Die EU verschärft die Regeln für große Plattformen.

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Dienste wie Facebook oder Youtube müssen Terrorpropaganda in der EU künftig binnen einer Stunde löschen, nachdem sie von der zuständigen Stelle eines EU-Staats dazu aufgefordert worden sind. Darauf einigten sich Unterhändler von Europaparlament und EU-Staaten am Donnerstag. Für systematische Verstöße drohen den Betreibern der Seiten in Höhe von vier Prozent ihres Jahresumsatzes. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson begrüßte die vorläufige Einigung von EU-Staaten und Europaparlament vom Donnerstag: "Terroristen benutzen Videos – und in manchen Fällen sogar Livestreams – ihrer Anschläge als Rekrutierungswerkzeug."

Kritik

Nach den jüngsten Anschlägen in Wien, Dresden, Nizza und bei Paris hatten etliche Spitzenpolitiker – unter ihnen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) – darauf gedrängt, dass die Verhandlungen zwischen Parlament und EU-Staaten schnell abgeschlossen werden. Beide Seiten müssen die Einigung nun noch formell bestätigen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen hatten vor zentralen Punkten des Vorhabens gewarnt. Eine Löschfrist von einer Stunde sei insbesondere für kleinere Provider nicht machbar. Die EU-Kommission wollte anhand von "proaktiven Maßnahmen" zuvor eine Uploadfilter-Pflicht einführen, jedoch konnte das Parlament diese herausverhandeln. Zudem gibt es Ausnahmen für journalistische Inhalte, Kunst und Wissenschaft; sowie für nicht-kommerzielle Anbieter.

Löschbehörden aus dem EU-Ausland

Umstritten ist außerdem, dass dem Entwurf zufolge Löschbehörden aus dem EU-Ausland ein Unternehmen dazu verpflichten könnten, ein Posting zu entfernen. Folgen Unternehmen dieser Aufforderung nicht oder nicht rechtzeitig, sind hohe Strafen vorgesehen. EU-Parlamentarier kritisierten zuvor, dass auf diese Weise auch Unionsmitglieder mit rechtsstaatlichen Problemen wie zum Beispiel Ungarn Inhalte willkürlich entfernen lassen könnten. Zusätzlich ist die Einstufung von Terror von Land zu Land unterschiedlich – was in einem Land legal ist, ist es in einem anderen womöglich nicht. In der Vergangenheit wurden in Ungarn etwa Umweltaktivisten von der Regierung als "Ökoterroristen" bezeichnet. Der Piraten-Europaabgeordnete Patrick Breyer befürchtet deshalb, dass die "Meinungsfreiheit nach unten harmonisiert" werden könnte. Immerhin könne im Land der Veröffentlichung gegen ausländische Anordnungen geklagt werden. Auch die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst sieht die grenzüberschreitende Wirkung "mit großer Sorge". Sie erwarte deshalb "katastrophale Auswirkungen".

Zuletzt hatte eine Serie islamistisch motivierter Anschläge die EU erschüttert. In Dresden hatte am 4. Oktober ein als Gefährder eingestufter Syrer mit einem Messer einen Mann tödlich und einen weiteren Mann schwer verletzt. Als Gefährder bezeichnen die Sicherheitsbehörden Menschen, denen sie schwerste politisch motivierte Vergehen bis hin zum Terroranschlag zutrauen. In Paris wurde ebenfalls im Oktober ein Lehrer von einem mutmaßlichen Islamisten enthauptet, in Nizza wurden drei Menschen von einem Gewalttäter in einer Kirche getötet. In der Wiener Innenstadt erschoss am 2. November ein Anhänger der Terrororganisation "Islamischer Staat" vier Menschen und verletzte mehr als 20 weitere.

Vorschlag

Die jetzige Einigung beruht auf einem früheren Vorschlag der EU-Kommission. Eine Stunde sei "das entscheidende Zeitfenster, während dessen Öffnung größter Schaden angerichtet werden kann", sagte der ehemalige Kommissionschef Jean-Claude Juncker 2018.

Firmen wie Facebook oder Googles Videoplattform Youtube betonen stets, dass sie Terrorinhalte inzwischen in vielen Fällen binnen weniger Minuten löschen – und noch bevor sie irgendjemand sieht. (APA, muz, 10.12.2020)