Premierminister Giuseppe Conte genießt in den Reihen der Regierungsparteien derzeit wenig Vertrauen.

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Um seine angeschlagene und zerstrittene Regierung zu retten, führt Italiens Premier Giuseppe Conte seit Montag Gespräche mit den Führern der Koalitionsparteien: Im römischen Politikjargon nennt man das Prozedere "verifica". Bei einer solchen "Überprüfung" wird, ähnlich wie in einer Paartherapie, abgeklärt, ob es noch einen Sinn hat, gemeinsam weiterzumachen – oder ob die Regierungsehe schon derart zerrüttet ist, dass es besser ist, wenn jeder Partner seine eigenen Wege geht. Am Dienstag hätte eine Aussprache zwischen Conte und dem früheren Regierungschef Matteo Renzi erfolgen sollen. Der Ex-Premier hat das Treffen in letzter Minute platzen lassen.

Wie die derzeitige Krise ausgehen wird, weiß man möglicherweise erst kurz vor oder nach Weihnachten. Fest steht aber schon jetzt: Sie kommt völlig zur Unzeit. Italien befindet sich immer noch mitten in der zweiten Covid-Welle mit 500 bis 800 Toten pro Tag. Gleichzeitig wartet man in Brüssel immer ungeduldiger auf konkrete Angaben aus Rom, wie man die für Italien reservierten 209 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu verwenden gedenkt. Die sagenhafte Summe – 85 Milliarden werden Italien geschenkt, 124 Milliarden fließen in Form von zinsgünstigen Darlehen – gilt als letzte Chance für das Land, dessen Wirtschaft seit Jahren stagniert und das mit 2,5 Billionen Euro in absoluten Zahlen den höchsten Schuldenberg aller EU-Länder und den dritthöchsten der Welt mit sich herumträgt.

Kaum konkrete Projekte

Premier Conte hatte im Sommer, als sich die EU-Staaten auf ihren neuen gemeinsamen Haushalt und den Wiederaufbaufonds verständigt hatten, noch euphorisch eine "Neuerfindung Italiens" und ein kräftiges Wachstum versprochen. Doch der in Aussicht gestellte Milliardensegen hat die Regierung nicht beflügelt, sondern gelähmt: Mehrere Expertenkommissionen und Taskforces haben zwar schöne Konzepte zur Digitalisierung und Modernisierung und für einen "Green Deal" erarbeitet, doch konkrete und vor allem bewilligungsfähige Projekte ist Rom bisher schuldig geblieben. Ein zentrales Problem bestand von Anfang an darin, dass das Parlament und die Parteien in die Erarbeitung von Reformprojekten bisher nicht einbezogen wurden. Conte wird vorgeworfen, wie ein Autokrat alles selber machen und entscheiden zu wollen.

Als Conte vergangene Woche einmal mehr eine Taskforce mit sich selbst an der Spitze durchsetzen wollte, riss Ex-Premier Renzi der Geduldsfaden. "Wir haben uns nicht von Lega-Chef Salvini befreit, der 'volle Machtbefugnisse' für sich beansprucht hatte, um diese vollen Machtbefugnisse nun an Conte abzugeben", sagte Renzi im Senat. In einer gnadenlosen Abrechnung mit dem Regierungschef erklärte der Anführer des kleinsten Koalitionspartners, dass er seine Minister aus der Regierung zurückziehen werde, falls Conte seine Pläne mit der neuen Taskforce nicht aufgebe.

Politische Lähmung

Wie sehr Renzi mit seiner Brandrede den wunden Punkt getroffen hatte, zeigte sich an der Reaktion der beiden großen Parteien der Koalition, der Fünf-Sterne-Bewegung und des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD): Niemand ging ans Rednerpult, um den parteilosen Conte zu verteidigen. Ein Sturz Contes würde mit einiger Wahrscheinlichkeit zu Neuwahlen führen – und etliche Vertreter der Koalition müssten um ihre Wiederwahl bangen. Beobachter rechnen daher damit, dass die Angst vor dem Verlust der einträglichen Parlamentssessel am Ende einen neuen Koalitionsfrieden bringen könnte.

Das zentrale Problem – die politische Lähmung in Rom – bleibt aber so oder so ungelöst. Damit droht Italien auch seine letzte und größte Chance zu verpassen. Wegen der Unfähigkeit, in Brüssel bewilligungsfähige Projekte einzureichen, hat das Land in den vergangenen Jahren jeweils nur 40 Prozent der für Italien reservierten EU-Strukturfonds tatsächlich beanspruchen können – dasselbe könnte mit den Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds passieren. Das wäre tragisch – nicht nur für Italien, sondern auch für die EU, die sich mit dem Wiederaufbaufonds endlich einmal zu einem gewaltigen Akt der Solidarität hatte aufraffen können. (Dominik Straub aus Rom, 15.12.2020)