Weltweit mehren sich Proteste gegen die Marktmacht von Amazon.

Foto: EPA

Wien – Die Kluft könnte tiefer nicht sein. Amazon ist allein im ersten Halbjahr weltweit um 40 Prozent gewachsen. Der stationäre Einzelhandel erlebt zeitgleich die größte Krise seit Jahrzehnten. In Österreich gehen heuer quer durch die Branchen mehr als ein Drittel der Umsätze verloren. Im Oktober waren 60.000 Handelsangestellte arbeitslos gemeldet. Laufen staatliche Hilfen aus, droht 2021 eine Welle an Unternehmenspleiten.

Vorschläge, wie sich die wachsende Macht des US-Onlineriesen bremsen ließe und wie Waffengleichheit mit stationären Händlern geschaffen werden könnte, liegen seit Jahren auf dem Tisch der Politik. Passiert ist nichts. Die Bundesregierung verwies stets auf Brüssel und eine dafür notwendige Einigung der EU-Kommission.

Aus Sicht von Händlern, Gewerkschaftern und Umweltorganisationen läuft Österreich jedoch die Zeit davon: Amazon drohe zum größten Profiteur der Corona-Krise zu werden. Die Umwelt, stationäre Händler und Arbeitnehmer blieben auf der Strecke.

"Zeit drängt"

Ihr Schulterschluss soll Österreich nun zu einem nationalen Alleingang gegen Amazon bewegen. Greenpeace, der Handelsverband und die GPA legten am Dienstag ein entsprechendes Maßnahmenpaket vor. Sie fordern dessen Umsetzung Anfang 2021.

"Wir können und müssen Giganten wie Amazon auch in Österreich regulieren. Nur auf die EU zu warten ist zu wenig", sagt Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace Österreich. 150 Millionen Pakete würden hierzulande jährlich an Einzelkunden verschickt, rechnet er vor. 33 Millionen gingen retour an den Versender. 1,3 Millionen Pakete würden samt Inhalt sofort vernichtet. Das sei massive Ressourcenverschwendung.

Einhalt gebieten könne Österreich der Verpackungslawine mit einer Plattformhaftung, die sicherstellt, dass Amazon dafür Abgaben bezahlt. Konkret soll der Konzern für nicht eingehobene Verpackungsgebühren haftbar gemacht werden.

Zulieferer als schwächstes Glied

Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA, erinnert an umstrittene Arbeitsbedingungen bei Amazon, an die Bespitzelung der Mitarbeiter, an mangelnde Gesundheitsvorsorge und unzumutbare Disziplinierungsmaßnahmen. Das schwächste Glied in der Kette seien die zahlreichen Subunternehmer. Teiber berichtet von Zwölfstundentagen der Paketzusteller, die täglich bis zu 300 Pakete auslieferten.

Die Gewerkschafterin pocht auf eine strengere Prüfung von Scheinselbstständigkeit durch die Gesundheitskassen. Und sie drängt darauf, den Anteil an Leiharbeitskräften in der Belegschaft auf zumindest 50 Prozent reduzieren zu müssen.

Rainer Will, Chef des Handelsverbands, führt eine Plattformhaftung auch für falsch deklarierte Fake-Produkte ins Treffen. Allein dieser Mehrwertsteuerbetrug verursache Österreich einen jährlichen Schaden in Höhe von 150 Millionen Euro. Bis zur EU-weiten Abschaffung der 22-Euro-Mehrwertsteuer-Freigrenze brauche es verstärkte Schwerpunktkontrollen auf nationaler Ebene. Derzeit würden 97 Prozent der Pakete aus Asien fälschlicherweise unter dem Warenwert von 22 Euro angegeben.

Steuerschlupflöcher

Kein Vorbei gibt es für Handel, Gewerkschaft und Greenpeace am Stopfen von Steuerschlupflöchern für Amazon. Onlinegiganten mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz ohne Betriebsstätte in Österreich müssten endlich fair besteuert werden. Zeit, auf eine digitale Betriebsstätte zu warten, gebe es keine mehr, warnt Teiber. Einstweilen könne eine fiktive Gewinnbesteuerung helfen. Diese stelle sicher, dass fünf Prozent des Umsatzes besteuert werden. Österreich könne damit im ersten Schritt 130 Millionen Euro generieren.

"Wir lassen derzeit Geld auf der Straße liegen. Geld, das wir dringend brauchen", warnt Teiber. "Wer wird für die enormen Kosten der Corona-Krise aufkommen?" Allein den Arbeitnehmern, die bereits jetzt 80 Prozent des Steueraufkommens leisteten, dürfe das nicht aufgebürdet werden.

Versagen der Regulierer

Rainer Will nennt Amazon den größten Auswuchs an Regulierungsversagen im digitalen Raum. Die Österreicher ließen sich den Onlinehandel heuer acht Milliarden Euro kosten. Jeder zweite Euro davon fließe ins Ausland ab. Onlineriesen zahlten neun Prozent Gewinnsteuer, Unternehmen der Old Economy 23 Prozent. Im Vorjahr habe Amazon von den EU-Staaten gar eine Steuergutschrift in Höhe von 300 Millionen Euro erhalten.

Handelsforscher Peter Schnedlitz plädiert früher oder später für eine Zerschlagung von Amazon. Die Regierung versucht derweil, mit dem Onlineportal ‘Kaufhaus Österreich’ Paroli zu bieten.

Dieses basiert auf dem technischen Stand von vor 20 Jahren, zieht Harald Gutschi, Chef des Versandhändlers Unito Österreich, Bilanz. "Den Machern fehlt dafür die digitale Kompetenz."

Die Politik sei besser beraten, Rahmenbedingungen sicherzustellen, als sich selbst in den Markt einzubringen, sagt Will. "Mit der Umsetzung unserer Forderungen wäre tausendmal mehr geholfen als mit einem 'Kaufhaus Österreich'", sagt Teiber. (Verena Kainrath, 15.12.2020)