Das Interessante Blatt vom 19. Dezember 1895

Treu bis in den Tod

In unserer prosaischen Zeit kommt es selten genug vor, dass die Liebe selbst dem Unglück Stand hält und dass selbst begangene Verbrechen und Unthaten zwei Menschenherzen, die in Liebe zueinander entbrannt sind, nicht trennen. Man behauptet, dass Liebe ohne Achtung nicht bestehen kann und Achtung erscheint ausgeschlossen, wenn man ein todeswürdiges Verbrechen begeht, wenn man sich gegen die Gesetze des Staates und der Menschheit vergeht. Und doch kommt es vor, dass selbst überführte Verbrecher die Liebe derjenigen nicht einbüßen, die sie vorher geliebt und verehrt haben, dass sie auch dem Geliebten bis zum Schafott treu bleiben. Nur jetzt, in unserer prosaischen Zeit, ist es, wie wir schon betont haben, seltener geworden. Die Liebe hat, wie so manches andere, eine Umänderung erfahren und die alterthümliche, felsenfeste Liebe und Treue, wie sie unsere Vorfahren gekannt haben, scheint fast legendär geworden zu sein, denn sie passt nicht mehr in den Rahmen der modernen Zeit, deren hervorragendstes Kennzeichen die Flüchtigkeit ist.

Und diese Flüchtigkeit, diese Hast nach schnellem Genießen, nach raschem Leben ist der Tod der Liebe, die conservativ ist, und die sich nur in stiller Beschaulichkeit entwickeln nnd forterhalten kann. Und mitten in dieser neuen Zeit hat doch in England, dem Lande der Krämerseelen, wie Napoleon die Engländer nannte, eine Frau den Tod für ihren Gatten erlitten, der des Todes schuldig erkannt wurde. Francis Stretly war einst ein reicher Mann und als solcher lernte er auch seine Frau kennen, die ihm Liebe und Geld in die Ehe brachte. Zehn Jahre später war er ein Bettler, die Baringkrise verschlang sein und seiner Gattin Vermögen, wie so viele andere, und um leben zu können, hätte er arbeiten müssen. Aber Stretly hasste die Arbeit. Das Wohlleben gewöhnt, wollte er nicht um seine Existenz ringen und so blieb ihm, da er denn doch nicht mit seiner Frau verhungern wollte, nur die Bahn des Verbrechens übrig.

Seit zwei Jahren häuften sich in den Vororten Londons die Raubanfälle, harmlose Passanten wurden in den Abendstunden von einem vermummten Manne überfallen und ihrer Effecten beraubt. Wenn sie sich zur Wehre setzten, scheute der Räuber sich auch nicht, ihnen einen Messerstich zn versetzen, der sie für immer stumm machte. Fünf Mordthaten wurden von diesem Verbrecher verübt, dessen habhaft zu werden lange nicht gelang, bis vor sechs Monaten die englische Polizei
durch umfassende Recherchen zur Überzeugung gelangte, dass Francis Stretly, der ehemalige reiche Privatier, der Verbrecher sei. Er wurde verhaftet und nachdem er lange Zeit mit allem Aufwand seiner nicht geringen Intelligenz geleugnet hatte, legte er ein umfassendes Geständnis ab.

Seine Frau hatte während der ganzen Zeit, in der er in Untersuchungshaft sich befand, an seiner Unschuld nicht gezweifelt, sie konnte nicht daran glauben, dass der Auserwählte ihres Herzens ein mehrfacher Mörder geworden sei aus Scheu vor Arbeit. Als aber das Geständnis vorlag, da warf sie der Schmerz und die Scham auf das Krankenlager und als sie dasselbe verließ, war sie, früher noch jung und schön, eine alte, gebrochene Frau. Die Jury verurtheilte Stretly, wie nicht anders denkbar, zum Tode und das Verdict der Geschwornen wurde von dem Publicum mit lauten Beifallsrufen aufgenommen. Und da ereignete sich etwas Unerhörtes. Während die Menge den Verurtheilten beschimpfte, stürzte die Frau desselben, die sich auf der Zeugenbank befand, auf ihn zu und schloss ihn unter Thränen in ihre Arme. Das Publicum war über diesen Beweis der Liebe der Frau zu einem Mörder aufs tiefste entrüstet und im Gerichtssaal wurde dieselbe misshandelt. Sie verfiel in ein schweres Nervenfieber, dem sie 24 Stunden später erlag: sie war ihrem verbrecherischen Gatten bis zu ihrem Tode treu.

Die Frau eines wegen fünffachen Mordes zum Tode verurtheilten Verbrechers umarmt ihren Gatten.
ANNO | Österr. Nationalbibliothek

Neues Wiener Tagblatt vom 19. Dezember 1895

Aus der Dorfschule

Die Vösendorfer sind gutmüthige Leute, scheinen jedoch nur wenig pädagogische Grundsätze zu besitzen. Viele von ihnen nehmen nämlich zum Leidwesen der Lehrer an Sonn- und Feiertagen ihre Kinder in die Wirthshäuser mit, zu Tanzmusiken, Volkssängern und anderen ländlichen Vergnügen, die oft bis zum Morgen währten. Am Montag schliefen dann die Kinder in der Schule ein oder sie kamen gar nicht, so daß sich sogar der Obmann des Ortsschulrathes und Bürgermeister von Vösendorf Joseph Pflüger veranlaßt sah, eine Kundmachung anzuschlagen, in welcher den Eltern gedroht wurde, daß Kinder, die in Wirthshäusern gesehen werden, in der Schule "hierbleiben" müssen.

Trotz dieses Verbotes nahm am 1. d. M. der Friseur Anton Kopriva seine zwölfjährige Tochter Caroline zur Tanzmusik mit. Das Mädchen tanzte bis Montag Früh und ging mit dem Vater nach Hause. In die Schule kam sie erst Dienstag, und zwar wieder in Begleitung des Vaters, der sich die angedrohte Bestrafung des Kindes verbat. Der Lehrer August Ullrich behielt jedoch das Mädchen zurück und ließ es eine Strafaufgabe schreiben. Bald darauf erschien der Friseur in Begleitung des Bürgermeisters und ersterer nahm seine Tochter unter Beschimpfungen des Lehrers mit sich.

Bürgermeister Pflüger und Friseur Kopriva hatten sich deshalb gestern vor dem Mödlinger Bezirksgerichte wegen Einmengung in eine Amtshandlung zu verantworten. Der Bürgermeister erklärte, er habe nur intervenirt, weil der Friseur ihm berichtete, die Kinder würden anstatt im Schulzimmer im Holzschupfen unterrichtet. Der Richter sprach den Bürgermeister frei und verurtheilte Kopriva zu 24 Stunden Arrests. 

Grazer Volksblatt vom 19. Dezember 1895

Die Glühlampe in der Uhr

ist das neueste Product einer englischen Firma und wird voraussichtlich bald ein Gigerl-Artikel der Neuzeit werden. Die Glühlampe ist zwischen Zifferblatt und Uhrglas im Gehäuse befestigt, einmal mit diesem selbst und das anderemal mit einem isolierten Contacte an der Uhr verbunden. Eine kleine Taschenbatterie liefert dem Lämpchen die erforderliche Elektricität, und eine am Knopfe der Uhr befindliche Einschaltungs-Vorrichtung ermöglicht ein leichtes Einschreiten, so dass man sich in der Dunkelheit schnell über die Zeit informieren kann.
Die Uhr selbst ist durch das Einsetzen der Glühlampe nicht größer geworden, da der von dem Lämpchen beanspruchte Raum ein äußerst geringer ist.

Fliegende Blätter | Nr. 2628 - 1895

Ritter Kuno in Verlegenheit

Kuno (dem ein Drache irrthümlicher Weise die Schwiegermutter geraubt hat): "Sakra, jetzt weiß ich wirklich nicht: soll ich die Schwiegermutter von dem Drachen, oder soll ich den Drachen von der Schwiegermutter befreien?!"

Heidelberger historische Bestände – digital

(Kurt Tutschek, 19.12.2020)

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