Das Verfassungsgericht hatte die mit Spannung erwartete Entscheidung, ob das Verbot der Sterbehilfe in Österreich weiterbestehen soll, im Oktober vertagt.

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Mit großer Spannung wurde die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) erwartet, ob das Verbot der Sterbehilfe in Österreich weiterhin bestehen soll. Die Beratungen darüber hatten im Juli begonnen, im September hatte der VfGH eine mehrstündige öffentliche Verhandlung dazu abgehalten. Auf Antrag von vier Personen, darunter zwei Schwerkranke und ein Arzt, hatten die Höchstrichter zu entscheiden, ob die Paragrafen 77 und 78 des Strafrechts – "Tötung auf Verlangen" und "Mitwirkung am Selbstmord" – der Verfassung widersprechen.

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Am späten Freitagnachmittag haben die Richter nun ihre Entscheidung bekanntgegeben. Sie fiel so aus:

Verbot der Hilfeleistung zum Suizid aufgehoben

Als verfassungswidrig aufgehoben hat der VfGH jenen Teil des Paragrafen 78, der die Hilfeleistung zum Suizid unter Strafe stellt. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, so die Verfassungsrichter. Diese Gesetzespassage verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, weil der Tatbestand "jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbietet". Die Aufhebung der Bestimmung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft.

Verleiten zum Suizid, Tötung auf Verlangen verboten

Nicht verfassungswidrig ist dagegen der zweite Teil der Strafbestimmung, wonach das "Verleiten zum Suizid" verboten ist. Weiterhin verboten bleibt auch die in Paragraf 77 verankerte Tötung auf Verlangen.

Die ZIB2 berichtete über die Entscheidung des VfGH.
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In seinen Begründungen führte der VfGH aus, dass das Recht auf freie Selbstbestimmung auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben umfasse. Und es beziehe sich auch auf das Recht des Sterbewilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen. Beruhe die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so sei das vom Gesetzgeber zu respektieren.

Missbrauch verhindern

Der Gesetzgeber habe aber Maßnahmen gegen Missbrauch vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasse. Jemanden zur Selbsttötung zu verleiten bleibe verboten, eben weil die Entscheidung, sich mithilfe eines anderen zu töten, nur dann grundrechtlich geschützt sei, wenn sie frei und unbeeinflusst getroffen wird.

Im Fall der Aufhebung des Verbots der Tötung auf Verlangen wäre die Tötung eines Menschen stattdessen als Mord oder Totschlag zu verfolgen, so die Verfassungsrichter. Die Bedenken der Antragsteller gegen die Strafbestimmung wären damit nicht ausgeräumt.

Tür offen für assistierten Suizid

Damit bleibt es tabu, dass jemand einen Mitmenschen auf dessen Verlangen umbringt. Für den assistierten Suizid, wie ihn etwa Vereine in der Schweiz als Leistung anbieten, stehe hingegen die Tür offen, sagt Wolfram Proksch, Anwalt der Antragsteller: "Ein Arzt, der einem Patienten nach dessen Willen ein tödliches Medikament verschreibt, ist nun nicht mehr strafbar."

In einer ersten Reaktion sagte der Erzbischof von Salzburg und Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Franz Lackner, im Ö1-"Abendjournal", er sei erschüttert und fassungslos. Österreich sei ein Rechtsstaat und der Verfassungsgerichtshof das oberste Gremium. Das gelte es grundsätzlich zu respektieren. Aber die Kirche könne eine solche Entscheidung nicht mitvollziehen. Der evangelische Bischof Michael Chalupka sagte, das Urteil sei zu respektieren, die evangelische Kirche sei dafür gewesen, dass in dramatischen Ausnahmefällen über Barmherzigkeit und Straffreiheit diskutiert werden solle. Auflagen dafür seien aber wichtig.

Kopftuchverbot gekippt

Gekippt haben die Verfassungsrichter am Freitag auch das Kopftuchverbot an Volksschulen. Das unter Türkis-Blau im Jahr 2019 beschlossene Gesetz widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz. Die türkisen Ministerinnen Karoline Edtstadler (für die Verfassung zuständig) und Susanne Raab (Frauen und Integration) erklärten, dass höchstgerichtliche Entscheidungen zu akzeptieren seien. (red, 11.12.2020)