Die Geduld der sonst so friedensbewegten Grünen mit dem Koalitionspartner ÖVP hat ein Ende: Weil die türkise Kanzlerpartei schon ab dem Jahreswechsel die Teiltauglichkeit für Burschen einführen möchte, damit auf die Art mehr Wehrpflichtige beim Bundesheer eingezogen werden können, will ihr Juniorpartner nun mit allen Kräften das Vorhaben verzögern.
Dazu der grüne Wehrsprecher David Stögmüller zum STANDARD kämpferisch: "Die Gespräche über die Teiltauglichkeit sind keineswegs am Laufen – und daher wird es mit uns auch keinen verfassungsrechtlichen Husch-Pfusch bis zum 1. Jänner geben."
Hintergrund seines Ärgers: Schon im November hat der grüne Klub an die Kabinette der für die Wehrpflicht beziehungsweise den Zivildienst zuständigen Ministerinnen Klaudia Tanner und Elisabeth Köstinger (beide ÖVP) eine Vielzahl an offenen Fragen rund um die Einführung der Teiltauglichkeit übermittelt, die es vor einem grünen Sanktus noch einvernehmlich zu klären gelte. Doch bis heute sei dort auf die Bedenken und Einwände der Grünen nicht eingegangen worden, kritisiert Stögmüller. Stattdessen werde ihnen als Koalitionspartner signalisiert, dass die Teiltauglichkeit mit Jahresbeginn 2021 einfach durchgezogen werden solle.
Zwar haben Türkis und Grün in ihrem Regierungspakt das türkis-blaue Vorhaben fortgeschrieben, dass es künftig zwei Tauglichkeitsstufen geben soll, nämlich "volltauglich" und "teiltauglich", um mehr Männer ab 18 in die Pflicht nehmen zu können. Derzeit dienen dem Militär übrigens neun Tauglichkeitsstufen von "untauglich" bis "fliegertauglich" zur Feststellung des Zustands der Stellungspflichtigen. Doch vor allem der ÖVP reicht dieses System nicht, weil dem Bundesheer wie den Blaulichtorganisationen nach wie vor die Zahl an Wehrpflichtigen zusammenschmilzt – wegen geburtenschwacher Jahrgänge und weil bei der Stellung zunehmend physische wie psychische Beeinträchtigungen geltend gemacht werden.
Die jüngsten Zahlen dazu: Konkret waren 2019 von 44.823 Stellungspflichtigen nur 29.833 tauglich – was etwa 66,5 Prozent entspricht. 9.887 von ihnen, und damit etwa 22 Prozent, wurden als untauglich eingestuft. Bei 5.103 Stellungspflichtigen, also an die 11,4 Prozent, blieb eine Einstufung vorläufig offen.
Überforderung befürchtet
Doch während die Grünen gegen eine überstürzte Einführung arge Bedenken hegen, verweist man auf ÖVP-Seite seit November auf einen Regierungsbeschluss, der von den Ministerinnen Tanner und Köstinger eingebracht wurde und in dem festgehalten sei, dass die Neuerung ab Jänner vorgesehen sei.
Im Detail stößt sich Grünen-Wehrsprecher Stögmüller aber etwa daran, dass die rechtliche Konformität einer Teiltauglichkeit offenbar bis heute nicht mit einem weitreichenden Spruch des Bundesverwaltungsgerichtshofs Ende der Achtzigerjahre abgeklärt wurde: Laut diesem Urteil müssen für den Wehrdienst als fähig befundene Männer eine Waffe bedienen können und auch einem Mindestmaß an physischer Kraftanstrengung unterzogen werden können – selbst wenn sie sich für das Ableisten von Zivildienst entscheiden sollten, weil dieser als Ersatzdienst gilt. Hier wissen die Grünen auch Verfassungsrechtler auf ihrer Seite, die bereits betont haben, dass man schwer jemanden als wehrtauglich befinden könne, der von vornherein nur als bürotauglich gelte.
Stögmüller betont dazu gerade in Zeiten von Corona und Terror: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ministerinnen Tanner und Köstinger möchten, dass junge Männer im Zuge ihres Wehrdienstes oder Zivildienstes physisch überfordert werden – und dass das womöglich auch noch psychische Schäden nach sich zieht."
Datenschutz für Zivis gefragt
Der Grüne hinterfragt für eine Zustimmung zur Teiltauglichkeit zudem auch, ob die Zuweisung von Teiltauglichen an die Zivildienstagentur schon datenschutzrechtlich abgeklärt wurde: Hier pocht Stögmüller auf eine hochsichere Lösung für eine allfällige Übermittlung von heiklen Diagnosen, die der Stellungskommission vorliegen und die womöglich sogar an die Trägerorganisationen gelangen sollen. Und mit der ÖVP ebenfalls ungeklärt sei, was eingeschränkte Tätigkeiten bei den Blaulichtorganisationen und zivilen Einrichtungen für die teiltauglichen Zivis überhaupt bedeuten.
Kein Parlamentsbeschluss nötig
Auf STANDARD-Anfrage, welche Kriterien für ein Einziehen zum Bundesheer schon demnächst nivelliert werden sollen, erklärte man am Montag im Verteidigungsressort von Ministerin Tanner, dass noch vor Weihnachten eine entsprechende Information an die Öffentlichkeit ergehen werde. Ob dafür eine Änderung des Wehrgesetzes oder bloß ein Erlass oder eine Verordnung nötig sei? Ersteres sei aus Expertensicht nicht erforderlich, heißt es. Bedeutet: Die Teiltauglichkeit kann vom Ministerium ohne Parlamentsbeschluss eingeführt werden. (Nina Weißensteiner, 14.12.2020)