Der Presserat verurteilt die Berichterstattung über Kindesmissbrauch von meinbezirk.at.

Foto: Screenshot meinbezirk.at

Die "Bezirksblätter" Niederösterreich und das Regionalportal meinbezirk.at haben nach Ansicht des Presserats den journalistischen Ehrenkodex mit einem Bericht über Kindesmissbrauch verletzt. Nach Auffassung des Senats 1 verstoßen die Beiträge von Anfang September 2020 gegen die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Der Senat des Presserats beschäftigte sich mit dem Artikel "18 Monate bedingt für Sexualtäter in Bad", erschienen auf Seite 6 der "Bezirksblätter Niederösterreich" vom 2./3. September 2020 sowie auf deren Onlineversionen.

In den Beiträgen werde über einen 17-jährigen Schüler berichtet, dem schwerer sexueller Missbrauch und sexueller Missbrauch an drei Unmündigen vorgeworfen worden sei. Die Vorfälle hätten sich im Juli 2019 in einem Bad ereignet und für große Empörung gesorgt. Die Artikel schilderten genau, auf welche Art und Weise der Tatverdächtige zwei kleine Mädchen sexuell missbraucht habe. Insbesondere bei einem der Opfer würden der Tatablauf und die daraus resultierende Verletzung sehr detailliert beschrieben. Danach berichten die Regionalmedien über das Gerichtsverfahren vor einem Schöffensenat und dessen Urteil: 18 Monate bedingt mit dreijähriger Bewährung.

"Voyeuristisch und irrelevant"

Eine Leserin wandte sich an den Presserat und kritisierte die detaillierte Beschreibung der Missbrauchshandlungen als voyeuristisch und irrelevant für die Öffentlichkeit, zudem sei es unsensibel und demütigend den Opfern und Familien gegenüber.

Die Medieninhaberin (Regionalmedien Austria) nahm am Verfahren teil und erklärte, dass die Intimsphäre der Opfer allein schon deshalb gewahrt werde, weil die Berichterstattung anonym erfolgt sei und sich aus der Berichterstattung keinerlei Hinweise auf die betroffenen Personen ergeben würden. Darüber hinaus sei die objektive Schilderung der Tathandlungen erforderlich, vor allem mit Blick auf eine transparente Prozessberichterstattung.

Der Senat sah das anders. Er räumt ein, dass Medien beim Thema sexueller Missbrauch einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Bewusstseinsbildung leisten können. Bei Berichten über konkrete Missbrauchsfälle sei aber stets auf die Würde und Intimsphäre der Opfer zu achten.

"Schilderung geeignet, Leid der Opfer zu vergrößern"

Die betroffenen Kinder seien zumindest für einen beschränkten Personenkreis identifizierbar, befand der Senat des Presserats. Dafür spreche das genaue Alter der Opfer und das Datum der Missbrauchsfälle und das angeführte Schwimmbad als Tatort. Das Bad befinde sich in einer Gemeinde mit knapp 400 Einwohnern.

Die geschilderten Details zum Tathergang sind nach Ansicht des Senats "geeignet, das Leid der Opfer und seiner Angehörigen zu vergrößern" – dabei spiele es auch keine Rolle, ob die expliziten Details zum Tathergang im Gerichtsprozess zuvor erörtert wurden.

Vorrang vor Nachrichtenwert

Der Senat wertet die vorliegenden Schilderungen als Eingriff in den Persönlichkeitsschutz der Opfer (Punkt 5 des Ehrenkodex). Zudem könne die genaue Schilderung der Missbrauchsfälle in den Medien auch zu einer neuerlichen Belastung der Familienangehörigen der Opfer führen. Darüber hinaus verletzten die Schilderungen die Intimsphäre der betroffenen Kinder. Der Senat weist in dem Zusammenhang auch darauf hin, dass bei Kindern dem Schutz der Intimsphäre Vorrang vor dem Nachrichtenwert einzuräumen ist (Punkt 6 des Ehrenkodex).

"Gefahr, dass pädophil veranlagte Personen Gefallen finden"

Der Senat sieht auch "kein legitimes Informationsinteresse: Die Vorfälle im Schwimmbad und das Leid der Kinder hätten im Rahmen einer transparenten Prozessberichterstattung auch auf andere Art und Weise vermittelt werden können – nämlich mit mehr Zurückhaltung und Sensibilität. Ferner besteht bei einer dermaßen genauen Schilderung des sexuellen Missbrauchs an Kindern auch die Gefahr, dass andere pädophil veranlagte Personen daran Gefallen finden."

Der Presserat hat "Bezirksblätter"/"meinbezirk" aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten. (red, 11.12.2020)