Die klassischen Kaffeehausgeräusche fehlen. Es wird nicht mit Geschirr geklappert, die Kaffeetasse macht kein dumpfes "Klack", wenn sie wieder auf ihren Unterteller zurückgestellt wird. Niemand schlürft den Milchschaum von der Melange. Es hallen keine Stimmen durch den Raum, kein Lachen. Man hört auch keine Wortfetzen von den Tischen nebenan mit. Die Kellner nehmen keine Bestellungen auf, erklären nichts zu den Tagestorten. Es ist still.

Während unweit auf der Kärntner Straße Trubel herrscht, die Wienerinnen und Wiener ihre Weihnachtseinkäufe unter hellerleuchteten Dekolämpchen erledigen, fast als wäre es ein Jahr wie jedes andere, ist hier im Café Frauenhuber eine ungewöhnliche Stimmung eingekehrt. Trotz der Lockerungen des harten Lockdowns bleibt die Gastronomie vorerst geschlossen. Drei Kaffeehäuser in Wien öffnen seit Donnerstagnachmittag ihre Pforten trotzdem für ganz spezielle Gäste. Schülerinnen und Schüler, aber auch Studierende bevölkern das Lokal in der Seitengasse einer von Wiens größten Einkaufsstraßen. Sie sind hier, um zu lernen.

Lernen im Café

In Kooperation mit den Gastronomen stellt die Stadt diese "fliegenden Lerncafés" bereit. Hier können Schülerinnen und Schüler, die das Homeschooling satt haben, für ein paar Stunden in anderer Atmosphäre den Unterrichtsstoff durchgehen. Die jeweils zweistündigen Slots – von 14 bis 16 Uhr und von 17 bis 19 Uhr – können online gebucht werden. Neben dem Frauenhuber im Ersten machen auch das Café Museum am Karlsplatz und The Legends (früher Café Haller) im Dritten mit.

Der allererste Slot im Frauenhuber ist mäßig besucht. Im vorderen Teil des Raums mit roten Polstermöbeln und braunen Holzstühlen sind zwei Tische besetzt. Drei junge Frauen hocken im hinteren Teil des Cafés. Sie kamen vor der Corona-Pandemie, vor den Lokalschließungen öfters hierher. Allerdings zum Vergnügen, nicht zum Arbeiten.

Abstand und Maske: Auch in den drei Lerncafés gelten klare Hygienebestimmungen.
Foto: Matthias Cremer

Die 16-jährige Mirijam und ihre 17-jährige Freundin Leonie haben ihre Laptops vor sich aufgebaut und ihre Lernunterlagen auf den zusammengestellten Tischen ausgebreitet, die Wasserflaschen haben sie selbst mitgebracht. Sie sitzen einander versetzt gegenüber, mit Abstand und rosafarbenen Masken.

"Ich habe eigentlich keine Probleme mit dem Lernen zu Hause", erzählt Mirijam, die gerade an ihrer Englisch-Hausaufgabe tüftelt. "Aber es ist sehr eintönig. Es ist jeden Tag das Gleiche, man macht den Laptop auf und kommt nicht raus." Dass sie die Schule vermisst, hätte sie Anfang des Jahres selbst nicht gedacht. Mittlerweile will die Drittklässlerin einer HLW (Höhere Bundeslehranstalt für Wirtschaftliche Berufe) aber wieder zurück in die Klasse.

Kaum sozialen Kontakte

Auch Leonie vermisst mittlerweile ihre "sozialen Kontakte", sagt sie. Das Gute am Lernen im Kaffeehaus ist für die Schülerin, dass sie "wieder unter Leute kommt", sagt sie. Das Angebot der Lerncafés richtet sich vor allem an Oberstufenschülerinnen und -schüler. Denn während zu Wochenbeginn die Pflichtschulen wieder den Unterricht vor Ort aufgenommen haben, müssen die Älteren weiter von daheim aus büffeln und kommen nur zu Schularbeiten und für Praxisstunden zurück an die Bildungseinrichtungen.

Mirijam (links) und Leonie (rechts) lernen gemeinsam.

"Seit März herrscht de facto ein Ausnahmezustand in der Schule", erklärte Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) bei der Präsentation der neuen Lernplätze. Viele Schülerinnen und Schüler hätten laut dem pinken Ressortchef Schwierigkeiten beim Distance-Learning – etwa wegen einer schlechten Internetverbindung, zu wenig Platz, lauter Geschwister oder fehlender Endgeräte.

Fünf Stunden Lernen

In der Studie der Fakultät für Psychologie der Universität Wien "Lernen unter Covid-19-Bedingungen" wurden im ersten Lockdown im Frühjahr 8349 Schülerinnen und Schüler zwischen 10 und 19 Jahren in einem Online-Fragebogen über die Situation im Distance-Learning befragt. Die Befragten gaben damals an, sich durchschnittlich fünf Stunden pro Tag mit schulbezogenen Aktivitäten zu befassen.

16 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler geben im April an, im Home-Learning keinen eigenen Computer, Laptop oder kein Tablet zur Verfügung zu haben. Auf die Frage, was beim Lernen besonders schwierig sei, nannten die Schülerinnen und Schüler überwiegend die selbstständige Auseinandersetzung mit den Aufgabenstellungen. Wobei: Da die Teilnahme freiwillig war und beispielsweise Schüler mit eingeschränktem Internetzugang nicht teilnehmen können, ist die Studie nicht repräsentativ, heißt es vom Forschungsteam.

Kein schlechtes Gewissen

"Brauchst du Hilfe?", fragt Esther vom Nebentisch im Café Frauenhuber. Die 21-Jährige ist Mirijams ältere Schwester. Mirijam braucht keine Hilfe. "Wir gehen gerne ins Café", sagt die Jusstudentin. Was sie daran mag? "Das Licht, die Atmosphäre, die Möbel." Dass sie beim Lernen und Arbeiten nicht immer die gleiche weiße Wand im Blick hat, sagt Esther.

Die 21-Jusstudentin Esther ist glücklich über den Tapetenwechsel.
Foto: Matthias Cremer

Denn auch die Unis sind erneut im Distance-Learning. Dass man wieder mit Freundinnen und Freunden gemeinsam lernen kann, findet Esther gut. Und: "Dass man an die frische Luft kommt und wo hingehen kann. Mit einem Ziel, das nicht nur der Supermarkt ist." Sie könne nun raus und in die Stadt gehen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. "Ich finde es eine super Initiative, das die Cafés zum Lernen öffnen, auch wenn sie eigentlich einen Verlust dadurch machen", sagt die Studentin.

Denn Speisen und Getränke dürfen im Kaffeehaus nicht angeboten werden. Auch erhalten die Gastronomen keine Miete von der Stadt. Petra Binder, die das Café Frauenhuber mit ihrem Mann betreibt, hofft trotzdem, dass es einen Output für ihr Lokal hat: "Wir haben eigentlich geschlossen, aber wir beleben das Kaffeehaus mit ein paar jungen Leuten, die vielleicht irgendwann einmal erzählen können, was sie Tolles im Lerncafé während Corona erlebt haben, und in zehn Jahren noch immer ins Café Frauenhuber gehen".

Petra Binder leitet das Café Frauenhuber.
Foto: Matthias Cremer

Binder ist im Lokal vor Ort und kümmert sich um alles, was trotz Geschäftsschließung anfällt. "Durch die traurige Situation, dass die Kaffeehäuser leerstehen, sind wir gemeinsam mit der Familie Querfeld, die das Café Museum betreibt, auf die Idee der Lerncafés gekommen", erzählt sie. Dann ging alles binnen weniger Tage über die Bühne.

Zehn Lernplätze gibt es im Café Frauenhuber. Auf den Tischen stehen Schildchen, die das W-LAN-Passwort verraten, daneben liegen auf jedem Platz Zettel, die die Hygienevorschriften erklären. "Wir sind zufrieden", sagt Binder über den ersten Tag. (Oona Kroisleitner, 13.12.2020)