Im Morgengrauen findet das Interview in der Anwaltskanzlei von Maria Windhager statt, ehe die grüne Klubchefin Sigrid Maurer ins Parlament eilt, wo jenes Gesetzeswerk beschlossen wird, für das sie jahrelang gekämpft hat. Bevor es losgehen kann, wird geklärt: Während des Gesprächs behalten alle Anwesenden die Masken auf, nur fürs Foto darf der Schutz gegen Corona kurz herunter.

"Oft wird nur noch dazwischengeschrien, vor allem wenn Frauen am Rednerpult stehen": Grünen-Klubchefin Maurer mit Medienanwältin Windhager über die Diskussionskultur im Parlament.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Der Nationalrat segnete am Donnerstag das grüne Prestigepaket gegen Hass im Netz ab, das Betroffenen ab 2021 besseren Schutz bieten soll. Doch wann wird die Causa "Bierwirt gegen Maurer", die die Gerichte seit Herbst 2018 beschäftigt, ein Ende nehmen?

Maurer: Wir sind zuversichtlich, dass mit 11. Jänner der letzte Prozesstag am Wiener Straflandesgericht stattfindet – und dass es an dem Tag für mich zu einem Freispruch kommt.

STANDARD: Ihr Privatankläger will die obszönen Privatbotschaften via Facebook an Sie aber nicht abgesetzt haben und klagte wegen übler Nachrede und Co – womöglich geht er bei Ihrem Freispruch in Berufung. Könnte sich der Rechtsstreit zu einer Verfahrenslänge à la Buwog auswachsen?

Windhager: Ja, theoretisch kann das Ganze noch Jahre andauern.

STANDARD: Welchen Verlauf hätte Ihre Causa wohl genommen, wäre das neue Gesetzespaket schon in Kraft gewesen?

Maurer: Schon demnächst kann bei solchen Botschaften ein Eilverfahren beim Bezirksgericht beantragt werden, wenn solche Nachrichten die Menschenwürde verletzen. Wenn man dort entsprechende Screenshots vorweist, kann man künftig binnen weniger Tage eine Unterlassung solcher Nachrichten erwirken – ohne Anwaltspflicht. So wird garantiert, dass Hassbotschaften im Netz schnell entfernt werden und die Sache für die Betroffenen schneller ausgestanden ist.

"Wir sind zuversichtlich, dass mit 11. Jänner der letzte Prozesstag stattfindet", sagt Grünen-Klubchefin Sigi Maurer zur Causa "Bierwirt gegen Maurer".
Foto: Matthias Cremer

Windhager: Wichtig an dem Fall ist und bleibt, dass der breiten Bevölkerung bewusst geworden ist, dass nicht wenige Frauen mit derlei Nachrichten konfrontiert sind. Das Spezielle an der Causa ist: Sie zeigt auf, dass es den Adressatinnen kaum über die klassische Beweisführung gelingen kann, den Accountbetreiber zur Verantwortung zu ziehen. Auch bei unserem Prozess kann das nur über den Nachweis von Indizien geschehen – und hier hat das Wiener Oberlandesgericht 2019 auf eine "lebensnahe" Würdigung der vorliegenden Umstände gedrängt.

STANDARD: Die Richtervereinigung befürchtet nun einen großen Mehraufwand – könnte es zu Prozesslawinen kommen?

Maurer: Klarerweise bedeutet das Gesetzeswerk einen Mehraufwand. Doch die Verfahren werden gestrafft, eben weil es für erste Konsequenzen keine Verhandlungen braucht.

Windhager: Und ich gebe auch zu bedenken: Gerade bei den Bezirksgerichten gibt es im Zuge von häuslicher Gewalt derzeit schon viel Know-how, wie man mit Eilverfahren umgeht – auch bei Wegweisungen wird ja sehr rasch gehandelt.

STANDARD: Bisher wurde von den Grünen ausgeschlossen, dass es zu Netzsperren für Access-Provider kommt. In den Erläuterungen zum Gesetz steht aber, dass sie nur vorerst ausgenommen seien, bis eine Vereinbarkeit mit der Netzneutralitätsverordnung der EU erreicht ist. Sind Netzsperren jetzt vorgesehen oder nicht?

Maurer: Im Gesetz sind sie definitiv ausgeschlossen. In den Erläuterungen geht es um eventuelle künftige Vorschriften der EU. Aber klar ist: Netzsperren sind nicht vorgesehen – und waren es nie.

STANDARD: Die EU-Kommission legt bald den Digital Services Act vor – wieso eilt Österreich nun mit einer nationalstaatlichen Lösung vor?

Maurer: Es ist gut, dass auf EU-Ebene etwas passiert, aber das dauert Jahre, bis es wirksam wird und bis wir damit auch Facebook und Twitter in die Pflicht nehmen können. Bis heute verstehe ich nicht, warum dort trotz vieler Meldungen antisemitischer Content stehenbleibt, während jeder weibliche Nippel in der Sekunde gelöscht werden kann.

Windhager: Wichtig ist, dass Politik signalisiert: Wir nehmen die Sache ernst. Die Konzerne reagieren nur auf solche Klarstellungen und sonst gar nicht.

STANDARD: Das Paket gegen Hass im Netz gilt den Grünen als Sternstunde im Parlament. Nach einem Jahr Regieren: Was waren da für Sie eher finstere Stunden im Hohen Haus?

Maurer: Mit Sorge erfüllt mich, dass es oft eine aufgeheizte Stimmung gibt – und dass oft nur noch dazwischengeschrien wird, vor allem wenn Frauen am Rednerpult stehen.

STANDARD: Unlängst hat der Verfassungsgerichtshof verfügt, dass das Ibiza-Video endlich in voller Länge an den von SPÖ und Neos initiierten U-Ausschuss übermittelt werden muss. Warum zieht sich das alles so lange – noch dazu unter einer grünen Justizministerin?

Maurer: Die Aufgabe von Alma Zadić war und ist es, die Justiz zu schützen – denn die Staatsanwaltschaft darf gewisse Teile nicht verakten, weil sie strafrechtlich als nicht relevant gelten.

Windhager: Als rechtskundige und rechtstreue Person erkenne ich die Bedenken an, die es bisher gab, das gesamte Video zu übermitteln – weil es darin heikle Passagen gibt, die mit dem Untersuchungsgegenstand nichts zu tun haben, die aber womöglich den Persönlichkeitsschutz verletzen und vom Boulevard missbraucht werden können. Als interessierte Staatsbürgerin fände ich die Herausgabe der SMS-Korrespondenz des Kanzlers im Zuge der Casinos-Affäre jedenfalls wichtiger als die Sichtung des kompletten Ibiza-Videos.

"Die Veröffentlichung war für mich überhaupt nicht nachvollziehbar", sagt Anwältin Windhager über das Fahndungsfoto der "Ibiza-Oligarchin".
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Darf die Fahndungsausschreibung der angeblichen Oligarchin zu Recht als ein Tiefpunkt des Persönlichkeitsschutzes gewertet werden? Mit echten Oligarchen ist da ja wohl nicht zu spaßen, was die Frau gefährden könnte.

Windhager: Ich kann das unterstreichen: Die Veröffentlichung war für mich unverhältnismäßig und überhaupt nicht nachvollziehbar. Hier zeigt sich, wie problematisch es ist, dass es bei der Amtshaftung von Behörden keinen Anspruch auf Unterlassung gibt.

Maurer: Das sehe ich auch so – auch wenn die Aktion nicht ganz sauber war, war sie wichtig für die Republik. (Muzayen Al-Youssef, Nina Weißensteiner, 10.12.2020)