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Wien – Die Reaktion von Karl-Heinz Grasser auf das – nicht rechtskräftige – Urteil im Buwog-Prozess fiel heftig aus. Das ist aber auch nicht verwunderlich, hatte der Ex-Finanzminister doch mit einem Freispruch gerechnet, wie sein Strafverteidiger Manfred Ainedter auch. Grasser wurde aber zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, "ein krasses Fehlurteil von einer befangenen Richterin", wie er kommentierte. Richterin Marion Hohenecker habe "mit zwei Gesichtern agiert": In der Verhandlung habe sie so getan als sei ihr die Wahrheit wichtig, aber dann habe sie ihn verurteilt, obwohl er eindeutig entlastet worden sei, sagte Grasser am Tag der Urteilsverkündung in Puls 24. Kritik eines nicht rechtskräftig Verurteilten in einer Art Ausnahmezustand, mit der alle gerechnet hätten und die dem auch zustehe, wie man in der Justiz einräumt.

Die heftige Reaktion von Grassers Anwalt Manfred Ainedter sorgt bei Richtern und anderen in der Justiz aber sehr wohl für Unverständnis. Der Verteidiger teilte nämlich unter anderem in einer Sendung von "Oe24" in Richtung der Familie der Buwog-Richterin aus. Sie ist in den Augen von Grassers Verteidigung ja befangen, wegen Tweets ihres Mannes, des Strafrichters Manfred Hohenecker. Er war einst ihr Ausbildungsrichter.

Die Tweets des Richter-Ehemannes

Dazu ein Rückblick: Manfred Hohenecker hatte vor dem Prozess über Grasser und sein bevorstehendes Verfahren getwittert. Im Zusammenhang mit einem "Tatort" etwa, in dem es um Selbstjustiz an einem Verbrecher ging, schrieb er, dass Grasser in Lebensgefahr wäre, gäbe es den Tatort wirklich. Er bekam später ein Disziplinarverfahren, der Oberste Gerichtshof als letzte Instanz verurteilte ihn disziplinär wegen vier Tweets, Hohenecker musste ein Monatsgehalt Strafe zahlen.

Der Ehemann der Buwog-Richterin wollte Grasser damals schon ins Gefängnis schicken, so sagt Ainedter. Seine Tweets begründeten den Anschein von deren Befangenheit, die Richterin hätte das Verfahren nicht führen dürfen. Entsprechende Anträge der Verteidigung wurden im Prozess aber abgewiesen, Marion Hohenecker blieb. In ihren Schlussworten lobten Angeklagte wie Verteidiger ihre Arbeit, nach dem Urteil dann nicht mehr. Ainedter zum STANDARD: "Sie hat das Verfahren sehr ordentlich geführt. Aber sie hat uns nur getäuscht."

"Links angesiedelte Familie"

Auf den Mann der Richterin konzentrierte sich Ainedter dann im "Oe24"-Interview. Im Buwog-Verfahren habe eine Richterin "die Zügel in der Hand gehabt, deren Ehemann prononcierter Sozialdemokrat ist und einst im VSStÖ (Verband sozialistischer Studenten Österreichs, Anm.) war. Sein Sohn ist noch weiter links angesiedelt", da gebe es auch "diverse Geschichten", so Ainedter, ohne Genaueres dazu zu sagen. Und die Frau dieses Mannes habe dann über Grasser entschieden. Weder die Familie noch Richterin Hohenecker reagierten darauf.

Unangemessene Angriffe auf die Familie einer Richterin und deren Privatsphäre orten darin Kritiker, all das gehe über die Anwälte zustehende Kritik an der Rechtsprechung hinaus. Ainedter, vom STANDARD darauf angesprochen, konkretisiert. Er greife nicht die Richterin persönlich an, er erkläre nur, warum der Anschein der Befangenheit gegen sie bestehe. Und ihre Familie? Sie sei eben ihrem Gedankengut gemäß eine "linke Familie. Und wenn jemand wie die Richterin in einer Familie lebt, in der zwei von drei Mitgliedern Linke sind, dann ist es im Zusammenhang mit den Tweets des Ehemanns naheliegenderweise so, dass der Anschein der Befangenheit besteht".

Buwog-Richterin Marion Hohenecker verhandelte drei Jahre lang.
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"Ein Richter muss das aushalten"

Ob er damit seine übertreibt? Ainedter verneint, "es ist ja eine ehrenwerte Familie". Er hätte auch so agiert, wäre die Familie eine konservative. Und seine Kritik an der Richterin sei nicht "zu massiv, das muss ein Richter schon aushalten." Er fordere nur Sachlichkeit und ein Verfahren ohne Vorverurteilung.

Müssen sich Richter mit derartiger Kritik abfinden? Darf ein Anwalt so argumentieren? Der Präsident der Österreichischen Rechtsanwaltskammer, Rupert Wolff, bejaht. Es sei das gute Recht der Angeklagten, das Urteil zu kritisieren, umso mehr sei es das Recht ihrer Anwälte. Sollten dabei Unwahrheiten gesagt werden, könnten sich die Richter ja wehren, etwa Verleumdung oder üble Nachrede geltend machen. "Und der, der kritisiert, muss dann den Wahrheitsbeweis antreten." Und in der Wiener Anwaltskammer heißt es, es habe keine Beschwerden gegen Ainedter gegeben.

Kritik von Richtervereinigung

Die Präsidentin der Österreichischen Richtervereinigung, Sabine Matejka, sieht es anders. Was an der Kritik störe, seien die "persönlichen Untergriffe", das Privatleben der Richterinnen und Richter zu thematisieren sei unangemessen. Was die Standesvertreterin zudem harsch kritisiert, sind die oft angesprochenen mangelnden Ressourcen der Justiz bei der Öffentlichkeitsarbeit.

Mediensprecher von Gerichten und Staatsanwaltschaften machen diesen Job neben ihrer täglichen Arbeit, ihnen gegenüber stehen Beschuldigte bzw. Angeklagte mit Medienprofis und Litigation-PR-Experten an der Hand. "Dem hat die Justiz wenig entgegenzusetzen. Gerade in großen Verfahren wie bei der Buwog braucht man Strategien und professionelle Unterstützung, da muss die Justiz Vorgänge erklären und stärker in der Öffentlichkeit auftreten. Das fordern wir schon lang."

Ministerium reagiert kaum

Und was sagt das Justizministerium dazu, dass die Kritik des Grasser-Anwalts am Buwog-Urteil die Familie und das Privatleben der Richterin erfasst hat? Nicht viel. Emotionale und angriffige Reaktionen seien zu erwarten gewesen und zur Kenntnis zu nehmen. Die Parteien hätten die Prozessführung der Richterin ja öffentlich "wertgeschätzt", sachlicher Kritik müsse sich auch die Justiz stellen. Kleine Einschränkung: "Persönliche Angriffe auf Richter und Richterinnen sind jedoch als unsachlich und polemisch zurückzuweisen."

Walter Meischberger fühlt sich an die "Praxis totalitärer Staaten" erinnert.
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Meischberger: "Totalitäre Staaten"

Nicht einmal die Reaktion von Buwog-Angeklagtem Walter Meischberger auf sein (nicht rechtskräftiges) Urteil brachte das von der Grünen Alma Zadic geführte Justizministerium bisher auf den Plan. Der Exlobbyist und einstige FPÖ-Politiker sagte in einem "Österreich"-Interview vor einer Woche, er fühle sich an die "dunklen Zeiten von vor 70 Jahren" erinnert. Auf Nachfrage des STANDARD, ob er damit die Justiz des NS-Regimes meint, erläuterte er Näheres: "Die Methodik dieses über elf Jahre langen Verfahrens erinnert an die Praxis totalitärer Staaten. Ich habe nie einen Bezug zum NS-Regime gemacht, sondern zur Methodik des politischen Missbrauchs der Justiz in totalitären Regimen. Dies war in Österreich in mehr als 70 Jahren nicht vorgekommen und darf nie wieder vorkommen."

Auch dazu gibt es erst auf Anfrage des STANDARD im Ministerium eine Reaktion: "Vergleiche mit totalitären Systemen sind als unsachlich und polemisch zurückzuweisen". Im übrigen sei es nicht Aufgabe des Justizministeriums, die Tätigkeit der unabhängigen Rechtsprechung zu kommentieren.

Richter im Regen

Die Richter hätten sich aber Rückendeckung erhofft. Richter-Präsidentin Matejka: "Viele haben sich erwartet, dass das Ministerium diesem Vergleich mit totalitären Regimen entgegentritt, da hätte es schon reagieren und sich hinter das Gericht stellen können. Das wäre kein Eingriff in die unabhängige Rechtsprechung." Ein Richter drückt es deutlicher aus: "Wir in der Justiz sehen uns im Stich gelassen."

Das Verfahren geht nun in die nächste Instanz, alle acht Verurteilten haben Rechtsmittel angemeldet. Für sie alle gilt die Unschuldsvermutung. Dass Karl-Heinz Grasser, der sich "finanziell ruiniert" nennt, wie medial kolportiert bald Privatkonkurs anmelden könnte, bestätigt sein Anwalt Ainedter übrigens nicht. (Renate Graber, 14.12.2020)