Der stillen Nacht könnten turbulente Nachtdienste folgen. Österreichs Mediziner stellen sich auf viel Arbeit ein.

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"Die große Katastrophe" in Österreichs Intensivstationen – Triagen – konnte nach den Worten des Gesundheitsministers Rudolf Anschober (Grüne) abgewendet werden. Von einer großen Erleichterung könne aber noch keine Rede sein. Ein Blick nach Wien und in die Bundesländer bestärkt den Eindruck, dass im Intensivbereich keine Entspannung in Sicht ist. Die Zahl der Intensivpatienten ist noch nicht unter das Niveau vor dem "leichten" Lockdown Anfang November gesunken.

Am 4. November wurden österreichweit 421 Corona-Patienten auf den Intensivstationen behandelt. Damals warnte Anschober noch aufgrund des Ernstes der Situation: "Die zweite Welle ist viel stärker, gravierender und dynamischer." Damit bereitete er den zweiten harten Lockdown vor, der zwei Wochen später in Kraft trat. Beim Start des Lockdowns am 17. November lagen 600 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, Ende November wurde mit 700 Patienten ein Spitzenwert gemessen.

Ähnliche Ausgangslage

Nun ist der Lockdown seit Montag gelockert, die Geschäfte sind geöffnet. Doch die Situation hat sich im Vergleich zum Beginn des Lockdowns nicht beruhigt. Derzeit benötigen noch immer 572 Corona-Patienten intensivmedizinische Hilfe.

Ein Detailblick auf Salzburg: Von einer Erleichterung bei der Krankenhausbelegung kann hier keine Rede sein. Die Covid-19-Patienten seien im Vergleich zur Zeit vor dem Lockdown nicht weniger geworden. "Wir waren schon deutlich besser", sagt der Geschäftsführer der Salzburger Landeskliniken Paul Sungler. In der Vorwoche sei die Belegung auf 180 Patienten auf der Normalstation gesunken. In dieser Woche sei man wieder bei 209 Corona-Patienten. "Wir sind aktuell wieder dort, wo wir vor ein paar Wochen gewesen sind. Da reichen kleinste Undiszipliniertheiten wie die Annahme, es werde eh schon besser, und vermeintliche Lockerungen", warnt Sungler. Das führe umgehend zu einem neuerlichen Anstieg. Die Spitalsmanager hätten sich nicht umsonst zu Wort gemeldet mit einer Warnung vor den Lockerungen, sagt Sungler und prophezeit: "Ich fürchte, dass wir um einen weiteren Lockdown nicht umhinkommen werden."

Keine freien Betten

Auch in Wien ist trotz leicht sinkender Zahlen von einer Entspannung noch keine Rede. 127 Personen, die positiv getestet wurden, benötigten am Freitag intensivmedizinische Betreuung. Das waren um 34 weniger als zum Höhepunkt der zweiten Welle. Nach wie vor sei die Situation aber "sehr fordernd für das Personal", wie es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) heißt. Schließlich mussten auch 150 bis 200 Operationen, die verschiebbar waren, zeitlich verschoben werden. Diese müssten wieder nachgeholt werden.

"Besser wäre es gewesen, den Lockdown über die Feiertage zu verlängern. Die Zahlen werden wieder sprunghaft ansteigen."
Kostja Steiner, Leiter des Instituts für Intensivmedizin am Krankenhaus Rohrbach

Die momentane Stabilisierung der Zahlen in den Intensivstationen der Spitäler ist jedenfalls trügerisch und kann sich nach dem Ende des Lockdowns wieder verändern. Dabei gilt es, ein weiteres entscheidendes Faktum zu beachten. Denn worauf Ärzte und Klinikleiter seit langem hinweisen: Es gibt de facto keine freien Intensivbetten. "Die Vorstellung, dass es irgendwo freie Intensivbetten gibt, ist grundfalsch", sagt Christian Sitzwohl, Leiter der Abteilung für Intensivmedizin am St.-Josef-Krankenhaus in Wien und Gründer des Wiener Intensivnetzwerkes. "Freie Betten", sagt Sitzwohl, habe es auch vor der Pandemie immer nur sehr eingeschränkt gegeben. Wenn in der öffentlichen Diskussion von "Intensivbettenkapazität" die Rede ist, dann bedeutet das: Intensivbetten, die normalerweise von Patienten mit anderen Erkrankungen belegt sind, wurden für Covid-Patienten "freigeräumt". Was zur Folge hat, dass Menschen mit anderen, schweren Erkrankungen weniger gut betreut werden, nicht lebensnotwendige Eingriffe müssen verschoben werden.

Intensivbetten werden jetzt nur mit Akutfällen wie nach Unfällen oder Herzinfarkten und eben mit Corona-Patienten belegt. Alle anderen Patienten mit schweren Erkrankungen müssen warten, im äußersten Fall, bis sie "brutal gesagt, zu Notfällen werden", sagt ein Spitalsmanager in der Steiermark. Auch in diesem Bundesland ist die Situation nach wie vor auf hohem Niveau angespannt. "Auch bei uns herrscht natürlich die Angst, dass nach dem Ende des Lockdowns die Zahlen wieder ansteigen werden", sagt Reinhard Marczik, Sprecher der steirischen Krankenanstalten (Kages).

Jeder dritte Patient starb

Vor allem aber sei – ein weiteres prekäres Problem – die Personalsituation alarmierend. 400 ärztliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fallen derzeit wegen Covid-Erkrankungen aus. Nackte Zahlen, die in der Realität auch bedeuten: "Einige Mitarbeiter mussten sogar eigene Kollegen und Kolleginnen in den Tod begleiten", sagt Marczik.

Die Belastung für das ärztliche und betreuende Personal ist enorm: Bis Ende September 2020 verstarb ein Drittel der insgesamt 575 Corona-Intensivpatienten. Bei den über 65-jährigen Corona-Intensivfällen war es fast jeder zweite. Das geht aus einem vor kurzem veröffentlichten "Factsheet" des Sozialministeriums hervor.

"Weihnachtsbooster"

In Oberösterreichs Kliniken blickt man ebenso besorgt in Richtung Weihnachten. Tilman Königswieser, ärztlicher Leiter des Salzkammergut-Klinikums und einer der beiden Vertreter des Landes Oberösterreich in der Ampel-Kommission, warnt: "Es wird eine Challenge für uns. Viele Familien aus unterschiedlichen Bundesländern werden zusammenkommen und vor dem Christbaum singen. Da besteht natürlich die große Gefahr, dass es zu einem Weihnachstbooster kommt. Dennoch, die Lockerungen seien notwendig, befindet der Mediziner: "Das wichtigste Fest im Jahr muss man der Gesellschaft ermöglichen." Mit einem klaren "Nein" beantwortet hingegen Kostja Steiner, Leiter des Instituts für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Krankenhaus Rohrbach, die Frage, ob es sinnvoll gewesen sei, den Lockdown zu beenden. "Besser wäre es gewesen, den Lockdown über die Feiertage zu verlängern. Die Zahlen werden wieder sprunghaft ansteigen."

Ganz im Westen Österreichs zeigte der Lockdown zwar erste Wirkung, doch "von Normalbetrieb sind wir noch weit entfernt", sagt der intensivmedizinische Koordinator Vorarlbergs, Wolfgang List. Zwar stelle sich aktuell nicht mehr die Frage einer Triage, wie noch direkt vor dem Lockdown im November, aber die Zahl der Intensivpatienten stagniere auf hohem Niveau.

Sehr angespannt präsentiert sich die Lage auch in Tirol. "Die zweite Welle brachte uns mehr als doppelt so viele Patienten", sagt Michael Joannidis, Leiter der Internistischen Intensiv- und Notfallmedizin an der Innsbrucker Klinik. Da die Aufenthaltsdauer von Covid-Erkrankten auf der Intensivstation deutlich länger ist, leeren sich diese Betten nun viel langsamer. Sobald auf den Normalstationen die Zahl der Corona-Patienten wieder zunehme, gelte es, hellhörig zu werden, sagt Joannidis. Denn die Erfahrung zeige: Ein, zwei Wochen später füllen sich auch die Intensivstationen wieder. (Stefanie Ruep, Walter Müller, Steffen Arora, Markus Rohrhofer, Karin Pollack, David Krutzler, 12.12.2020)