Forderte die Anhänger Trumps auf, sich mit der Wirklichkeit zu versöhnen: Joe Biden, der nächste US-Präsident.

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Die Glückwünsche kamen verspätet, und sie kamen eher zähneknirschend. Joe Biden sei der nächste Präsident, daran könne es keinen Zweifel mehr geben, räumte John Thune ein, der Rangordnung nach die Nummer zwei der Republikaner im US-Senat. "Irgendwann kommt die Zeit, da muss man sich der Realität stellen."

Der Texaner John Cornyn sprach von der Seite, die es nun umzublättern gelte. Selbst Lindsey Graham, in der kleineren der beiden Parlamentskammern der engste Vertraute Donald Trumps, rang sich zu einem Statement durch, das klang, als wollte er seinem Freund im Weißen Haus durch die Blume raten, sich endlich mit seiner Niederlage abzufinden. Zwar gebe es noch einen "sehr, sehr schmalen" Pfad, den der Präsident beschreiten könne, um im Amt zu bleiben, sagte der Senator aus South Carolina. "Aber ich sehe nicht, wie er auf dem bis ins Ziel gelangt."

Davonschleichen

Es sind Szenen einer Absetzbewegung in kleinen Schritten, allerdings mit einem beachtlichen Verzögerungseffekt. Der Mann, von dem alle ein paar klare Worte erwarteten, brauchte eine Weile, bis Dienstagvormittag, ehe er sich dazu durchrang. "Das Electoral College hat gesprochen, also will ich heute dem designierten Präsidenten Joe Biden gratulieren", erklärte Mitch McConnell – einen Tag nachdem das Gremium der Wahlleute den Demokraten auch formell zum Sieger gekürt hatte. Viele in seiner Partei, so der konservative Mehrheitsführer des Senats, hätten sich ein anderes Resultat gewünscht. Aber das politische System folge nun mal einem Prozess, um zu bestimmen, wer am 20. Januar vereidigt werde. Glückwünsche bekam Biden am Dienstag übrigens auch vom brasilianischen Präsident Jair Bolsonaro und aus Russland: Präsident Wladimir Putin wünschte "viel Erfolg" und zeigte sich "bereit für den Austausch und den Kontakt". Statt Glückwünschen tat Irans Präsident Hassan Rouhani seine Freude über den Abschied von Trump kund und beschimpfte den scheidenden Präsidenten gar als "Terroristen" und "Tyrann".

Trump kritisierte McConnells Statement. Es sei zu früh, um aufzugeben, twitterte der US-Präsident in der Nacht auf Mittwoch. Die Republikanische Partei müsse endlich lernen zu kämpfen. "Die Menschen sind wütend!", fügte er hinzu. Trump wiederholte einmal mehr Betrugsvorwürfe, die er bereits vor Wochen aufgetischt hatte, um die Wahl zu kippen. Manipulierte Zählmaschinen, twitterte er, hätten Stimmen, die eigentlich für ihn abgegeben worden seien, seinem Kontrahenten zugeschlagen. Man habe ihn um einen Erdrutschsieg gebracht: "Das kann ich so nicht stehenlassen."

Zuvor hatte einer der Anwälte, die Trumps Niederlage in einen Sieg verwandeln wollten, endgültig die Maske fallen lassen, indem er ungeniert einem Staatsstreich das Wort redete. Der Präsident, empfahl Lucian Lincoln Wood in einem Tweet, möge das Kriegsrecht verhängen, um die Wahl zu "reinigen". Tausende hätten mitgemacht bei der Wahlfälschung, behauptete der Jurist und zählte angebliche Komplizen auf: Serbien, Kanada, Venezuela, Kuba, die CIA, den Milliardär George Soros und die Stiftung Bill Clintons.

Heftiger Streit

Parallel dazu trennte sich der Präsident von seinem Justizminister, in bestem Einvernehmen, wie es offiziell hieß. In Wahrheit dürfte es heftigen Streit gegeben haben. William Barr hatte sich geweigert, Trumps Diktion zu übernehmen und von massiven Unregelmäßigkeiten zu sprechen. Worauf sich dieser über einen Minister beklagte, der ihn schwer enttäuscht habe.

Dabei war bereits am Montag klar, dass die trotzigen Töne aus dem Weißen Haus nur noch störendes Hintergrundrauschen sind. Als die 55 Wahlmänner und -frauen Kaliforniens um 14.29 Uhr Ortszeit, in Mitteleuropa eine halbe Stunde vor Mitternacht, für Biden votierten, hatte der President-elect bereits die erforderliche Mehrheit erreicht.

Am Ende, nachdem auch die vier Wahlleute des Inselstaats Hawaii entschieden hatten, kam er auf 306 der 538 Stimmen im Electoral College. Es ist exakt dasselbe Ergebnis, das Trump vor vier Jahren erzielte. Kein einziger Elektor wagte es, sich über den Wählerwillen hinwegzusetzen und in Staaten, in denen der Herausforderer die Mehrheit holte, dem Amtsinhaber den Zuschlag zu geben. Ein beruhigendes Kapitel Normalität, wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln der Verlierer des Votums wochenlang versucht hatte, Chaos zu stiften. Das Verfahren als solches ging so geordnet über die Bühne, wie es auch sonst alle vier Jahre der Fall gewesen war. Der Kontrast zwischen dem ganz und gar nicht spektakulären Prozedere und den aufgewühlten Emotionen rings um das Votum, er hätte kaum schärfer ausfallen können.

Die Zeit ist gekommen

Der Glaube an die Institutionen habe gehalten, betonte Biden, nachdem die Würfel gefallen waren. Auf einer Bühne in Wilmington, gegen Heiserkeit ankämpfend, forderte er die Anhänger Trumps auf, sich mit der Wirklichkeit zu versöhnen. "Jetzt ist die Zeit gekommen, eine neue Seite aufzuschlagen, so wie wir es immer getan haben im Laufe unserer Geschichte. Die Zeit zusammenzukommen. Zu heilen." In den USA, so der President-elect, wird die Macht vom Volk verliehen. Schon vor langer Zeit sei die Flamme der Demokratie in diesem Land entzündet worden. "Und nichts, nicht einmal eine Pandemie oder Missbrauch der Macht, kann diese Flamme löschen."

Apropos Einigkeit: Biden plant, einen hochrangigen Ministerposten mit seinem ehemaligen Konkurrenten im Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur, Pete Buttigieg, zu besetzen. Der 38-Jährige soll Verkehrsminister werden, wie Bidens Team am Dienstagabend (Ortszeit) mitteilte. Buttigieg, ein Kriegsveteran, war zuvor für die Rolle des Botschafters bei den Vereinten Nationen und den US-Botschafterposten in China im Gespräch gewesen. Er wäre – sofern für das Amt bestätigt – der erste offen homosexuelle Bundesminister in der Geschichte des Landes. (Frank Herrmann aus Washington, red, 15.12.2020)