Hinter der klar kommunizierten Politik der EZB steht eine lange Suche nach Kompromissen.

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Um eine halbe Billion Euro wird die Europäische Zentralbank zusätzliche Anleihen kaufen, um den EU-Staaten in der Corona-Krise zur Seite zu stehen. Die Währungshüter haben beschlossen, ihr Pandemie-Anleihekaufprogramm auf 1,85 Billionen Euro aufzustocken.

Diese Ankündigung kam Notenbankchefin Christine Lagarde leicht über die Lippen. Wie sich nach und nach herausstellt, liegt dahinter ein hart errungener Kompromiss. Die Französin erarbeitet sich einen Ruf als Brückenbauerin im EZB-Rat – im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Mario Draghi, der immer wieder für Unmut sorgte, indem er seine Kollegen vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Doch Lagarde dürfte der schwierige Spagat zwischen unterschiedlichen Präferenzen der Euroländer weiter zu schaffen machen. Denn die EZB jongliert mittlerweile mehrere Bälle.

Kompromissbereitschaft

Laut Informationen von fünf mit der Situation vertrauten Personen verlief die Zinssitzung am 9. und 10. Dezember spannungsgeladen, wie Reuters berichtet. Die von der EZB-Spitze vorgeschlagenen Maßnahmen seien demnach nicht einfach durchgewinkt worden. Letztendlich hat Lagarde eine große Mehrheit unter den Währungshütern für das vorgeschlagene Maßnahmenpaket sichern können.

Offenbar gab es Stimmen, die das Anleihekaufprogramm um 750 Milliarden Euro aufstocken wollten. Andere sprachen sich für weit weniger aus, als es schließlich geworden ist. Und auch zu den verbesserten Konditionen der Liquiditätsspritzen für Geldhäuser habe es divergierende Ansichten gegeben. Lagarde vermochte die Wogen zu glätten, indem sie beiden Seiten Kompromisse abrang. Einer der zurückhaltenden in der Runde verlieh dem Ausdruck: OeNB-Chef Robert Holzmann betonte am Freitag, dass die 500 Milliarden für das Kaufprogramm nur den Rahmen des theoretisch Möglichen abstecken. "Die Erwartung ist, dass das Volumen nicht im vollen Maße ausgenutzt wird", sagte der Notenbanker.

Andererseits dürfte Lagarde den Befürwortern ausgedehnter Anleihekäufe zugestanden haben, dass das Volumen sich auch noch erhöhen könnte. Beides hängt von den Finanzierungsbedingungen der Euroländer ab. Wiederum wird deutlich, dass die EZB mit dem Corona-Hilfsprogramm nicht nur bestehende Instrumente ausweitet, sondern neue Aufgaben übernimmt. Noch im März hatte Lagarde gesagt, es sei nicht die Aufgabe der EZB, auf Risikoaufschläge (Spreads) einzelner Euroländer zu reagieren. Damit hatte die Französin an den Märkten für Verunsicherung gesorgt. Heute ist die Situation umgekehrt: Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen aus Italien, Spanien und Portugal erreichten erneute Rekordtiefs. Letztgenannte sind erstmals im negativen Bereich angekommen.

Starker Euro

Die EZB hilft zwar Staaten, sich günstig zu finanzieren, doch geben Regierungen aus Sicht der Währungshüter weiterhin zu wenig für Konjunkturpakete aus. Darauf setzt Lagarde, um die Inflation im Euroraum endlich an das Ziel von knapp unter zwei Prozent heranzuführen.

Doch die Inflationsrate in der Währungsunion ist den vierten Monat in Folge negativ ausgefallen.

Verschärft wird die Situation durch die anhaltende Stärke des Euro im Vergleich zu anderen Währungen. Dadurch werden Importe günstiger, und das Preisniveau sinkt weiter. Nach der jüngsten Ratssitzung zog der Euro wieder an. Lagarde sagte, das treibe die Währungshüter um. Wie so vieles in diesen Zeiten. (Leopold Stefan, 12.12.2020)