Verschollene Pakete, ewig reisende Briefe – jede und jeder weiß ein Klagelied zu singen.

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Als ich Anfang des Jahres in Venedig in der Wintersonne saß und auf die Lagune blickte, war Covid-19 in Italien gerade noch kein großes Thema. 2020 hatte noch keinen schlechten Ruf. Ich schrieb entspannt Postkarten.

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Für zwei Freundinnen suchte ich Karten mit alten Zeichnungen von Katzen in venezianischen Karnevalskostümen aus. Die beiden sind das, was man Katzenfrauen nennt. Im November bedankten sie sich bei mir. Die eine wunderte sich, warum ich mitten im zweiten Lockdown in Venedig war. Und vielleicht auch, warum ich ihr eine Katze schickte und noch Salz in Wunden rieb. Ihre Katzen wohnten in der Zwischenzeit nämlich anderswo, auch weil ihr Freund nicht das ist, was man einen Katzenmann nennt. Meine Karte hatte zehn Monate von Venedig nach Wien gebraucht – und wurde damit von einer lieb gemeinten zu einer unpassenden.

Die andere Katzenfreundin lebt in Graz. Die größere Nähe zur Lagune half nichts: zehn Monate. Ein unsportlicher Pilger Mitte 60 würde in dieser Zeit dieselbe Strecke zu Fuß mehrmals schaffen.

Vier Stühle auf Reisen

Es stimmt schon: Die Post bringt allen was. Wann, ist eine andere Frage. In letzter Zeit muss man schon froh sein, wenn überhaupt etwas ankommt. Und wenn es nur eine Benachrichtigung mit unlesbaren Angaben von Abholstationen wie "Narnia 02" oder mit Namen von Nachbarn ist, die vielleicht während der Kanzlerschaft Bruno Kreiskys im Haus wohnten, die aktuell aber niemand mehr kennt.

2020 aber wurde das Jahr der Internetkäufe und Zusteller. Wobei man genau nichts im Internet kauft, man sucht nur dort aus. (Außer im Kaufhaus Österreich, da sucht man nur – und aus.) Bringen muss die Ware dann irgendjemand.

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Im Oktober passte ich eine Woche auf die Babykatzen meiner ältesten Tochter und ihres Freundes auf, wofür ich zu den Enkelkatzen zog. Die waren supersüß und machten keine Arbeit. Ich begann also nicht nur nach und nach die Küche zu putzen, Glühbirnchen im Backrohr und Kühlschrank sowie Batterien in Uhren und kaputtes Geschirr zu ersetzen, ich fand auch mehr und mehr, dass ihre Küchenstühle hässlich, unbequem und halb hin waren. Ich schmökerte im Netz und fand günstige Stühle bei einem Möbeloutlet in Spanien, das schnell per Post zustellen sollte. Wie würde sich das Paar bei der Rückkehr freuen!

Ich mach’s kurz: Sie haben jetzt zwei schlichte Holzbänke aus Österreich. Die Stühle kamen nie an. 48 Stunden hätte ihre Reise von Barcelona nach Wien dauern sollen. Doch ich erhielt nur Nachrichten wie "Es gibt ein Problem mit Ihrer Bestellung" oder "Ihre Ware ist jetzt in Enns" (war ich noch nie) und schließlich "Ihre Pakete sind wieder in Spanien". Tagelanges Nachtelefonieren führte zu nichts. Das Geld für die Stühle wird mir erstattet. Das Geld für die Zustellung nicht, weil sie irgendwann auch in Wien gewesen sein sollen.

Schlangen

Ich bin nicht allein. Erzähle ich anderen von verlorener Post, sprudelt es aus ihnen nur so heraus. Ein anderes Problem sind Paketboten, die nicht klingeln, sondern gleich den Zettel ins Postfach legen und gehen. Denn noch schlimmer, als lange daheim zu warten, ist es nur, auf der Post in einer Schlange während einer Pandemie zu warten.

Bei meiner Postfiliale steht man schon auf der Straße Schlange – und dann drinnen. Ich nehme Corona ernst und wechsle meine FFP2-Maske wie meine Socken. 40 Minuten lang im geschlossenen Raum mit 25 anderen zu stehen macht mich aber auch mit Maske nervös.

Dabei starre ich abwechselnd auf Männer (zwei oder drei sind immer dabei), die ihre Nase aus dem Mund-Nasen-Schutz hängen lassen, und auf drei Schalter, von denen noch nie mehr als einer besetzt war. Die anderen zwei waren wohl eine Laune des Architekten. Oder die dort einst sitzenden Mitarbeiter sind beim Suchen von Paketen vor Jahren verschollen. Man weiß es nicht.

Als ich einmal nach 40 Minuten Wartezeit mit dem gelben Zettel winkte, sagte die Dame am Schalter: "Das ist noch nicht bei uns." Ich bemerkte, dass auf dem Zettel das aktuelle Datum stand. Da nahm sie ihn, sah ihn an wie einen toten Fisch und trug ihn in ein Hinterzimmer. Von dort kam sie nach langer Zeit zurück. Mit meinem Paket.

Mürztaler Wolkenkratzer

Ein anderes Paket kam vorige Woche dafür ganz unerwartet zu mir. Mein erster freudiger Gedanke: Oh, ein Paket für mich! Doch dann sollte ich es bezahlen. Die Schrift auf der großen gelben Schachtel kam mir vertraut vor. Klar, es war meine. Ich hatte eine Winterjacke nach Mürzzuschlag verschickt. Name, Straße, Hausnummer, Türnummer und Mürzzuschlag – alles stimmte. Aber: Ich hatte die Stiege nicht angegeben! So reiste das Paket, das schon vor dem Haus – sicher ein typischer Mürztaler Wolkenkratzer – angekommen war, zurück nach Wien.

Meine Mutter wiederum wäre froh, wenn sie ein Paket zurückbekommen würde. Sie hat meiner Tochter – der ohne Stühle – vor vielen Wochen ein Kleid aus Graz geschickt. Nach langem Warten und Nachfragen bei der Enkelin machte sie sich auf zur Post – natürlich mit FFP2-Maske. Man sagte ihr, das Paket mit dem Kleid sei "in einem Verteilerzentrum in Wien". Wir hoffen, dass es dort jemandem passt.

Berliner Advent ohne Tee

Meine andere Tochter lebt in Berlin. Ich habe ihr im November einen Tee-Adventkalender geschickt. Angekommen ist er nicht. Vielleicht kann sie im Jänner (das Jahr lasse ich offen) 24 ausgewählte Teesorten durchprobieren.

Auch wenn wir einander zu Weihnachten nicht sehen sollten, schicken wir uns nichts. Nicht nur, weil es zu unsicher ist. Es schadet auch nicht, Druck aus dem Job der Zustellerinnen zu nehmen. Denn von den großen Gewinnen, die der Onlinehandel schreibt, können sie sich nichts kaufen. Dafür wandeln viele am Rande eines Burnouts. Ich werde meinen Postboten, der mittlerweile weiß, dass ich zu Hause bin, und Pakete nun immer zur Tür bringt, vermissen. Niemand abseits der Familie kennt so viele meiner Jogginghosen und Flanellpyjamas. (Colette M. Schmidt, 15.12.2020)