Ist es eine späte Einsicht? Konnte er endlich überzeugt werden, dass nur die Wissenschaft Wissen schafft über diese Pandemie und ihre Bekämpfung? Und nicht die (Partei-)Politik?

Man konnte jedenfalls mit gewissem Erstaunen registrieren, dass nun auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz die Kompetenz der Wissenschaft auf dem Gebiet des Covid-19-Geschehens anerkennend gewürdigt hat. Dies, nachdem heimische, exzellente Forscher und Wissenschafter bisher bloß eine beratende Nebenrolle in der zweiten Reihe spielten und hin und wieder eine – nicht allzu regierungskritische – Expertise abgeben durften.

Bundeskanzler Sebastian Kurz will den eigenen Standpunkt zum Glänzen bringen.
Foto: AFP/ALEX HALADA

Kurz unterstrich jetzt in öffentlichen Statements die Bedeutung wissenschaftlicher Befunde der – wörtlich – "renommierten Expertenrunde". Er meinte aber nicht österreichische, sondern jene Experten um den deutschen Virologen Christian Drosten.

Gut, mag man jetzt anmerken, wurde auch wirklich Zeit, dass Kurz beginnt, sich an wissenschaftlichem Sachverstand zu orientieren. Trotz aller Widersprüche unter Wissenschaftern – Forschen ist ein ständiges Suchen – bleibt die Wissenschaft ja der einzige wirkliche Kompass – an dem sich auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel seit Anbeginn der Pandemie orientiert.

Merkel hört – wie jetzt eben auch Kurz – auf die wissenschaftliche Expertisen eines Christian Drosten, eines Robert-Koch-Institutes oder der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Angela Merkel muss wie Sebastian Kurz politische Entscheidungen treffen, sie verteidigt dabei aber stets und vehement ihren Kurs, bei der Pandemiebekämpfung der Wissenschaft zu folgen.

Standpunkt

Wenn jetzt auch Kurz auf die Ratschläge und Bewertungen der Wissenschaft verweist, geht es ihm aber wohl vielmehr darum, den eigenen Standpunkt zum Glänzen zu bringen. Die plötzliche Hochachtung vor der deutschen Wissenschaft scheint bei Kurz nicht viel mehr zu sein als Kalkül. Der ÖVP-Chef bezieht sich auf Drosten und Co nur wegen deren Empfehlung eines harten Lockdowns, den auch er propagiert. "Diese eindeutigen und mutigen Aussagen der Wissenschaft", sagte Kurz, "sind hilfreich und unterstreichen die Notwendigkeit, dass die Politik konsequent handeln muss. Jeder, der uns damals für harte Maßnahmen kritisiert hat, sollte die Empfehlungen der deutschen Wissenschaft endlich zur Kenntnis nehmen und die richtigen Lehren daraus ziehen."

Kurz zitiert die prominente deutsche Wissenschaft, so können seine Worte auch gelesen werden, weniger zum Zwecke eines Erkenntnisgewinns, sondern im Sinne einer PR-Verwertbarkeit in eigener Sache. Denn wenn er tatsächlich mit ernstem Ton rät, "die deutsche Wissenschaft endlich zur Kenntnis zu nehmen", warum galt das nicht etwa auch im Zusammenhang mit den Massentests? Deutschland lehnt Massentests ja auf Basis "der sehr ausdifferenzierten Empfehlung des Robert-Koch-Instituts" ab. Von "Massentests sind Strohfeuer" war an anderer Stelle die Rede und von "viel verbranntem Geld". Warum wurde das nicht lobend zitiert?

Kurz hatte sich bisweilen fast spöttisch über heimische Experten geäußert, auf die er "Gott sei Dank" nicht immer gehört habe. Dabei wird es wohl auch bleiben. Österreichs Wissenschaftselite spielt in der politischen Corona-Babyelefanten-PR-Nummer einfach keine Rolle. (Walter Müller, 10.12.2020)