Der Weg ins Büro zu Dieter Kiener mit Blick auf den Untersberg führt über einen Corona-Test. Das negative Ergebnis trifft wenige Minuten nach Beginn des Gesprächs ein. Gleich redet es sich entspannter. Der Stiegl-Chef hätte nie gedacht, dass ein kleines Virus einmal die Welt in Atem hält.

Heinrich Dieter Kiener: "Zehn Jahre lang sprach die Politik davon, dass wir sparen müssen. Nulldefizit war das große Ziel. Auf einmal ist Geld nur noch eine Zahl im Computer."
Foto: Mike Vogl

STANDARD: Wann haben Sie Ihr letztes Bier beim Wirt getrunken?

Kiener: Das muss am 1. November gewesen sein. Das entspannte Bier zum Feierabend fehlt mir. Mit jemandem auf ein Bier zu gehen heißt, Kontakt zu halten, sich auszureden, Freundschaften zu pflegen.

STANDARD: Die Durststrecke wird bis Jänner währen. Halten Sie es für richtig, dass die Schließung der Wirtshäuser um einen Monat verlängert wurde?

Kiener: Österreich entscheidet dies in der EU nicht allein. Einige sind sicher froh, später zu starten. Für die Branche insgesamt und ihre Zulieferer ist es ein schwerer Schlag. Wir haben zu Weihnachten Hochsaison.

STANDARD: Bei Wirten wird gefeiert. Nach dem zweiten Bier schmelzen Abstände. Haben die Österreicher Corona auf die leichte Schulter genommen?

Kiener: Viele nehmen es nicht mehr ganz ernst. Es gab Richtungswechsel in der Kommunikation. Verordnungen entstanden unter Zeitdruck, haben daher Lücken. Ich erlebe viel Kreativität, um den Lockdown zu umgehen. Es gilt als Kavaliersdelikt.

STANDARD: Gastronomen und Hoteliers werden für den Lockdown kräftig entschädigt. Der finanzielle Anreiz aufzusperren ist nicht gerade groß.

Kiener: Für viele ist ihr Beruf Berufung. Dennoch besteht die Gefahr, dass manch einer lernt, vom Staat rasch Geld zu bekommen. Langsam führt der Staat die Wirtschaft. Wir erleben eine kleine "Verstaatlichung".

STANDARD: Werden Wirte überfördert?

Kiener: Nein, es ist wichtig, dass ihre Strukturen erhalten bleiben. Es geht um viele Jobs – auch bei Zulieferern. Was, wenn das alles wegbricht?

STANDARD: Rechnen Sie mit einer Pleitewelle?

Kiener: Das nächste halbe Jahr wird spannend. Manche Prognose geht von 30 Prozent der Betriebe aus, die die Krise nicht überstehen. Die Gastronomie ist nicht eigenkapitalstark. Es braucht Großzügigkeit bei den Hilfen und langfristiges Denken.

Beim ersten Lockdown im Frühjahr horteten die Österreicher neben Toilettenpapier auch Bier.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Bier kennt keine Krise, hieß es einmal. Sind heuer dennoch Hopfen und Malz verloren?

Kiener: Hopfen und Malz nicht, so optimistisch bin ich. Bier unterliegt keiner Mode und ist weniger krisenanfällig als andere Produkte. Man kann sich mit ihm über schlechte Zeiten hinwegtrösten. Aber es gibt Brauer mit hohem Gastronomieanteil. Der Lebensmittelhandel federt etwas ab, aber auch er lebt im Westen von Touristen. Wir selbst hätten Bestellungen aus den USA und Kanada. Aber es sind keine Container zu bekommen. In der Logistik geht es global gerade drunter und drüber.

STANDARD: Keine Touristen, keine Feste und Feiern, kein Skiurlaub: Wie stark bricht heuer Ihr Geschäft ein?

Kiener: Wir rechnen mit einem Minus von 41 Prozent in der Gastronomie. In Summe haben wir Einbußen von 14 Prozent. 45 Prozent des Umsatzes kommen aus der Gastronomie, 45 aus dem Lebensmittelhandel, zehn aus dem Export. Unsere Stärke ist, dass wir breit aufgestellt sind, kompensieren können wir das Loch in der Gastronomie nicht.

STANDARD: Federn die Hilfen der Regierung Ihre Verluste ab?

Kiener: Die größte Hilfe für uns ist Kurzarbeit. Der Fixkostenzuschuss könnte für November und Dezember schlagend werden. Beim Betriebsergebnis wird es heuer dennoch ein sattes Minus geben. Ein Bauer hat mich einmal gelehrt: Ein Drittel erntet man, ein Drittel lagert man für die nächste Ernte ein. Ein Drittel legt man für Missernten beiseite. Ich habe mich nie überreden lassen, alles Kapital laufen zu lassen. Wir haben Reserven aufgebaut. Diese reichen natürlich nicht ewig. Wir haben monatlich 3,5 Millionen Euro an Löhnen und Gehältern zu stemmen. Es wird auch für Gastrozulieferer Förderungen geben müssen.

STANDARD: Stiegl hat eine jahrhundertelange Geschichte, hat Kriege und Seuchen überlebt. Relativieren sich da die aktuellen Turbulenzen ein wenig?

Kiener: Nein. (lacht) Ich lese in der Firmenchronik und in Tagebüchern ehemaliger Mitarbeiter, dass es die Vorgänger nicht leicht hatten. Aber ganz ehrlich: Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Krisen wie diese erleben muss. Ich bin 1956 geboren, da war der Krieg vorbei, alles war im Aufbau. Meine Generation hatte viel Freiheiten, wir konnten überallhin reisen, erlebten die 68er-Bewegung. Das hat mich geprägt. Dann kommt ein kleines Virus und bringt alles durcheinander. Da sieht man, wie anfällig die globalisierte Welt wurde. Andererseits hat man jetzt Zeit nachzudenken, ob alles so notwendig ist, was man geglaubt hat, haben zu müssen. Wer es richtig macht, wird daraus gestärkt hervorgehen.

Heinrich Dieter Kiener: "Bier unterliegt keiner Mode. Man kann sich mit ihm über schlechte Zeiten hinwegtrösten."
Foto: Mike Vogl

STANDARD: Viele Brauer fordern gerade ein Aussetzen der Biersteuer.

Kiener: Österreichs Biersteuer ist in Relation zu Nachbarländern deutlich höher. Viele Salzburger fahren fürs Bier nach Bayern. Weinsteuer gibt es keine, Sektsteuer auch nicht. Nur für Bier. Das tut ein bisserl weh.

STANDARD: Die Steuer spült 190 Millionen Euro im Jahr in den Fiskus. Wo soll sich dieser das sonst herholen?

Kiener: Zehn Jahre sprach die Politik davon, dass wir sparen müssen. Nulldefizit war das große Ziel. Jetzt spielt das alles keine Rolle mehr. Was ist da los? Auf einmal ist Geld nur noch eine Zahl im Computer. Drucken wir immerfort mehr Geld, was kommt danach? Auch Kurzarbeit muss zurückgezahlt werden. Ich gehe einmal davon aus, dass die Steuern nicht weniger werden.

STANDARD: Sank der Alkoholspiegel der Österreicher heuer eigentlich? Daheim wurde ja viel Bier konsumiert.

Kiener: In Gesellschaft trinkt man sicherlich mehr. Im Frühjahr wurde neben Toilettenpapier auch Bier gebunkert. Unsere Flaschenabteilung stand damals kopf, wir holten unsere Leute aus der Kurzarbeit zurück. Im November lagen wir im Lebensmittelhandel sieben Prozent über dem Vorjahr. Es wurde also einiges kompensiert. Aber Bier im Handel ist stark aktionsgetrieben.

STANDARD: Der Verkauf über Supermärkte bringt Brauern geringere Margen. Bier ist hier ein Lockartikel. Schmerzen Sie die Preisschlachten?

Kiener: Sie tun weh. Wir stehen im Verdrängungswettbewerb. Zu viel Menge gefährdet Qualität. Schauen Sie sich die Fleischbranche an. Was passiert hier am Anfang der Kette?

STANDARD: Sie verkaufen Stiegl auch über Diskontketten. Haben das andere Supermarktkonzerne goutiert?

Kiener: Das macht einen nicht zu ihrem Liebling. Es gab schon kleinen Gegenwind größeren Ausmaßes.

STANDARD: Nicht nur der Handel, auch der Biermarkt ist hochkonzentriert. Viele in der Branche missbilligen die Marktmacht der Brau Union. Wie konnte es denn zu ihr kommen?

Kiener: Da fragen Sie mich? Familienbetriebe gaben sukzessive auf. Dann kam der Schachzug mit der Steirerbrau. Viele Familien sahen ihre Zukunft und Sicherheit in großen Einheiten. Uns haben sie auch gefragt. Als junger Nachfolger wurde ich von den Weltkonzernen ausgetestet. Ich habe mich stets vehement verweigert. Damals gab es kein Wettbewerbsrecht, und dieses ist nach wie vor sehr lückenhaft.

STANDARD: Haben die Wettbewerbskontrollen versagt?

Kiener: Der Fokus auf billigen Einkauf ebnete Strukturen für Monopole. Je mehr Marktanteile Unternehmen haben, desto geringer sind anteilsmäßig ihre Vertriebskosten. Das verschafft Wettbewerbsvorteile, auch im Einkauf. Wir sind international gesehen kleine Brauer. Da muss man ganz schön strampeln, um Wertschöpfung zu erzielen.

STANDARD: In Salzburg lassen Sie Bier immer noch mit der Pferdekutsche ausliefern. Warum denn das?

Kiener: Die Pferde sind wie ein Barometer. Können wir uns die nimmer leisten, sperren wir zu. Nein, sie haben eben Tradition bei uns. Schon mein Vater war tagelang unterwegs, um Noriker zu kaufen. Ich hoffe, die Salzburger sind begeistert, wenn sie in der Früh zur Arbeit müssen und sich hinter dem Gespann stauen. Noch hat sich keiner beschwert.

Stieglbrauerei zu Salzburg: Die Umsätze mit der Gastronomie sinken heuer um rund 40 Prozent.
Foto: Mike Vogl

STANDARD: Stiegl ist die größte Privatbrauerei Österreichs und seit 120 Jahren im Besitz Ihrer Familie. Nur wenige Dynastien enden nicht in Zwist. Hat es bei Ihren Ahnen nie gegärt?

Kiener: Es gab bei Stiegl sehr konsequente Familienpolitik, die erst ich durchbrochen habe. Die Herren Kiener haben nie geheiratet. Was nicht heißt, dass sie frauen- oder kinderlos blieben. Nachfolger wurden aber stets über Adoption oder Neffen ins Unternehmen geholt. Ich selbst bin Großneffe. Bei meinem Adoptivvater hieß es noch, er solle erst einmal arbeiten, heiraten könne er später immer noch. Vor lauter Arbeit hat er das dann übersehen.

STANDARD: Die Fähigsten, nicht die eigenen Kinder erbten den Betrieb?

Kiener: Das kann nur so gewesen sein. (lacht) Ich wollte schon mit zehn Jahren Brauer werden und habe damals meinem Großvater erklärt, mein Weg sei vorgezeichnet. Offenbar habe ich entsprochen. Mit 14 wurde ich adoptiert.

STANDARD: Und Sie haben sich getraut zu heiraten?

Kiener: Ja. Mutig, nicht wahr?

STANDARD: Ist es Ihnen wichtig, Stiegl in Familienhand zu halten?

Kiener: Es ist mir wichtig. Und es gibt ambitionierten Nachwuchs. (Verena Kainrath, 12.12.2020)