadt des Bruders zählt an die zehn Millionen Einwohner. Als Kaplan hielt Manuel bis zu zehn Gottesdienste am Tag, für jeweils bis zu 2.000 Menschen. Dagegen wirkt die Szenerie am Franziskanerplatz wie eine aus einer Modelleisenbahn-Landschaft.

Wichtig ist ihm, dass seine Predigten nicht langweilig und schwer rüberkommen. Es mache keinen Sinn, sich zu einer Predigt zu überwinden. Eine geistliche Ansprache solle Freude machen, ihm ebenso wie dem Kirchenvolk, und da griff Manuel vor allem in Indien schon mal zu unorthodoxen Mitteln und ließ mitunter den coolen Rapper oder eine Art Kabarettisten raushängen. "Hier ist der Kontext ein bisschen anders, und ich muss ein wenig adaptieren", meint er.

"Dornenvögel"-Atmosphäre

Die Pokémon-Mütze hat der Mönch einst in der Kirche gefunden.
Foto: Mafalda Rakoš

"Wissen Sie", sagt er weiter, "ich bin kein Engel, ich bin ein Mensch mit Gefühlen, mit Ups und Downs. Und die Musik ist mein Begleiter. Ich merke, dass es den Menschen gefällt, und somit schließt sich der Kreis." Außerdem ziehe er mit seiner Musik auch Nichtkirchengänger an. "Ich sehe das Ganze aber nicht als PR-Werkzeug für die Kirche. Viele denken sich einfach: ‚Der Typ ist schräg und cool‘, und schreiben mir auf Facebook oder Instagram", schildert Manuel seine Online-"Seelsorge".

Zwischendurch wird wieder gesummt und gegrinst, und man kann sich kaum vorstellen, dass diesem Mann ein Raunzen über die Lippen kommt.

Um ein bisschen Dornenvögel-Atmosphäre ins Refektorium zu bringen, sei die Frage gestellt, ob er es je bereut habe, Priester geworden zu sein. Manuel antwortet geraderaus: "Natürlich habe ich das. Mehrmals. Ich bin mit 17 ins Kloster eingetreten. In dem Alter stellt man sich sehr viele Fragen. Ich bin ein Mensch, und war auch ein paar Mal verliebt."

Und dann? "Irgendwann kam der Punkt, an dem ich wusste, dass Priester zu sein kein Beruf, sondern eine Berufung ist. Heute bin ich unglaublich froh über meine endgültige Entscheidung."

Seine Mitbrüder standen seinen Umtrieben anfangs zum Teil skeptisch gegenüber, schließlich gilt die Orgel als Instrument für einen Ordensbruder. "Die Reaktionen waren verschieden, aber grundsätzlich unterstützen sie mich. Sie brauchten halt ein bisschen Zeit, um zu sehen, dass meine Arbeit dem Kloster guttut."


Schräge Skultpuren

Einfach gut drauf, so lässt sich der Mönch mit dem Pokémon-Käppi kurz und bündig charakterisieren.
Foto: Mafalda Rakoš

Wenn Sandesh Manuel nicht mit Gitarre vor dem Mikro und der Kamera steht oder eine Predigt hält, taucht er sehr wohl in die Stille ein. "Wenn in dir selbst großer Lärm herrscht, nützt dir auch kein Raum, in dem man eine Nadel zu Boden fallen hört. Andererseits benötigen wir die Stille, um die Geräusche in uns beruhigen zu können", sinniert Manuel, eher er dazu einlädt, sein kleines Atelier in einem der oberen Stockwerke des Klosters zu besuchen.

Auch die Malerei gehört zu seinen Beschäftigungen. Doch in dem kleinen Raum stapeln sich nicht nur Bilder, auch ziemlich schräge Skulpturen sind zu finden. Stilistisch reicht sein Kunstding von Fluxus bis zu einer Art Christian Ludwig Attersee.

Folgt man dem Mann weiter durch die Gänge des Klosters, vorbei an einem mannsgroßen Kruzifix, gelangt man in sein Zimmer, einen etwa zwölf Quadratmeter großen Raum, der mit seinen Mikros und Scheinwerfern eher einem Youtube-Studio gleicht denn einer klösterlichen Zelle. "Früher war diese Zelle halb so groß", berichtet Manuel, der 2009 zum Priester geweiht wurde.

Auf seinem Bett liegen eine Minigitarre aus einem Souvenirshop, daneben ein sogenanntes Tau-Kreuz, ein Symbol, das Franz von Assisi angeblich unter seine Briefe zeichnete und an die Wände von Kirchen malte. "Die beiden Dinge erinnern mich an meine Treue zu dem, was ich tue. Jeden Tag", erklärt Manuel und summt schon wieder. (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 11.12.2020)