Gurgeltesterin Anna-Marleen Marchetti: "In dieser Montur können wir weder angesteckt werden noch jemanden anderen anstecken."

Foto: Anna-Marleen Marchetti

Wer Pech hat, landet bei mir. Ich bin zuständig für diejenigen, die im ersten Durchgang positiv waren. Jetzt müssen sie gurgeln, um sicher zu sein. Meine Schutzbrille beschlägt, das Gesicht des Familienvaters verschwindet langsam wie hinter einer Nebelwand. Das Atmen durch den FFP2-Mund-Nasen-Schutz fällt mir schwer, der eng abschließende weiße Anzug macht es nicht besser.

Für einen kurzen Moment höre ich nur mehr sein Seufzen. Der Mann wirkt angespannt – er tut mir leid. Ich schätze ihn auf knapp 50. Zum dritten Mal versucht er schon, mit der Kochsalzlösung, die ich ihm in die Hand gedrückt habe, zu gurgeln und sie dabei nicht zu verschlucken. Eine halbe Minute ist das Minimum. Dann senkt er den Kopf, spuckt die Lösung gerade noch rechtzeitig aus und hustet.

Marxhalle Wien, Box 1, es ist 10.32 Uhr und ich stehe seit ungefähr drei Stunden zwischen Soldaten und Sanitätern: Zu mir kommen nur die Personen, die nach dem Nasen-Rachen-Abstrich ein positives Testergebnis bekommen haben und dieses mittels eines Gurgel-Schnelltests überprüft wird. Wahrscheinlich sind sie also an dem Virus Covid-19 erkrankt, auch wenn sie keine Symptome haben.

Ansteckungsgefahr

Sie könnten ansteckend sein. Deshalb trage ich eine Ganzkörper-Schutzausrüstung, wie auch die anderen ehrenamtlichen Helfer. Hier sind heute 538 helfende Personen vor Ort (Soldaten, Freiwillige, Mitarbeiter der Stadt Wien/des Samariterbundes). Obwohl ich selbst Publizistikstudentin bin und im medizinischen Bereich nicht tätig, helfe ich gerne auch unentgeltlich mit. Mich interessieren die Abläufe hier, die Menschen, die getestet werden und die Teams der Tester.

In einer einstündigen Einschulung erklärte uns der junge Ausbilder vom Samariterbund das korrekte An- und Ausziehen des Schutzanzuges, einem Einweg-Anzug aus dünnem, weißen Plastik. Wir sollen uns nach dem Anziehen gegenseitig kontrollieren, bevor wir in die Halle gehen – damit auch keine Haare unter den Klebestreifen hervorragen. Bei jedem Verlassen der Halle müssen wir den Anzug ausziehen und in einem speziellen Müllcontainer entsorgen. Ebenso die Handschuhe, wir tragen drei Paar übereinander.

In dieser Montur können wir weder angesteckt werden noch jemanden anderen anstecken – getestet werde ich vor dem Einsatz nicht. Der Ausbilder erklärte weiters, dass die Testpersonen 30 bis 60 Sekunden mit einer Kochsalzlösung gurgeln müssen, damit mögliche Viren im Speichel erkennbar werden. Und bei Problemen sollen wir ruhig und freundlich bleiben. Dann würde der Arzt vom Bundesheer übernehmen.

Der vierte Versuch. Er will nicht mehr, schüttelt den Kopf. 35 Sekunden. Ich zähle mit, das sollte reichen. Ich übernehme das Röhrchen. Erledigt! Der Familienvater lächelt zögerlich. Es gehen ihm sichtlich tausend Gedanken durch den Kopf – immerhin muss er jetzt Zuhause in Quarantäne ausharren, bis das endgültige Testergebnis, meist innerhalb von 24 Stunden, vorliegt. Und wenn er dann noch immer positiv ist, hat er zehn Tage Quarantäne vor sich. 12.30h.

Kaum Warteschlangen

Der größte "run" ist vorbei. Pro Tag rechnet man hier mit in etwa 20.000 Testpersonen. Mittagspause, eine halbe Stunde lang. Mein Blick wandert durch die riesige Halle. Die Marxhalle ist nur einer von drei Standorten für Corona-Massentests in Wien. Die Menschen wirken hier viel kleiner, als sie tatsächlich sind. Alles ist grell mit Neonlampen erleuchtet, an der Decke drehen sich Ventilatoren. Es ist warm, laut und riecht abgestanden, nach Lagerhalle. Obwohl die Halle bei weitem nicht voll ist. Es bilden sich auch kaum Warteschlangen bei den Eingängen. Der Ansturm bleibt bisher aus.

Ich ziehe den Anzug aus und gehe durch die Schleuse, bestehend aus mehreren schwarzen, dicken Stoffvorhängen, in den Aufenthaltsbereich. Essensausgabe für die Freiwilligen. Dort ist die Warteschlange lang. "Na, ned scho wieder an Schweinsbrotn", höre ich eine tiefe Stimme hinter mir sagen. Langsam trotten auch die Medizinstudenten und Sanitäter in Richtung Buffet. Den Vormittag haben viele von ihnen wartend verbracht, teils am Handy Filme-schauend, teils lesend in den "Cubes", den großflächigen Abteilungen, in denen sich alle Helfer und das Bundesheer aufhalten.

Auch uns bleibt zwischendurch Zeit zum Stadt-Land-Fluss spielen. Erst jetzt, in der Pause, merke ich, wie müde ich bin. Es war noch dunkel, als ich in der Früh meine Wohnung verlassen habe. Im Augenwinkel sehe ich, wie die Tür zum hinteren Ausgang aufgeht. Dort steht ein Grüppchen Grundwehrdiener, sie rauchen und witzeln. Ab und zu geht ein Kommandant durch die Menge und zischt den Burschen scharf zu:" Abstand halten, Männer!"

Gesichtslose Kontrolle

Manche halten sich daran, andere ignorieren ihn gekonnt. Wie kann man nur so einen desinteressierten Eindruck machen, denke ich, als sich die nächste Patientin vor mir aufstellt. Sehr deutlich spüre ich die Distanz zwischen uns. Ich frage mich, ob sie sich vor dem Gurgeltest fürchtet oder ob sie mich unsympathisch findet. Vielleicht verunsichert es sie auch, dass kaum etwas von meinem Gesicht zu sehen ist. Sie ist in etwa so alt wie ich, groß, brünett und hat einen russischen Akzent.

Bevor ich ihr genaue Anweisungen geben kann, unterbricht sie mich: "Das habe ich letzte Woche schon gemacht!" Ich gebe ihr die Lösung, sie gurgelt geübt, wie daheim beim Zähneputzen. Dann reicht sie mir die Probe, ohne sie zu verschließen und greift zu ihrer Handtasche. "Wars das?" fragt sie mich, ohne auf eine Antwort zu warten. Mit einem Murmeln dreht sie sich um, wickelt den flauschigen, gemusterten Schal eng um ihren Hals und eilt Richtung Ausgang.

Die weiteren Tests verlaufen wie am Schnürchen, mittlerweile habe ich Routine. Wenn ich durch die Halle gehe, spüre ich die Blicke der Patienten auf mir. In diesem Schutzanzug bewege ich mich schleppender, anders als sonst. Ich sehe aus wie eine Außerirdische in einem Science-Fiction Film. Sascha lächelt mir zu, als ich wieder in den Aufenthaltsraum komme. Er ist einer meiner vier Kollegen und war schon die letzten Tage als Sanitäter eingeteilt. Ob ich mit ihnen noch eine Runde UNO spielen möchte, fragt er mich. Ich sage zu und hoffe, dass mein Gedächtnis zwischen den Desinfektionsflaschen und den aufgestapelten Kartons mit Infoblättern auch mitspielt.

Dennoch positiv?

Bleib geduldig, sage ich mir selbst wie einen Leitsatz vor. "Ich verstehe Sie nicht!" Die ältere Dame vor mir zittert und wirkt hilflos. Ihre Stimmlage passt zu ihrem Auftreten: quirlig, zart und klein. Ich versuche, ihr mit meinen Blicken und meiner Stimme Sicherheit zu geben, auch wenn die Maske vor meinem Mund jede Deutlichkeit wegfiltert. Dennoch gelingt es erstaunlich gut, die nervöse Dame und die anderen positiv getesteten Personen zu beruhigen. Die meisten sind überrascht, dass sie keine Symptome haben, sich gesund fühlen, und dennoch ein positives Testergebnis bekommen. Mitunter werden manche nervös. Was geschieht jetzt?

Die Dame hat ein Merkblatt in der linken Hand. Das dürfte sie nach ihrem ersten Test bei uns, dem Nasen-Rachen-Abstrich mitbekommen haben. Darauf stehen genaue Anweisungen wie: "Bitte setzen sie die FFP2 Maske auf, gehen Sie wenn möglich zu Fuß nach Hause, sonst fahren sie auf dem schnellsten Weg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln heim. Kontakte vermeiden. Ganz unten auf dem Zettel ist die Nummer einer Corona Sorgenhotline vom Psychosozialen Dienst der Stadt Wien fett gedruckt zu lesen. Nach sieben Stunden endet mein Einsatz. Heute wurden insgesamt 4.451 Personen in der Marxhalle getestet. Ein letztes Mal helfen wir Freiwillen uns gegenseitig aus dem Anzug. Auch das geht jetzt schon recht flott. Auf der anderen Seite der Schleuse verabschieden wir uns. "Na zeig mal dein Gesicht", sagte ein Kollege und grinst breit. "Ah, so siehst du also aus!" (Anna-Marleen Marchetti, 13.12.2020)