Psychologe Ahmad Mansour schreibt in seinem Gastbeitrag, dass es Zeit sei, "in der Realität aufzuwachen". Europa müsse seine Werte "klar und deutlich kommunizieren".

Flüchtlinge, die ihr Glück in Europa suchten, sehnten sich nach Freiheit, Wohlstand, Fortschritt, Bildung, nach Frieden. Das, was sie in ihren Ländern nicht fanden. Die Aufklärung hat Europa aus dem dunklen Mittelalter in die Moderne gebracht. Doch manche Zugewanderte und ihr Nachwuchs wollen die Früchte der Aufklärung genießen, ohne die Werte der Aufklärung zu übernehmen. Sie wollen Kritik an ihrer Religion nicht akzeptieren und lehnen westliche Werte ab. Doch wer Freiheit für sich sucht, muss sie auch seinen Gegnern gönnen. Wer Religionsfreiheit will, muss Religionskritik ertragen. Wer diesen Grundsatz ablehnt, wird nie emotional in Europa ankommen, sondern in Parallelgesellschaften abrutschen. So wird ein fruchtbarer Boden für extremistische Ideologien geschaffen.

Am Tag danach: ein Polizeibeamter im Bereich des Tatorts in Wien. Eine Woche nach dem Anschlag haben österreichweit Razzien gegen Vereine mit Verbindung zu Muslimbruderschaft und Hamas stattgefunden.
Foto: APA/Pfarrhofer

Europa muss seine Werte klar und deutlich kommunizieren. Außerdem muss es ein Vorbild in Sachen Terrorismus- und Ideologiebekämpfung sein. Die Zusammenarbeit mit Akteuren, die den politischen Islam verharmlosen oder, schlimmer noch, ähnliche Positionen teilen, ist ein großer Teil des Problems. Wir dürfen nur mit jenen arbeiten, die unsere europäischen-freiheitlichen Werte verinnerlicht haben, um diese schlussendlich wirksam schützen zu können. Nur so können wir in Europa ein Sicherheitsnetz schaffen, das engmaschig und zügig reagiert, wenn es darum geht, Anschläge zu verhindern. Das beginnt bei der Früherkennung und geht bis zur Überwachung im Land lebender verdächtiger Gefährder. Zeitgleich ist die professionelle Präventions- und Deradikalisierungsarbeit unverzichtbar, um zum einen vor allem junge Menschen gegen den Extremismus zu immunisieren und zum anderen jene auf die Seite der Demokratie zurückzuholen, die bereits im Extremismus angekommen sind.

Konstante Empörung

Es klingt so einfach, es könnte so einfach sein. Doch Europa und seine Politiker bevorzugten es, den Problemen aus dem Weg zu gehen. Für die einen war Vielfalt per se gut, egal welche Werte die Person in sich trug, und für die anderen war das Thema Islam und Integration zu heikel. Themen, mit denen man nur verlieren konnte. Ein gutes Beispiel dafür ist die konstante Empörung der Linken. Jede Forderung, jede Maßnahme, jedes Ansprechen von Herausforderungen wurde blitzschnell als ausländerfeindlich und islamophob abgestempelt. Stattdessen tat sie sich mit den hocheffizienten Institutionen des politischen Islam zusammen und versuchte in Sozialarbeit, Wissenschaft, in Islamdiskursen, sogar Prävention und Deradikalisierungsarbeit durchzudringen.

Ihre Ziele, eine neue Realität zu kreieren, die Diskurse zu bestimmen und ihre Gegner zu unterdrücken, hatten europaweit großen Erfolg. Sie reden von Demokratie, Vielfalt, Toleranz und Integration, zeigen sich im Anzug mit Universitätsabschluss, stellen Forderungen auf, sind nach außen kritisch und selbstreflektiert, um dann nach innen ein Islamverständnis zu fördern, das genau all diese Eigenschaften ablehnt. Das Menschen entmündigt, kritisches Denken verhindert, Zweifel als Sünde sieht, Sexualität unterdrückt und die Welt in Gläubige und Ungläubige teilt. Mit den Werten der Aufklärung versuchen sie, Präaufklärungswerte zu zementieren. Genau wie mithilfe von Wahlen im Iran, in Ägypten, in der Türkei oder in Gaza an die Macht zu kommen, um dann einen autoritären Plan umzusetzen.

Terror lässt sich nicht ignorieren. Er will uns einschüchtern, Angst machen, uns neue Regeln aufzwingen. Der Traum der falschen Toleranz muss vorbei sein. Es ist Zeit, in der Realität aufzuwachen. Zu handeln. Dabei dürfen wir nicht in Panik geraten, denn genau das will Terror. Er will daraus einen Kampf Muslime gegen Nichtmuslime machen. Doch unser Kampf ist zwischen Demokraten und Nichtdemokraten, zwischen der Kultur der Aufklärung und der Kultur der Tabus. Genau da sollte die Trennlinie verlaufen: zwischen schwarzen Ideologien und Aufklärung.

Gefahren erkannt

Es muss ein Kampf um Europa werden und um dessen Werte. Wir haben etwas anzubieten, etwas Großartiges, Ansteckendes, etwas, wonach sich viele auf der ganzen Welt sehnen, nämlich Freiheit und Selbstbestimmung. Wer sich dafür entscheidet, ist Europäer, unabhängig von seiner Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Wer genau all dies jedoch ablehnt, wird hier nicht glücklich.

Die Regierung in Österreich hat alle Voraussetzungen, zu zeigen, wie der Kampf zu kämpfen und hoffentlich zu gewinnen ist. Denn sie hat die Gefahren schon früher erkannt und reagiert, wie die kürzlichen Razzien bei der Muslimbruderschaft und der Hamas verdeutlichen. Ganz zu schweigen davon, dass Österreich schon seit längerem eine Einwanderungs- und Migrationspolitik hat, die mit ihren Integrationsangeboten darauf ausgerichtet ist, den Geflüchteten die Werte der neuen Heimat nahezubringen. Die Politiker in Österreich scheuen nicht davor, das Problem beim Namen zu nennen. Mit ihrem Handeln könnten sie gerade jetzt für ganz Europa ein Vorbild werden. (Ahmad Mansour, 11.12.2020)