Rene Fischer hat sich einen Urlaubstag genommen. Am Dienstag war er noch bei der MA 48, der Wiener Müllabfuhr, im Einsatz, am Donnerstag kehrt er selbstverständlich wieder an seinen Arbeitsplatz zurück. Man muss ja von etwas leben. So nebenbei ist der 44-Jährige Trainer beim Stadtligisten ASK Elektra. Seit dreieinhalb Wochen betreibt der 1921 von den Angestellten des Kraftwerks Engerthstraße gegründete Fußballverein aus dem zweiten Gemeindebezirk, der Leopoldstadt, Spitzensport. Man darf nämlich trainieren. Dank einer Ausnahmeregelung der Bundesregierung, des Sportministeriums. Denn die Elektra hat das Achtelfinale des professionellen ÖFB-Cups erreicht, besucht am Mittwoch den übermächtigen LASK. Ankick im Linzer Stadion ist um 18 Uhr.
Kein Saft
Das letzte Match der ASK fand am 16. Oktober statt, es war ein vereinshistorisches 3:0 beim Zweitligisten Horn. Danach war Schluss. Wegen der Pandemie wurde der komplette Amateursport eingestellt. "Corona", sagt Fischer, "haut alles zusammen. Eigentlich ist die Aufgabe LASK unlösbar, aber wir stellen uns." Natürlich habe er sich über die Linzer schlaugemacht. "Sie stehen fünf Klassen über uns, beherrschen alles, sind bei Standards brandgefährlich. Wir haben noch dazu keine Partien in den Beinen, das ist extrem bitter für uns. Sie hingegen stehen voll im Saft."
Manfred Huber, Vorstandsvorsitzender der Euram Bank, ist seit 2013 (Fusion mit AS Koma) Präsident. Seine Gattin Vanessa Huber-Schober, eine Juristin, fungiert als Obfrau. Ehrenamtlich. In einer normalen Welt, sagt der 55-jährige Huber, würde der Elektra-Platz im Prater aus den Nähten platzen. Wie vor drei Jahren, als man gegen Rapid in der zweiten Runde 0:4 verlor. Vor 3000 Fans. Man war auf den Sportklub-Platz ausgewichen.
Die Pandemie sorgt dafür, dass – falls überhaupt – nur in großen Stadien mit geräumigen Kabinen gespielt werden darf. Die Abstandsregeln rufen. Corona hat das lukrative Heimrecht getauscht, wobei sich Kantinen-Umsätze bei Geisterspielen auf null belaufen. Die Elektra wird vom Fußballbund ÖFB mit 16.000 Euro entschädigt. Was das Virus nicht verhindert hat, ist die rührende Ausgangslage: David fordert Goliath. Aber im konkreten Fall ist der David ein Stückerl kleiner und der Goliath fünf Meter größer.
Nachwuchsarbeit
Die viertklassige Elektra hat sich der Nachwuchsarbeit verschrieben, rund 300 Kinder und Jugendliche ballestern im Klub. 80 Prozent davon haben Migrationshintergrund. "Wir erfüllen eine sozialpolitische Aufgabe", sagt Huber. Da die Welt nach plakativen Verkürzungen lechzt, nennt er die Philosophie: "Wir sind die Ersten im Zweiten."
1950, also fünf Jahre vor der präsidialen Geburt, gehörte die Elektra dem damaligen Oberhaus, der Staatsliga an. Sie spielte eine Saison lang nicht einmal eine Nebenrolle, aber der Kurzausflug bleibt Teil der Geschichte. Die Gegenwart ist der LASK, vermutlich eine 90-minütige Anekdote. "Sportlich gesehen ist das Achtelfinale ein absoluter Höhepunkt", sagt Huber und schränkt ein: "Wäre nicht Corona. Es verhindert die großen Emotionen."
Die Folgen für den Amateurbereich seien nicht absehbar. "Wir leben von kleinen Sponsoren, die geraten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der Dominoeffekt setzt ein." Noch mehr Sorge bereite ihm der Nachwuchs. "Ich befürchte gesundheitspolitische Folgen, Kinder haben praktisch Bewegungsverbot, eine weitere Playstation-Generation ist gerade im Entstehen." Die ASK Elektra, sie hat beachtliche 653 Mitglieder, wird 2021 trotzdem ihren Hunderter feiern. Eventuell im Homeoffice oder virtuell. Auf dem Gelände nistet sich übrigens Rapid ein, die Hütteldorfer bauen dort ihre Akademie. Die Elektra darf aber bleiben, es wurde ein Kooperationsvertrag abgeschlossen.
Heute um zwölf Uhr wird mit dem Bus nach Linz gereist. Die Fahrgäste sind lauter Amateure, Urlaubstage purzeln. Die bekanntesten Spieler sind Tormann Patrick Kostner und Verteidiger Mario Fürthaler. Sie werden überbeschäftigt sein. Transfermarkt.at weist einen Kaderwert von null Euro aus.
Ein Wortspiel
Der LASK ist in der Bundesliga Zweiter hinter Red Bull Salzburg, die ASK Elektra in der unterbrochenen Stadtliga Vierter hinter Vienna, Wienerberg und Sportunion Mauer. Im Cup hat man noch kein Gegentor kassiert, in der ersten Runde wurde Weiz 1:0 geschlagen. Es folgte das Wunder von Horn.
Trainer Fischer spricht von "einer Mammutaufgabe". Huber zitiert Hans Krankl: "Wir haben keine Chance, aber die wollen wir nützen."
Die Elektra, dieses Wortspiel ist gerade noch zulässig, steht jedenfalls unter Strom. (Christian Hackl, 16.12.2020)