Harald Mahrer ist seit Mai 2018 Präsident der Wirtschaftskammer Österreich.

Foto: apa/neubauer

Harald Mahrer möchte jetzt "unser aller Seelenheil" zum Thema machen. "Wir sind durch die Corona-Maßnahmen massiv in unserer Freiheit eingeschränkt. Für viele Mitbürger ein unfassbares Zwangskorsett. Wir sollten diskutieren: Ist das alles verhältnismäßig, und wie ist das begründet? Wie kriegen wir unsere Freiheit zurück?"

Tatsächlich, ein echtes (Überbau-)Thema. Aber wieso ist das ausgerechnet dem Präsidenten der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) ein solches Anliegen? Sollte seine Priorität nicht ein Plan sein, wie die österreichische Wirtschaft den großen Corona-Einbruch bewältigt? Und: Ist nicht Harald Mahrer ein enger Vertrauter von Sebastian Kurz?

Ein ganz anderer Typ

Die kurze Antwort ist: Mahrer ist ein ganz anderer Typ als die allermeisten seiner, zum Teil legendären Vorgänger an der Spitze der WKO. Er war immer ein "Vordenker", immer jemand, der laufend Reformtraktate publizierte. Jemand, der die Öffentlichkeit nicht scheut wie die alten Sozialpartner-Granden, sondern sie geradezu sucht. Seine drei Vorgänger der letzten Jahrzehnte, Rudolf Sallinger, Leopold Maderthaner, Christoph Leitl, waren Eigentümer mittelständischer produzierender Betriebe. Mahrer kommt aus der Unternehmensberatungs- und PR-Branche. Er ist seit 2018 an der Spitze der Kammer und muss jetzt beweisen, dass sein neuer Stil Substanz hat.

Die WKO ist eine Säule der legendären "Sozialpartnerschaft". Die machte lange die eigentliche Wirtschaftspolitik. Dann wurde die Sozialpartnerschaft unwichtiger, vor allem in den Koalitionen von Schüssel und Kurz mit der FPÖ.

Alles bestens

Als die Corona-Katastrophe losbrach, traten jedoch Sebastian Kurz, Finanzminister Blümel und die Sozialpartner, darunter eben auch Mahrer und ÖGB-Chef Wolfgang Katzian, gemeinsam auf und präsentierten ein Milliarden-Hilfspaket. Mahrer heute: "Im März hat es nur drei Stunden gedauert, um mit der Regierung und Sozialpartnern die Maßnahmen zu beschließen. Ich habe den Eindruck, dass man uns eh sehr genau zuhört und die Dinge gemacht werden. Also Kurzarbeit und die anderen Hilfen – das funktioniert."

Die aktuelle Rolle der WKO? Bestens. "Auf Sozialpartnerebene werden wir regelmäßig gefragt, auch öfter als Präsidentenrunden mit Kanzler und Fachminister. So enge Abstimmung hat es nicht einmal in der SPÖ-/ÖVP-Regierung gegeben, als ich Regierungskoordinator war. Was seit dem Frühjahr stattfindet, hat schon andere Qualität. Mit uns redet man nicht zu wenig."

Auf Tuchfühlung mit Kurz

Mahrer kommt schon seit längerem zugute, dass er relativ früh auf den neuen ÖVP-Jungstar Sebastian Kurz gesetzt hat. Die beiden trafen einander erstmals im Jahr 2008 im Café Griensteidl und fanden sich beim Thema: "Die Volkspartei muss eine andere werden."

Kurz, Jahrgang 1986, und Mahrer, Jahrgang 1973, blieben auf ähnlichem inhaltlichem Kurs. Mahrer, der eine Unternehmensberatung gegründet hatte, die dann von der PR-Agentur Pleon Publico übernommen wurde, baute die ÖVP-nahe Julius-Raab-Stiftung als Thinktank auf. 2015 holte ihn Kurz an die Politische Akademie der Partei. Ab 2017 verlief der Aufstieg überhaupt synchron. Kurz löste Parteichef Mitterlehner im Mai 2017 ab, im Dezember dieses Jahres wurde Mahrer Präsident des ÖVP-Wirtschaftsbundes, im Mai 2018 Präsident der Wirtschaftskammer.

Das etwas unbestimmte Neue

Die beiden verbindet der Sinn für Inszenierung, beide stellen sich als Vertreter des – etwas unbestimmten – "Neuen" dar. Mahrer ist durchaus sein eigener Mann. Aber wenn ein wenig profiliertes Mitglied der Kurz-Regierung, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, mit einer eher peinlichen "Kaufhaus Österreich" Plattform an die Öffentlichkeit stolpert, geht er mit. Er schafft aber immer wieder auch eine elegante Distanzierung. Die WKO habe ja durch ihre weltweit mehr als hundert Außenhandelsstellen gesehen, wie die Asiaten das gemacht haben, etwa mit der Corona-App. In Europa habe man das verabsäumt. "Wie wir das vorgeschlagen haben, hat’s geheißen, kümmerts euch um eure eigenen Angelegenheiten, wir machen das schon. Wie das ausgegangen ist, wissen wir ja." Aber die Betriebe hätten ihre Hausaufgaben gemacht in Sachen Corona-Prävention im Gegensatz zur öffentlichen Hand. Das Massentesten in der Gastro ist dort, wo es im Sommer gebraucht wurde, schon zustande gekommen".

Das sieht der wahrscheinlich schärfste Mahrer-Kritiker aber ganz anders. Sepp Schellhorn ist Neos-Abgeordneter und als bekannter Gastronom und Hotelier ein Vertreter der mittelständischen Tourismuswirtschaft. Schellhorn: "Das Projekt ‚Safe A‘ wurde von Mahrer als eine flächendeckende Corona-Testung im Tourismus angekündigt. Ab Juli sollten 65.000 Tests pro Woche in ganz Österreich durchgeführt werden. Es sind nur 130.000 im gesamten Sommer gewesen. Eine Teststrategie konnte bis heute nicht vorgelegt werden, das Projekt floppte." Der Einfluss von Beratungsfirmen sei unklar.

Bürokratische Hürden

Nicht nur Schellhorn, sondern Unternehmenskreise kritisieren generell, dass die WKO die Abwicklung des staatlichen Corona-Härtefallfonds übertragen bekam. Statt der Finanz. Es gab bürokratische Hürden und langsame Auszahlungen. Mahrer habe sich profilieren wollen, sagt Schellhorn. Und: Die WKO verfüge nun über sämtliche Steuerunterlagen der Betriebe.

Dritter großer Schellhorn-Vorwurf: "Mahrer hat 2019 eine Reform der Gewerbeordnung angekündigt – seither hat man nie wieder etwas davon gehört." Dabei sollte es gerade jetzt Menschen erleichtert werden, sich selbstständig zu machen.

Damit konfrontiert, entgegnet Mahrer: Der Härtefallfonds sei innerhalb von 48 Stunden aufgebaut worden. "Wir haben das in einer affenartigen Geschwindigkeit gemacht. Die Kritik war ja nicht an uns, sondern weil die Regierung zweimal die Regeln geändert hat und weil Betriebe sagten, wieso muss ich was nachweisen. Aber die Finanz hat gesagt, das und das muss kontrolliert werden. Das ist öffentliches Geld."

Bei der Reform der Gewerbeordnung habe man zunächst eine dreijährige Evaluierungsphase seit der letzten Reform beschlossen. Das wisse auch Schellhorn. Den schätze er als angriffigen Unternehmer, aber er sei halt ein "Kammerjäger" (weil die Neos gegen die Zwangsmitgliedschaft in der Kammer sind).

Eine Frage des Stils

Was viele Leute an Mahrer stört, ist der Stil. Die PR-Aktionen, an denen er gern teilhat. Der Auftritt für das Feinschmeckermagazin Falstaff mit der Magnumflasche in der Hand: "Wieder Zeit zu genießen." Und die ungenierte Ämtersammlung: Wirtschaftskammer-Chef, Chef des Wirtschaftsbunds, dann Nationalbank-Präsident, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts, eine Zeitlang Obmann der Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft.

Das steht im Widerspruch zu seinem Anspruch als Reformer. Sein jahrelanger Kompagnon in der Pleon Publico wiederum, Markus Schindler, nennt ihn einen "Humanisten", der neben Pragmatismus auch über Weitblick verfüge. Immerhin ist Mahrer schon vor Jahren für eine Koalition mit den Grünen eingetreten: "Ich habe intensiv gekämpft, dass wir Leute überzeugt haben, dass es gut ist, das mit den Grünen zu machen, stehe nach wie vor dazu, diese Partnerschaft ist nicht existenzgefährdet. Man wird sich wieder finden, ist gescheit fürs Land."

"Wir alle stehen unter Stress"

Was ist der Ausblick? Die OECD hat für Österreich eine besonders ungünstige Prognose abgegeben. Mahrer sagt, die Wirtschaft werde 2021 nicht mehr so stark schrumpfen, sie werde sich "seitwärts bewegen", also stagnieren.

Die Krise verlange aber allen viel ab. "Ich nehme mir eine Stunde per Tag, um mit Unternehmerinnen zu reden. Zum Teil ist das herzzerreißend, unverschuldete Notlagen – so wie die Arbeitnehmer. Es ist ein Superkelomat, wir alle stehen unter Stress."
(Hans Rauscher, 13.12.2020)