SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hilft ehrenamtlich bei Corona-Tests mit: Pflegt sie zu sehr die Rolle der Ärztin, statt die toughe Oppositionsführerin zu spielen?

Foto: Apa/SPÖ/David Visnjic

Nicht jeder im Corona-geplagten Land sehnt ein Weihnachten wie damals herbei. Für Pamela Rendi-Wagner etwa hat sich die Lage, zumindest politisch, im Vergleich zur Adventzeit 2019 verbessert. Vor einem Jahr musste die SPÖ-Chefin noch eine Revolte abwehren, heute steht sie ungefährdet an der Parteispitze – und darf eine frohe Botschaft für sich verbuchen.

23 Prozent an Wählerzuspruch bescheinigt eine Market-Umfrage für den STANDARD der SPÖ. Die Sozialdemokraten liegen damit nicht nur deutlich über den 19 Prozent des Frühjahrs, sondern endlich auch über den 21 Prozent von der letzten Nationalratswahl. Der Auftakt für ein strahlendes Comeback? Oder macht diese Schwalbe allein noch keinen Sommer?

Immer noch im tiefsten Winter

Wolle man bei dieser poetischen Metapher bleiben, dann befinde sich die SPÖ nach wie vor im tiefsten Winter, relativiert Peter Filzmaier. Der einst mit absoluter Mehrheit regierenden Partei sei es erst einmal nur gelungen, ein paar Stimmen von den Grünen zurückzuholen und das Kunststück aus dem Katastrophenjahr 2019 zu beenden, trotz zerbröselter FPÖ zu verlieren.

Doch immerhin zeichne sich ein "leichter Aufwärtstrend" ab, sagt der Politologe und sieht neben dem angreifbaren Krisenmanagement der Regierung und dem aus der Wien-Wahl importierten Stimmungshoch auch die Performance der Chefin als Faktor. Rendi-Wagner habe das Zeitfenster nach der mit respektablem Ergebnis gemeisterten parteiinternen Vertrauensabstimmung im April genutzt, urteilt Filzmaier: "Sie hat in der Corona-Debatte einen guten Mittelweg zwischen Staatsverantwortung und Fundamentalopposition gefunden."

Wien ist wieder Machtzentrum

Die Partei macht es ihr heute, vom Burgenländer Hans Peter Doskozil vielleicht abgesehen, leichter. Mit dem Sieg in Wien sei nicht nur die kollektive Angst vor dem Absturz ins Bodenlose weggefallen, erläutert ein Genosse, sondern auch das Vakuum in der SPÖ: "Vorher hat sich so mancher Landesparteichef wichtiger gemacht, als er ist. Jetzt gibt es wieder ein unumstrittenes Machtzentrum."

Die gewachsene Disziplin, Differenzen in der Partei statt via Medien auszudiskutieren, mache sich umso mehr bezahlt, als die Regierung immer chaotischer agiere, sagt der niederösterreichische SP-Chef Franz Schnabl, der den Umsturzversuch im Vorjahr angezettelt hatte. Tatsache sei überdies, "dass die Kompetenz der Vorsitzenden in der Gesundheitspolitik der ganzen Partei hilft". Allerdings fügt er an: "Ich würde mir noch wünschen, dass sie gegenüber den Fehlern der Regierung akzentuierter auftritt."

Verschossene Elfmeter

Schnabl spricht da nicht nur für sich selbst. Eine Kritik hat seit den wilden Tagen des Vorjahres, als Wahlschlappe, Schuldenmisere und Kündigungen von Parteipersonal die Führungsdebatte anfeuerten, in der SPÖ überlebt: Rendi-Wagner leiste sich zwar kaum noch Fehler, trete aber viel zu sehr als Expertin denn als kantige Oppositionsführerin auf, wie sie Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger verkörpere.

Da fehlten Drive und politisches Gespür, bemängelt ein Mandatar, der nicht genannt werden will. Ein anderer sagt: "Wir verwerten die Elfer oft nicht, die uns die Regierung auflegt." Kritische Geister in der Partei rechnen deshalb damit, dass die Diskussion um Rendi-Wagner früher oder später wieder aufflammen wird: dann, wenn die SPÖ einen Kandidaten für die nächste Nationalratswahl zu küren hat.

Die Umfragen lassen sich schließlich auch kritisch interpretieren. Mit rund 40 Prozent liegt die ÖVP immer noch meilenweit vorn, das Gleiche gilt für Sebastian Kurz in der Kanzlerfrage. Rendi-Wagner falle mehr Leuten negativ als positiv auf, sagt der Ex-SPÖ-Politiker Josef Kalina, heute Chef des Meinungsforschungsinstituts Unique Research, und liest aus den eigenen Daten auch keinen Aufschwung heraus. Er sei lange genug im Geschäft gewesen, um zu verstehen, dass sich eine Partei an jeden Prozentpunkt klammere: "Aber bei uns liegt die SPÖ konstant bei plus/minus 20 Prozent. Da hat sich nichts getan."

Weit von der kritischen Größe entfernt

Ob 20 oder doch 23 Prozent: In jedem Fall seien die Sozialdemokraten von der kritischen Größe, glaubhaft einen Regierungsanspruch stellen zu können, noch weit entfernt, sagt der Politologe Filzmaier. Eine Koalition mit Grünen und Neos geht sich angesichts der aktuellen Größenverhältnisse nicht aus, bliebe nur der Pakt mit der ÖVP: "Für Kurz ist die SPÖ aber die allerletzte Wahl."

Ob die ehemalige Kanzlerpartei da herausfindet, liege nicht nur an der Chefin. "Wenn drei der vier großen Landesparteien der ÖVP hoffnungslos unterlegen sind, stehen die Chancen insgesamt schlecht", sagt der Experte, dazu komme "ein schwieriger Spagat": Weil die SPÖ im ÖVP-Lager wenig Zugkraft habe, müsse sie versuchen, gleichzeitig grüne und (ehemalige) blaue Wähler zu ködern. In so einem Fall, gibt Filzmaier zu, sei es angenehm, als Analytiker nur für die Diagnose zuständig zu sein, statt auch eine Lösung finden zu müssen. (Gerald John, 12.12.2020)