Foto: Harper Collins

Vor ein paar Jahren erlangte die Menschheit für kurze Zeit Zutritt zu hunderten exotischen Planeten. Auf wundersame Weise entsprach jede dieser Welten genau dem Setting eines beliebten Genres aus der Phantastik, ob High Fantasy oder Space Opera. Und hier ist nun der entsprechende Reiseführer. Der britische Autor Nate Crowley verknüpft damit die Grundidee von Michael R. Underwoods "Genrenauts"-Reihe mit der Machart diverser Reiseführer, die Terry Pratchett für seine Scheibenwelt geschrieben hatte – inklusive Karten, Schautafeln, nützlichen Tipps und launigen Augenzeugenberichten. Vor allem aber zieht er damit all die Klischees, die diese Genres hervorgebracht haben, auf höchst vergnügliche Weise durch den Kakao. So unterhaltsam kann Metafiktion sein!

Es wird episch

Auf den Meta-Aspekt komme ich nachher noch ausführlicher zu sprechen. Loben sollte man zunächst aber einmal Crowleys Wortwitz, der mich wiederholt lauthals zum Lachen gebracht hat. Da beschreibt er etwa die schwertschwingenden Barbaren der Pulp-Welt Grondorra als Nietzschean beefcakes mit "Bauchmuskeln wie die Kinderzeichnung eines Fensters" oder lässt einen Monsterkraken einen Schrei ausstoßen "wie ein Zug voller alter Modems, der in eine Schweinefarm kracht". Sehr schön auch die Serendipiteagles: die Adler der Fantasy-Welt, die immer dann zufällig auftauchen, wenn man gerade in höchster Not ist.

Womit wir schon auf Mittelvelde gelandet wären, einer Welt, die in den Worten unseres Berichterstatters so viel Pracht verströmt wie das hintere Ende einer kranken Katze Scheiße. Mittelvelde ist primär an Tolkien angelehnt, garniert mit ein paar gelungenen Seitenhieben auf George R. R. Martin. Als Not-to-Miss-Erlebnisse – nicht vergessen, dies ist ein Reiseführer! – werden hier landestypische Aktivitäten wie die Suche nach magischem Modeschmuck oder Begegnungen mit vergessenen Thronerben empfohlen. Und für einen Aufpreis kann man auch in die Rolle Gandalfs schlüpfen: bullying a group of hapless nobodies into a harrowing cross-continental odyssey, before making them fight a dragon while you basically just watch.

Superhelden und Skelettpiraten

Die High Fantasy und deren Kollektion an stereotypen Plot-Elementen ist eines der Themen, bei denen Crowley zur Hochform aufläuft. Anderen Genres bzw. Welten wird etwas weniger Platz eingeräumt – etwa Eroica City, einer Millionenmetropole, die jährlich 14 Prozent ihres Budgets für den Wiederaufbau von Infrastruktur aufwenden muss, die bei den ständigen Kämpfen ihrer Superhelden- und Superschurkenpopulation in Klump gehauen wird. Oder besagtes Grondorra, eine an Robert E. Howards Hyborisches Zeitalter angelehnte Low-Fantasy-Welt voller Barbaren und Dinosaurier.

Die Doppelwelt Mundania & Whimsicalia wiederum ist eine klare "Harry Potter"-Verarsche. Warum man diese Welt besuchen will, bringt der treuherzige Bericht einer Besucherin ungewollt selbstentlarvend auf den Punkt: "I always knew deep down that I was special ..." Und auch die Wasserwelt Spume ist im Wesentlichen an eine einzige Serie angelehnt: nämlich an "Pirates of the Caribbean", Seeungeheuer und lebende Skelette inklusive. Geradezu pratchettesk ist aber die Idee, dass der auf sämtlichen Seekarten einzeichnete Kompass nicht etwa ein Ornament sei, sondern dass an dieser Stelle tatsächlich ein gigantischer Steinkompass aus dem Ozean rage.

"Dress to aggress"

Try to aim for something between "medieval infantry" and "motorcyclist with heavily implied erotic appetites" empfiehlt der Reiseführer für die Wahl der Garderobe beim Besuch Wastelands: einer postapokalpytischen Ödnis, die zwischen den Badlands und den Worselands dennoch mit der einen oder anderen Attraktion aufwarten kann. Zum Beispiel einem Themenpark, in dem intelligente Affen alle möglichen Wahrzeichen im Sand vergraben haben, vor denen man dann theatralisch zu Boden sinken und dabei ein Selfie schießen kann.

Wasteland ist im Grunde eher ein "waste basket", gespeist aus so unterschiedlichen Quellen wie "Mad Max" (hier: Mental Derek), "The Walking Dead", "Planet der Affen", "Terminator" oder "Die Tribute von Panem". Allerdings hat Crowley ein verbindendes Element zwischen all diesen Entwürfen ausgemacht, nämlich eine culture of mandatory violence. Obwohl sich die Bewohner Wastelands durch Kooperation jederzeit locker aus dem Sumpf ziehen könnten, hauen sie lieber weiter aufeinander ein. Wie wahr! Und wie langweilig ab der x-ten Staffel eines solchen Formats!

Die Space-Operette

Space schließlich ist nicht nur eine einzige Welt, sondern ein ganzer Sektor – einer, in dem das Vakuum strahlungsfrei ist und dafür Schall leitet, damit man all die schicken Raumschiffgeräusche hören kann. Gespeist ist diese Space-Opera-Synthese vor allem von "Star Trek", aber auch von "Babylon 5", "Star Wars", "Alien" und all den alten Weltraum-Pulps, in denen heroische menschliche Commander tumbe Aliens austricksen oder auf Wesen aus reiner Energie (BPE) treffen. Everyone gets really excited when they come across their first BPE, until they realise it's essentially just vermin that looks like a shit special effect, and which is determined to dive into their personal electronics and fuck them up beyond repair.

Highlight des Kapitels ist, wie Crowley die uralte Genre-Diskussion um Hard SF und die Beschränkung auf das wissenschaftlich Mögliche einbringt. Mitten in Space liegt nämlich der Sektor Hard Vacuum, dessen Bewohner sich streng an die Naturgesetze halten. Und so müssen sie verbittert zur Kenntnis nehmen, wie man links und rechts mit Überlichtgeschwindigkeit an ihnen vorbeizischt, während sie selbst jahrelang im Geruch ihrer eigenen Fürze eingepfercht verbringen, um von A nach B zu kommen.

Und jetzt: Das Meta-Meta-Element

Im Nachwort bedankt sich Nate Crowley bei seinem Verlag, dass er ihn dazu gebracht hat, ein anfangs etwas überkomplexes Werk um die eine oder andere Ebene zu vereinfachen. Das dürfte sich auf ein paar im Text verbliebene Anmerkungen zu Querverbindungen zwischen den einzelnen Welten beziehen, die auf mehr hindeuten, dann aber nicht weiter ausgeführt werden. Das wichtigste Meta-Element ist aber geblieben und macht den Roman erst zu dem Vergnügen, das er ist. "Notes from Small Planets" ist nämlich als Buch-im-Buch angelegt, genauer gesagt als das nachträglich veröffentlichte Manuskript eines Autors mitsamt den Anmerkungen seiner Lektorin. Beide sind übrigens spurlos verschwunden, nachdem sich das Portal zu den Genre-Welten wieder geschlossen hat.

Besagter Autor, der eigentliche Reisende, heißt Floyd Watt und ist ein Vertreter der ganz alten Schule. Selbstverliebt und sagenhaft unsensibel, nie den Status quo hinterfragend und jederzeit dazu bereit, sich an die Mächtigen der Welt(en) ranzuwanzen, hüpft der selbsternannte Entdecker von Planet zu Planet und treibt seine Lektorin Eliza Salt mit seiner Ignoranz auf die Palme. Die ist erkennbar klüger als er, allerdings auch – stets antikolonialistisch, antisexistisch und antirassistisch – eine politisch korrekte Spaßbremse. Aus dem Zusammenspiel der beiden, wiedergegeben als Textanmerkungen in den Fußnoten, ergibt sich die zweite Ebene des Buchs. Zugleich spiegelt Crowley damit den Diskurs wieder, der seit längerem in der Phantastik zwischen den Vertretern unterschiedlicher Generationen – respektive Ideologien – läuft. Hervorragend gemacht!

Kommt da noch mehr?

Bleibt nur noch der Hinweis auf einige notable absences, wie das so schön heißt. Der Besuch auf einer Lovecraft'schen Horrorwelt hätte sich eigentlich angeboten. Auch Cyberpunk fehlt. Oder ein totalitärer Überwachungsstaat. Alternate History. Urban Fantasy. Ganz zu schweigen von Liebesschmonzetten mit Vampiren, Werwölfen und Gestaltwandlern. – Kurz, da gäbe es noch jede Menge Genre-Welten zu bereisen und zu entlarven. Wenn wir Glück haben, lässt Crowley sein schreiberisches Duo wieder aus dem Portal auftauchen und setzt das Vergnügen fort, aber zumindest für dieses Weihnachten sind wir beschenkt.